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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Literaturgeschichte und Aesthetik.
Ueber die Bedeutung der modernen Romantik mit Rücksicht auf die
bildende Kunst. Eine Studie von Julius Große. Berlin, Schindler.--

Das Wort "Romantik" gehört zu jenen vieldeutigen Ausdrücken, bei deren
Anwendung man leicht aus einem Bild ins andre überspringt, so daß man zuletzt
vollständig vergißt, waS der Begriff ursprünglich für einen Inhalt gehabt hat.
Am deutlichsten zeigt sich das bei der Anwendung auf die bildende Kunst und
auf die Musik. Wir müssen offen gestehen, daß wir uns vorläufig bei dem
Ausdrucke "romantische Malerei" und "romantische Musik" noch gar nichts
Bestimmtes denken können, und daß uns auch das vorliegende Büchlein darüber
nicht aufgeklärt hat. Es enthält zwar eine Reihe treffender Beobachtungen,
die aber einen viel befriedigenderen Eindruck machen würden, wenn der Ver¬
fasser die Beziehung derselben zu dem Wort "Romantik" ganz und gar hätte
fallen lassen. Die Mühe, die er sich gegeben hat, aus dem Begriffe heraus
aufs Concrete zu kommen, ist, wenn nicht überhaupt, doch gewiß in diesem
Fall eine vergebliche.

Es scheint uns, daß, wenn man von romantischer Malerei und romanti¬
scher Musik spricht, man vorzugsweise die Beziehungen der Künstler zu den
romantischen Dichtern oder 'die Auswahl ihrer Stoffe im Auge hat. Wenn
man das gelegentlich thut, ohne damit etwas Erschöpfenifeö ausdrücken zu
wollen, so läßt sich dagegen noch nicht viel einwenden; nur einen logischen
oder dialektischen Zusammenhang muß man nicht hineinbringen wollen. Der
Ausdruck Romantik ist nämlich nicht ein aus dem abstracten Begriff hergeleiteter,
sondern er drückt, wenn man ihn auf die Literatur anwendet, eine ganz be¬
stimmte concrete Vorstellung aus. Das ist aber in der Malerei nicht der Fall.
Bald nennt man die Heiligenbilder romantisch, weil sie die Ideale einer ver¬
gangenen Zeit behandeln, bald die sentimentale Manier der alten Düsseldorfer,
bald die symbolische Darstellung eines Cornelius oder Kaulbach, bald die Nach¬
bildung der steifen gothischen Formen u. s. w. Aus allem diesen eine Gesammt-


Grenzboten. IV. t8si- 6
Literaturgeschichte und Aesthetik.
Ueber die Bedeutung der modernen Romantik mit Rücksicht auf die
bildende Kunst. Eine Studie von Julius Große. Berlin, Schindler.—

Das Wort „Romantik" gehört zu jenen vieldeutigen Ausdrücken, bei deren
Anwendung man leicht aus einem Bild ins andre überspringt, so daß man zuletzt
vollständig vergißt, waS der Begriff ursprünglich für einen Inhalt gehabt hat.
Am deutlichsten zeigt sich das bei der Anwendung auf die bildende Kunst und
auf die Musik. Wir müssen offen gestehen, daß wir uns vorläufig bei dem
Ausdrucke „romantische Malerei" und „romantische Musik" noch gar nichts
Bestimmtes denken können, und daß uns auch das vorliegende Büchlein darüber
nicht aufgeklärt hat. Es enthält zwar eine Reihe treffender Beobachtungen,
die aber einen viel befriedigenderen Eindruck machen würden, wenn der Ver¬
fasser die Beziehung derselben zu dem Wort „Romantik" ganz und gar hätte
fallen lassen. Die Mühe, die er sich gegeben hat, aus dem Begriffe heraus
aufs Concrete zu kommen, ist, wenn nicht überhaupt, doch gewiß in diesem
Fall eine vergebliche.

Es scheint uns, daß, wenn man von romantischer Malerei und romanti¬
scher Musik spricht, man vorzugsweise die Beziehungen der Künstler zu den
romantischen Dichtern oder 'die Auswahl ihrer Stoffe im Auge hat. Wenn
man das gelegentlich thut, ohne damit etwas Erschöpfenifeö ausdrücken zu
wollen, so läßt sich dagegen noch nicht viel einwenden; nur einen logischen
oder dialektischen Zusammenhang muß man nicht hineinbringen wollen. Der
Ausdruck Romantik ist nämlich nicht ein aus dem abstracten Begriff hergeleiteter,
sondern er drückt, wenn man ihn auf die Literatur anwendet, eine ganz be¬
stimmte concrete Vorstellung aus. Das ist aber in der Malerei nicht der Fall.
Bald nennt man die Heiligenbilder romantisch, weil sie die Ideale einer ver¬
gangenen Zeit behandeln, bald die sentimentale Manier der alten Düsseldorfer,
bald die symbolische Darstellung eines Cornelius oder Kaulbach, bald die Nach¬
bildung der steifen gothischen Formen u. s. w. Aus allem diesen eine Gesammt-


Grenzboten. IV. t8si- 6
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[0049] Literaturgeschichte und Aesthetik. Ueber die Bedeutung der modernen Romantik mit Rücksicht auf die bildende Kunst. Eine Studie von Julius Große. Berlin, Schindler.— Das Wort „Romantik" gehört zu jenen vieldeutigen Ausdrücken, bei deren Anwendung man leicht aus einem Bild ins andre überspringt, so daß man zuletzt vollständig vergißt, waS der Begriff ursprünglich für einen Inhalt gehabt hat. Am deutlichsten zeigt sich das bei der Anwendung auf die bildende Kunst und auf die Musik. Wir müssen offen gestehen, daß wir uns vorläufig bei dem Ausdrucke „romantische Malerei" und „romantische Musik" noch gar nichts Bestimmtes denken können, und daß uns auch das vorliegende Büchlein darüber nicht aufgeklärt hat. Es enthält zwar eine Reihe treffender Beobachtungen, die aber einen viel befriedigenderen Eindruck machen würden, wenn der Ver¬ fasser die Beziehung derselben zu dem Wort „Romantik" ganz und gar hätte fallen lassen. Die Mühe, die er sich gegeben hat, aus dem Begriffe heraus aufs Concrete zu kommen, ist, wenn nicht überhaupt, doch gewiß in diesem Fall eine vergebliche. Es scheint uns, daß, wenn man von romantischer Malerei und romanti¬ scher Musik spricht, man vorzugsweise die Beziehungen der Künstler zu den romantischen Dichtern oder 'die Auswahl ihrer Stoffe im Auge hat. Wenn man das gelegentlich thut, ohne damit etwas Erschöpfenifeö ausdrücken zu wollen, so läßt sich dagegen noch nicht viel einwenden; nur einen logischen oder dialektischen Zusammenhang muß man nicht hineinbringen wollen. Der Ausdruck Romantik ist nämlich nicht ein aus dem abstracten Begriff hergeleiteter, sondern er drückt, wenn man ihn auf die Literatur anwendet, eine ganz be¬ stimmte concrete Vorstellung aus. Das ist aber in der Malerei nicht der Fall. Bald nennt man die Heiligenbilder romantisch, weil sie die Ideale einer ver¬ gangenen Zeit behandeln, bald die sentimentale Manier der alten Düsseldorfer, bald die symbolische Darstellung eines Cornelius oder Kaulbach, bald die Nach¬ bildung der steifen gothischen Formen u. s. w. Aus allem diesen eine Gesammt- Grenzboten. IV. t8si- 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/49>, abgerufen am 22.07.2024.