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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Im Wald und am Gestade, Skizzen und Bilder von Ernst Willkomm. Dessau,
Gebr. Katz. --

Herr Willkomm begann als jungdeutschcr Literat mit wcltschmerzlichen und
europamüden Geschichten. Er hat sich gegenwärtig der allgemeinen literari¬
schen Reaction angeschlossen, welche im Gegensatz gegen die gestaltlosen poli¬
tischen und socialen Abstractionen sich die Aufgabe steIt, das individuelle, con-
crete Leben zu schildern. Wir sind mit dieser Wendung wohl zufrieden. Wir
hätten zwar an dem Stil der gegenwärtigen kleinen Erzählung manches aus¬
zusetzen, namentlich weil er uns nicht einfach genug vorkommt, aber es sind
doch wirkliche Anschauungen und Lebensbcobachtungen darin; und man wird
aus der luftigen Gegend der Abstraction in die lebendigen Zustände des Volkes
eingeführt. Die Sammlung enthält folgende Geschichten: Der Zeidler, der
Halligmann, ein Besuch auf Sylt, der Schlickläufer, die verbindenden Flammen,
die Kringelhöchl. --




Pariser Brief.

Montaigne erzählt von einem Könige, an dessen Hofe es Sitte gewesen,
daß jedes Mal eine Hofdame die Hand hinhielt, so oft die Speicheldrüse der
Majestät von Ueberfluß geplagt war. Gewisse Journalisten scheinen diese
Rolle jener Hofdame zu beneiden. Graner aus Casfaignac hat in neuester
Zeit in diesem Geschäft besondern Eiser gezeigt. Louis Napoleon hat ihm
zwar die polemische Feder ebensogut aus der Hand geschlagen wie den andern
Tageskämpfern der Presse auch -- aber der Ritter, der sich selbst geadelt,
nimmt es nicht mehr so genau. Seitdem er die Asfemblve nationale nicht
mehr beschimpfen kann, läßt er seine Wuth unter dem Vorwande sogenann¬
ter historischer Arbeiten und Kritiken aus. Heute hat er den Muth gehabt,
ein Werk von Louis 'Veuillot über >,1e üroii an gsi^neur^ in einer Weise zu
loben, die wirklich das Blut kochen macht. Sie haben in Deutschland auch
Bertheidiger des Mittelalters und aller Mißbräuche, die es in seinem Gefolge
hatte, aber so arg treibt es doch keiner, weder Herr Stahl noch Herr von
Gerlach. Der Redacteur des Univers wollte die angeblichen Lügen und Ueber¬
treibungen der liberalen Schriftsteller gegen das Mittelalter und dessen In¬
stitutionen widerlegen und schrieb das genannte Werk, in dem die willkür¬
lichste Entstellung der Thatsachen mit viel Talent und viel Geist in das Kleid
historischer Erzählung und Erörterung gehüllt wird. Bei einem Manne, der
den Muth hat, die Inquisition sans ümdaxö zu vertheidigen, ist das ein .
erklärliches Unternehmen. .Veuillot spricht dem Obscurantismus bei jeder Ge-


Im Wald und am Gestade, Skizzen und Bilder von Ernst Willkomm. Dessau,
Gebr. Katz. —

Herr Willkomm begann als jungdeutschcr Literat mit wcltschmerzlichen und
europamüden Geschichten. Er hat sich gegenwärtig der allgemeinen literari¬
schen Reaction angeschlossen, welche im Gegensatz gegen die gestaltlosen poli¬
tischen und socialen Abstractionen sich die Aufgabe steIt, das individuelle, con-
crete Leben zu schildern. Wir sind mit dieser Wendung wohl zufrieden. Wir
hätten zwar an dem Stil der gegenwärtigen kleinen Erzählung manches aus¬
zusetzen, namentlich weil er uns nicht einfach genug vorkommt, aber es sind
doch wirkliche Anschauungen und Lebensbcobachtungen darin; und man wird
aus der luftigen Gegend der Abstraction in die lebendigen Zustände des Volkes
eingeführt. Die Sammlung enthält folgende Geschichten: Der Zeidler, der
Halligmann, ein Besuch auf Sylt, der Schlickläufer, die verbindenden Flammen,
die Kringelhöchl. —




Pariser Brief.

