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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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bührende Lob und sie ärgern sich über übelwollende Recensionen. Für sie
besteht die Menschheit nur aus zwei Clnssm: aus denen, die ihre Verse be¬
wundern, und denen, die sie nicht bewundern. Wenn sie einmal sich weiter
in ein Verhältniß einlassen, als es grade die bloße Betrachtung eines Objects
mit sich bringt, so geschieht es doch mit dem bestimmten . Vorgefühl, daraus
ein Gedicht machen zu wollen, und daraus entspringt eine falsche Beobachtung
seiner selbst und der andern. Goethe hat freilich seine Verhältnisse meistens
mit einer poetischen Recapitulation geschlossen; aber wie tief, wahr und hin¬
gebend er sich in sie versenkte, das zeigen nicht nur seine Bekenntnisse, das
zeigt jede Zeile im Werther, in Hermann und Dorothea, in den vier großen
Elegien. Eine heftige, schnell vorübergehende Glut kann man künstlich er¬
zeugen, aber diese alle Adern gewaltig durchströmende Wärme quillt nur aus
dem wirklichen Leben hervor.

Nun wird zwar nicht jeder, der aufrichtig studirt und der sich mit Innig¬
keit in die Wahrheit des Lebens vertieft, deshalb ein großer Dichter werden,
aber was er gibt, wird wenigstens das Gepräge der Wahrheit an sich tragen,
und das ist die einzige echte Quelle der Poesie. Sie ist es zugleich, die den
Dichter beseligt, und wenn bei unsern modernsten Dichtern der sogenannte
Weltschmerz die übliche Stimmung ausmacht, so liegt darin nur das still¬
schweigende .Eingeständniß, daß sie nicht wissen, ob der Gott in ihnen spricht;
mit andern Worten, ob das, was sie geben, Wahrheit oder Lüge ist. --


Iduna. Taschenbuch für 1853. Wien, Lienhard. --
Aurora. Taschenbuch für das Jahr 18os. Herausgegeben von Seid!. 31. Jahr¬
gang. Wien, Lienhard. --

Beide Taschenbücher sind sehr geschmackvoll ausgestattet; der Einband
und was sonst dazu gehört, läßt nichts zu wünschen übrig; die Bilder von
hübschen Damen sind nach der neuesten Mode, und was den Inhalt betrifft,
so hat es sich der Herausgeber angelegen sein lassen, der Form keine Schande
zu machen. Wir haben darin Gedichte, Erzählungen, Novellen, Silhouetten
aus dem Künstlerleben, Geschichten von Somnambulen, dramatische Fragmente,
Balladen in der niederöstreichischen Mundart u. s. w. --


Stadt- und Dorfgeschichten ans alter und neuer Zeit. Für Alt und
Jung erzählt von Louis Würdig. Leipzig, Wvller. --

Die Tendenz der Sammlung ist eine fromme und tugendhafte, leider aber
müssen wir hinzusetzen, daß das Talent und namentlich der Geschmack des
Verfassers mit seiner Tugend und Frömmigkeit keineswegs auf gleicher Höhe
steht. -


bührende Lob und sie ärgern sich über übelwollende Recensionen. Für sie
besteht die Menschheit nur aus zwei Clnssm: aus denen, die ihre Verse be¬
wundern, und denen, die sie nicht bewundern. Wenn sie einmal sich weiter
in ein Verhältniß einlassen, als es grade die bloße Betrachtung eines Objects
mit sich bringt, so geschieht es doch mit dem bestimmten . Vorgefühl, daraus
ein Gedicht machen zu wollen, und daraus entspringt eine falsche Beobachtung
seiner selbst und der andern. Goethe hat freilich seine Verhältnisse meistens
mit einer poetischen Recapitulation geschlossen; aber wie tief, wahr und hin¬
gebend er sich in sie versenkte, das zeigen nicht nur seine Bekenntnisse, das
zeigt jede Zeile im Werther, in Hermann und Dorothea, in den vier großen
Elegien. Eine heftige, schnell vorübergehende Glut kann man künstlich er¬
zeugen, aber diese alle Adern gewaltig durchströmende Wärme quillt nur aus
dem wirklichen Leben hervor.

