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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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oder fünf rauchen. Es ist diese Art zu rauchen vielleicht auf das feinste Ver¬
ständniß des dabei stattfindenden Genusses begründet, und beruht daraus, daß
der obere Tabak nur einen vollkommen reinen Geschmack hat, denselben aber
weiter unten hin verliert. Uebrigens war das Rauchrohr nur ein Spielzeug
sozusagen in seiner Hand, die fortwährend gesticulirte. Gesticulationen sind im
Orient bei allen Nationen ein äußerst wesentliches Unterstützungsmittel der
Rede, und man wird erst dann türkisch oder Persisch oder neugriechisch zu spre¬
chen sich rühmen können, wenn man auch Meister in den Hand- und Arm-
ausreckungcn zur gehörigen Zeit, im Geberdenspiel und in dem namentlich un¬
erläßlichen Schnalzen mit der Zunge ist.

Als ich den Rückweg antrat, wurden im Hofe des Seriaökerats eben tune¬
sische Truppen gemustert, von denen es hieß, daß sie nach der Krim gesendet
werden sollten. Sie unterscheiden sich von den türkischen Soldaten namentlich
durch das höhere Fez und die krepprothen, französischen Beinkleider. Der Ge¬
sichtsausdruck schien mir weniger intelligent zu sein, als man ihn bei den os-
manischen Nisams antrifft. Uebrigens machten Leute und Ausrüstung sich nicht
übel, und das 'Ganze hatte einen militärischen Anstrich, welchen, manche Trup¬
pengattungen größerer Armeen entbehren.




Pariser Brief.

Die Franzosen werden erst jetzt in ihrer Theilnahme an den Ereignissen
in der Krim lebendig. Diese Theilnahme äußert sich nicht mehr allein in den
gebildeten Kreisen, nicht nur in der officiellen Welt, in den Handelskreisen,
die Massen beginnen die Erpedition in das Bereich ihrer Unterhaltungen zu
ziehen und wie gewöhnlich ist das Interesse mit einem Sprunge so groß ge¬
worden, daß es jedes andere verschlungen hat. Das Volk, der Ouvrier und
der Taglöhner^ der Concierge und die dienende Welt, der Auvergnat, der
das Monopol über Wasser und Feuer in Paris ausübt: sie alle leben und
weben in dem Drama, das sich vor Sebastopol zwischen den drei mächtigsten
Staaten Europas abspielt. Wehe dem Inwohner, der es seinem Portier in
diesem Augenblick zuzumuthen versucht, sein Journal abzuliefern, ehe er von
dem traditionellen ^us primae 1<zetiom8 nach Belieben Gebrauch gemacht hat.
Der Portier vergißt eher die Stiefeln seiner unehelichen Clienten zu wichsen,
er denkt nicht an unsre sklavische Gewohnheit, des Morgens Kaffee, Thee oder
Chocolade zu uns zu nehmen -- er vergißt alles, nur sein Journal nicht.
Wenn er nicht in Gemeinschaft mit Krämern oder College" aus der Nachbar¬
schaft beim Marchand de vin über einem Glase Wein (dessen Theuerung bei-


oder fünf rauchen. Es ist diese Art zu rauchen vielleicht auf das feinste Ver¬
ständniß des dabei stattfindenden Genusses begründet, und beruht daraus, daß
der obere Tabak nur einen vollkommen reinen Geschmack hat, denselben aber
weiter unten hin verliert. Uebrigens war das Rauchrohr nur ein Spielzeug
sozusagen in seiner Hand, die fortwährend gesticulirte. Gesticulationen sind im
Orient bei allen Nationen ein äußerst wesentliches Unterstützungsmittel der
Rede, und man wird erst dann türkisch oder Persisch oder neugriechisch zu spre¬
chen sich rühmen können, wenn man auch Meister in den Hand- und Arm-
ausreckungcn zur gehörigen Zeit, im Geberdenspiel und in dem namentlich un¬
erläßlichen Schnalzen mit der Zunge ist.

Als ich den Rückweg antrat, wurden im Hofe des Seriaökerats eben tune¬
sische Truppen gemustert, von denen es hieß, daß sie nach der Krim gesendet
werden sollten. Sie unterscheiden sich von den türkischen Soldaten namentlich
durch das höhere Fez und die krepprothen, französischen Beinkleider. Der Ge¬
sichtsausdruck schien mir weniger intelligent zu sein, als man ihn bei den os-
manischen Nisams antrifft. Uebrigens machten Leute und Ausrüstung sich nicht
übel, und das 'Ganze hatte einen militärischen Anstrich, welchen, manche Trup¬
pengattungen größerer Armeen entbehren.