Montaigne erzählt von einem Könige, an dessen Hofe es Sitte gewesen,
daß jedes Mal eine Hofdame die Hand hinhielt, so oft die Speicheldrüse der
Majestät von Ueberfluß geplagt war. Gewisse Journalisten scheinen diese
Rolle jener Hofdame zu beneiden. Graner aus Casfaignac hat in neuester
Zeit in diesem Geschäft besondern Eiser gezeigt. Louis Napoleon hat ihm
zwar die polemische Feder ebensogut aus der Hand geschlagen wie den andern
Tageskämpfern der Presse auch — aber der Ritter, der sich selbst geadelt,
nimmt es nicht mehr so genau. Seitdem er die Asfemblve nationale nicht
mehr beschimpfen kann, läßt er seine Wuth unter dem Vorwande sogenann¬
ter historischer Arbeiten und Kritiken aus. Heute hat er den Muth gehabt,
ein Werk von Louis 'Veuillot über >,1e üroii an gsi^neur^ in einer Weise zu
loben, die wirklich das Blut kochen macht. Sie haben in Deutschland auch
Bertheidiger des Mittelalters und aller Mißbräuche, die es in seinem Gefolge
hatte, aber so arg treibt es doch keiner, weder Herr Stahl noch Herr von
Gerlach. Der Redacteur des Univers wollte die angeblichen Lügen und Ueber¬
treibungen der liberalen Schriftsteller gegen das Mittelalter und dessen In¬
stitutionen widerlegen und schrieb das genannte Werk, in dem die willkür¬
lichste Entstellung der Thatsachen mit viel Talent und viel Geist in das Kleid
historischer Erzählung und Erörterung gehüllt wird. Bei einem Manne, der
den Muth hat, die Inquisition sans ümdaxö zu vertheidigen, ist das ein .
erklärliches Unternehmen. .Veuillot spricht dem Obscurantismus bei jeder Ge-


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[0042] Im Wald und am Gestade, Skizzen und Bilder von Ernst Willkomm. Dessau, Gebr. Katz. — Herr Willkomm begann als jungdeutschcr Literat mit wcltschmerzlichen und europamüden Geschichten. Er hat sich gegenwärtig der allgemeinen literari¬ schen Reaction angeschlossen, welche im Gegensatz gegen die gestaltlosen poli¬ tischen und socialen Abstractionen sich die Aufgabe steIt, das individuelle, con- crete Leben zu schildern. Wir sind mit dieser Wendung wohl zufrieden. Wir hätten zwar an dem Stil der gegenwärtigen kleinen Erzählung manches aus¬ zusetzen, namentlich weil er uns nicht einfach genug vorkommt, aber es sind doch wirkliche Anschauungen und Lebensbcobachtungen darin; und man wird aus der luftigen Gegend der Abstraction in die lebendigen Zustände des Volkes eingeführt. Die Sammlung enthält folgende Geschichten: Der Zeidler, der Halligmann, ein Besuch auf Sylt, der Schlickläufer, die verbindenden Flammen, die Kringelhöchl. — Pariser Brief. Montaigne erzählt von einem Könige, an dessen Hofe es Sitte gewesen, daß jedes Mal eine Hofdame die Hand hinhielt, so oft die Speicheldrüse der Majestät von Ueberfluß geplagt war. Gewisse Journalisten scheinen diese Rolle jener Hofdame zu beneiden. Graner aus Casfaignac hat in neuester Zeit in diesem Geschäft besondern Eiser gezeigt. Louis Napoleon hat ihm zwar die polemische Feder ebensogut aus der Hand geschlagen wie den andern Tageskämpfern der Presse auch — aber der Ritter, der sich selbst geadelt, nimmt es nicht mehr so genau. Seitdem er die Asfemblve nationale nicht mehr beschimpfen kann, läßt er seine Wuth unter dem Vorwande sogenann¬ ter historischer Arbeiten und Kritiken aus. Heute hat er den Muth gehabt, ein Werk von Louis 'Veuillot über >,1e üroii an gsi^neur^ in einer Weise zu loben, die wirklich das Blut kochen macht. Sie haben in Deutschland auch Bertheidiger des Mittelalters und aller Mißbräuche, die es in seinem Gefolge hatte, aber so arg treibt es doch keiner, weder Herr Stahl noch Herr von Gerlach. Der Redacteur des Univers wollte die angeblichen Lügen und Ueber¬ treibungen der liberalen Schriftsteller gegen das Mittelalter und dessen In¬ stitutionen widerlegen und schrieb das genannte Werk, in dem die willkür¬ lichste Entstellung der Thatsachen mit viel Talent und viel Geist in das Kleid historischer Erzählung und Erörterung gehüllt wird. Bei einem Manne, der den Muth hat, die Inquisition sans ümdaxö zu vertheidigen, ist das ein . erklärliches Unternehmen. .Veuillot spricht dem Obscurantismus bei jeder Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/42>, abgerufen am 28.12.2024.