Nun wird zwar nicht jeder, der aufrichtig studirt und der sich mit Innig¬
keit in die Wahrheit des Lebens vertieft, deshalb ein großer Dichter werden,
aber was er gibt, wird wenigstens das Gepräge der Wahrheit an sich tragen,
und das ist die einzige echte Quelle der Poesie. Sie ist es zugleich, die den
Dichter beseligt, und wenn bei unsern modernsten Dichtern der sogenannte
Weltschmerz die übliche Stimmung ausmacht, so liegt darin nur das still¬
schweigende .Eingeständniß, daß sie nicht wissen, ob der Gott in ihnen spricht;
mit andern Worten, ob das, was sie geben, Wahrheit oder Lüge ist. —


Iduna. Taschenbuch für 1853. Wien, Lienhard. —
Aurora. Taschenbuch für das Jahr 18os. Herausgegeben von Seid!. 31. Jahr¬
gang. Wien, Lienhard. —

Beide Taschenbücher sind sehr geschmackvoll ausgestattet; der Einband
und was sonst dazu gehört, läßt nichts zu wünschen übrig; die Bilder von
hübschen Damen sind nach der neuesten Mode, und was den Inhalt betrifft,
so hat es sich der Herausgeber angelegen sein lassen, der Form keine Schande
zu machen. Wir haben darin Gedichte, Erzählungen, Novellen, Silhouetten
aus dem Künstlerleben, Geschichten von Somnambulen, dramatische Fragmente,
Balladen in der niederöstreichischen Mundart u. s. w. —


Stadt- und Dorfgeschichten ans alter und neuer Zeit. Für Alt und
Jung erzählt von Louis Würdig. Leipzig, Wvller. —

Die Tendenz der Sammlung ist eine fromme und tugendhafte, leider aber
müssen wir hinzusetzen, daß das Talent und namentlich der Geschmack des
Verfassers mit seiner Tugend und Frömmigkeit keineswegs auf gleicher Höhe
steht. -


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[0418] bührende Lob und sie ärgern sich über übelwollende Recensionen. Für sie besteht die Menschheit nur aus zwei Clnssm: aus denen, die ihre Verse be¬ wundern, und denen, die sie nicht bewundern. Wenn sie einmal sich weiter in ein Verhältniß einlassen, als es grade die bloße Betrachtung eines Objects mit sich bringt, so geschieht es doch mit dem bestimmten . Vorgefühl, daraus ein Gedicht machen zu wollen, und daraus entspringt eine falsche Beobachtung seiner selbst und der andern. Goethe hat freilich seine Verhältnisse meistens mit einer poetischen Recapitulation geschlossen; aber wie tief, wahr und hin¬ gebend er sich in sie versenkte, das zeigen nicht nur seine Bekenntnisse, das zeigt jede Zeile im Werther, in Hermann und Dorothea, in den vier großen Elegien. Eine heftige, schnell vorübergehende Glut kann man künstlich er¬ zeugen, aber diese alle Adern gewaltig durchströmende Wärme quillt nur aus dem wirklichen Leben hervor. Nun wird zwar nicht jeder, der aufrichtig studirt und der sich mit Innig¬ keit in die Wahrheit des Lebens vertieft, deshalb ein großer Dichter werden, aber was er gibt, wird wenigstens das Gepräge der Wahrheit an sich tragen, und das ist die einzige echte Quelle der Poesie. Sie ist es zugleich, die den Dichter beseligt, und wenn bei unsern modernsten Dichtern der sogenannte Weltschmerz die übliche Stimmung ausmacht, so liegt darin nur das still¬ schweigende .Eingeständniß, daß sie nicht wissen, ob der Gott in ihnen spricht; mit andern Worten, ob das, was sie geben, Wahrheit oder Lüge ist. — Iduna. Taschenbuch für 1853. Wien, Lienhard. — Aurora. Taschenbuch für das Jahr 18os. Herausgegeben von Seid!. 31. Jahr¬ gang. Wien, Lienhard. — Beide Taschenbücher sind sehr geschmackvoll ausgestattet; der Einband und was sonst dazu gehört, läßt nichts zu wünschen übrig; die Bilder von hübschen Damen sind nach der neuesten Mode, und was den Inhalt betrifft, so hat es sich der Herausgeber angelegen sein lassen, der Form keine Schande zu machen. Wir haben darin Gedichte, Erzählungen, Novellen, Silhouetten aus dem Künstlerleben, Geschichten von Somnambulen, dramatische Fragmente, Balladen in der niederöstreichischen Mundart u. s. w. — Stadt- und Dorfgeschichten ans alter und neuer Zeit. Für Alt und Jung erzählt von Louis Würdig. Leipzig, Wvller. — Die Tendenz der Sammlung ist eine fromme und tugendhafte, leider aber müssen wir hinzusetzen, daß das Talent und namentlich der Geschmack des Verfassers mit seiner Tugend und Frömmigkeit keineswegs auf gleicher Höhe steht. -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/418>, abgerufen am 22.07.2024.