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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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einer Provinzialstadt ein. Es ist den Beamten dieser Stadt heimlich zuge¬
steckt morden, daß nächstens von Petersburg aus ein höherer Beamter incognito
ankommen soll, um die Mißbräuche der Verwaltung zu .untersuchen. Da nun
in derselben Zeit aus Petersburg ein junger Mann anlangt, der im Gasthaus,
obgleich ohne Geldmittel, die Leute grob und rücksichtslos behandelt, so ist alle'
Welt davon überzeugt, dieses müsse der gefürchtete Revisor sein, und beeilt sich
nun, ihn zu bestechen und ihm aus jede andere Weise den Hof zu machen, bis
sich endlich ergibt, daß er ein Schwindler ist. Die Composition des Stücks ist
von sehr rohem Zuschnitt, und, was die Formen des gesellschaftlichen Umgangs
betrifft, so sieht Kotzebue dagegen beinahe noch vornehm aus; aber die komische
Wirkung ist ganz unbestreitbar, und wir glauben, daß es auch auf dem deutschen
Theater von Erfolg sein wird, wenn man nur nicht etwa den Versuch macht,
die russische Komödie auf deutsche Sitten zu übertragen, denn ein solcher Ver¬
such würde an seiner innern Unmöglichkeit scheitern. Gewiß kommt auch in
der deutschen Verwaltung sehr vieles vor, was nicht in der Ordnung ist; aber
wenn wir den "Revisor" studiren, so werden wir von einem wahrhaft glühenden
Patriotismus und von einer tiefen Verehrung vor unsrer hohen Obrigkeit
erfüllt. Die Spitzbübereien, die hier in allen Zweigen der Verwaltung als
etwas ganz Gewöhnliches und Natürliches dargestellt werden, streifen ans
Unerhörte; aber sie sind noch nichts gegen die hündische Devotion, die sich
vor jedermann in den Staub wirft, der, wenn auch nur ganz entfernt, mit dem
Hofe zusammenhängt. Wenn doch-der Charlottenburger Philosoph, der so
lebhaft für den russischen Naturwuchs in die Schranken getreten ist, einmal
diesen Naturwuchs aus den Quellen studiren wollte; er würde sehr bald zu
der Ueberzeugung kommen, daß die deutsche Atmosphäre, in der er die nahe
bevorstehende Verwesung wittert, eitel Wohlgeruch ist im Vergleich zu der
Fäulniß in den Zuständen jenes Volks, welches nach ihm dazu berufen ist,
der neue Träger der Weltgeschichte zu werden.

Genau denselben Eindruck entnehmen wir aus den angeführten Novellen.
Sie haben vor dem Lustspiel den Vorzug, in seinen und gebildeten Formen
dargestellt zu sein; aber der Inhalt ist grade ebenso greulich. Lüge und Hohl¬
heit, Grausamkeit und Bosheit, die sich hinter die eleganten Formen der euro¬
päischen Gesellschaft versteckt, das sind in allen Schichten die Lebensmotive
dieser Gesellschaft, die in dem stolzen Bewußtsein ihres mächtigen Herrschers
gern die Rolle der Römer spielen möchte.


Hausbibliothek für Länder- und Völkerkunde. Bd.Z.U.3. Leipzig,Lvrck.--

Die Hausbibliothek hat sich durch den außerordentlich günstigen Erfolg,
dem sie ursprünglich vielleicht ebensosehr dem Zufall als ihrem Verdienst ver¬
dankte, auf eine lobenswert!)? Weise anspornen lassen, neue Kräfte zu sammeln


einer Provinzialstadt ein. Es ist den Beamten dieser Stadt heimlich zuge¬
steckt morden, daß nächstens von Petersburg aus ein höherer Beamter incognito
ankommen soll, um die Mißbräuche der Verwaltung zu .untersuchen. Da nun
in derselben Zeit aus Petersburg ein junger Mann anlangt, der im Gasthaus,
obgleich ohne Geldmittel, die Leute grob und rücksichtslos behandelt, so ist alle'
Welt davon überzeugt, dieses müsse der gefürchtete Revisor sein, und beeilt sich
nun, ihn zu bestechen und ihm aus jede andere Weise den Hof zu machen, bis
sich endlich ergibt, daß er ein Schwindler ist. Die Composition des Stücks ist
von sehr rohem Zuschnitt, und, was die Formen des gesellschaftlichen Umgangs
betrifft, so sieht Kotzebue dagegen beinahe noch vornehm aus; aber die komische
Wirkung ist ganz unbestreitbar, und wir glauben, daß es auch auf dem deutschen
Theater von Erfolg sein wird, wenn man nur nicht etwa den Versuch macht,
die russische Komödie auf deutsche Sitten zu übertragen, denn ein solcher Ver¬
such würde an seiner innern Unmöglichkeit scheitern. Gewiß kommt auch in
der deutschen Verwaltung sehr vieles vor, was nicht in der Ordnung ist; aber
wenn wir den „Revisor" studiren, so werden wir von einem wahrhaft glühenden
Patriotismus und von einer tiefen Verehrung vor unsrer hohen Obrigkeit
erfüllt. Die Spitzbübereien, die hier in allen Zweigen der Verwaltung als
etwas ganz Gewöhnliches und Natürliches dargestellt werden, streifen ans
Unerhörte; aber sie sind noch nichts gegen die hündische Devotion, die sich
vor jedermann in den Staub wirft, der, wenn auch nur ganz entfernt, mit dem
Hofe zusammenhängt. Wenn doch-der Charlottenburger Philosoph, der so
lebhaft für den russischen Naturwuchs in die Schranken getreten ist, einmal
diesen Naturwuchs aus den Quellen studiren wollte; er würde sehr bald zu
der Ueberzeugung kommen, daß die deutsche Atmosphäre, in der er die nahe
bevorstehende Verwesung wittert, eitel Wohlgeruch ist im Vergleich zu der
Fäulniß in den Zuständen jenes Volks, welches nach ihm dazu berufen ist,
der neue Träger der Weltgeschichte zu werden.

Genau denselben Eindruck entnehmen wir aus den angeführten Novellen.
Sie haben vor dem Lustspiel den Vorzug, in seinen und gebildeten Formen
dargestellt zu sein; aber der Inhalt ist grade ebenso greulich. Lüge und Hohl¬
heit, Grausamkeit und Bosheit, die sich hinter die eleganten Formen der euro¬
päischen Gesellschaft versteckt, das sind in allen Schichten die Lebensmotive
dieser Gesellschaft, die in dem stolzen Bewußtsein ihres mächtigen Herrschers
gern die Rolle der Römer spielen möchte.


Hausbibliothek für Länder- und Völkerkunde. Bd.Z.U.3. Leipzig,Lvrck.—

Die Hausbibliothek hat sich durch den außerordentlich günstigen Erfolg,
dem sie ursprünglich vielleicht ebensosehr dem Zufall als ihrem Verdienst ver¬
dankte, auf eine lobenswert!)? Weise anspornen lassen, neue Kräfte zu sammeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/220>, abgerufen am 28.12.2024.