Pariser Brief.

Die Franzosen werden erst jetzt in ihrer Theilnahme an den Ereignissen
in der Krim lebendig. Diese Theilnahme äußert sich nicht mehr allein in den
gebildeten Kreisen, nicht nur in der officiellen Welt, in den Handelskreisen,
die Massen beginnen die Erpedition in das Bereich ihrer Unterhaltungen zu
ziehen und wie gewöhnlich ist das Interesse mit einem Sprunge so groß ge¬
worden, daß es jedes andere verschlungen hat. Das Volk, der Ouvrier und
der Taglöhner^ der Concierge und die dienende Welt, der Auvergnat, der
das Monopol über Wasser und Feuer in Paris ausübt: sie alle leben und
weben in dem Drama, das sich vor Sebastopol zwischen den drei mächtigsten
Staaten Europas abspielt. Wehe dem Inwohner, der es seinem Portier in
diesem Augenblick zuzumuthen versucht, sein Journal abzuliefern, ehe er von
dem traditionellen ^us primae 1<zetiom8 nach Belieben Gebrauch gemacht hat.
Der Portier vergißt eher die Stiefeln seiner unehelichen Clienten zu wichsen,
er denkt nicht an unsre sklavische Gewohnheit, des Morgens Kaffee, Thee oder
Chocolade zu uns zu nehmen — er vergißt alles, nur sein Journal nicht.
Wenn er nicht in Gemeinschaft mit Krämern oder College» aus der Nachbar¬
schaft beim Marchand de vin über einem Glase Wein (dessen Theuerung bei-


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[0391] oder fünf rauchen. Es ist diese Art zu rauchen vielleicht auf das feinste Ver¬ ständniß des dabei stattfindenden Genusses begründet, und beruht daraus, daß der obere Tabak nur einen vollkommen reinen Geschmack hat, denselben aber weiter unten hin verliert. Uebrigens war das Rauchrohr nur ein Spielzeug sozusagen in seiner Hand, die fortwährend gesticulirte. Gesticulationen sind im Orient bei allen Nationen ein äußerst wesentliches Unterstützungsmittel der Rede, und man wird erst dann türkisch oder Persisch oder neugriechisch zu spre¬ chen sich rühmen können, wenn man auch Meister in den Hand- und Arm- ausreckungcn zur gehörigen Zeit, im Geberdenspiel und in dem namentlich un¬ erläßlichen Schnalzen mit der Zunge ist. Als ich den Rückweg antrat, wurden im Hofe des Seriaökerats eben tune¬ sische Truppen gemustert, von denen es hieß, daß sie nach der Krim gesendet werden sollten. Sie unterscheiden sich von den türkischen Soldaten namentlich durch das höhere Fez und die krepprothen, französischen Beinkleider. Der Ge¬ sichtsausdruck schien mir weniger intelligent zu sein, als man ihn bei den os- manischen Nisams antrifft. Uebrigens machten Leute und Ausrüstung sich nicht übel, und das 'Ganze hatte einen militärischen Anstrich, welchen, manche Trup¬ pengattungen größerer Armeen entbehren. Pariser Brief. Die Franzosen werden erst jetzt in ihrer Theilnahme an den Ereignissen in der Krim lebendig. Diese Theilnahme äußert sich nicht mehr allein in den gebildeten Kreisen, nicht nur in der officiellen Welt, in den Handelskreisen, die Massen beginnen die Erpedition in das Bereich ihrer Unterhaltungen zu ziehen und wie gewöhnlich ist das Interesse mit einem Sprunge so groß ge¬ worden, daß es jedes andere verschlungen hat. Das Volk, der Ouvrier und der Taglöhner^ der Concierge und die dienende Welt, der Auvergnat, der das Monopol über Wasser und Feuer in Paris ausübt: sie alle leben und weben in dem Drama, das sich vor Sebastopol zwischen den drei mächtigsten Staaten Europas abspielt. Wehe dem Inwohner, der es seinem Portier in diesem Augenblick zuzumuthen versucht, sein Journal abzuliefern, ehe er von dem traditionellen ^us primae 1<zetiom8 nach Belieben Gebrauch gemacht hat. Der Portier vergißt eher die Stiefeln seiner unehelichen Clienten zu wichsen, er denkt nicht an unsre sklavische Gewohnheit, des Morgens Kaffee, Thee oder Chocolade zu uns zu nehmen — er vergißt alles, nur sein Journal nicht. Wenn er nicht in Gemeinschaft mit Krämern oder College» aus der Nachbar¬ schaft beim Marchand de vin über einem Glase Wein (dessen Theuerung bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/391>, abgerufen am 28.12.2024.