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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Ueber die Dauer und den Verlauf des Krieges

Sie werden meinen Blies aus Warna vom ö, August erhalten haben.
Damals waren es die Vorbereitungen zu der großen Pontischen Erpedition,
auf welche ich Ihre Aufmerksamkeit hinzulenken bemüht war. Während die Um¬
stände mir ein mehr als zweimonatliches Schweigen auferlegten, ist die große
Armada aus den Buchten von Rama und Baltschik abgesegelt, hat auf russi¬
schem Territorium KS,000 Mann aus Land gesetzt, und diese Armee wiederum
hat eine große Schlacht geliefert, infolge derselben Sebastopol umschlossen
und die Angriffsarbeiten gegen den Platz begonnen. Das sind Ereignisse, die
schwerer wiegen als alles, was sich seit Ausbruch des großen Weltkrieges zu¬
getragen und deren Consequenzen vorerst kein Auge zu übersehen vermag.

Die Zeit bis zum Abgang der Flotte war die letzte Frist, welche die West¬
mächte ihrem Gegner gelassen. Im August und den ersten Tagen des Sep¬
tember wäre es dem Kaiser Nikolaus noch möglich-gewesen, einzulenken, und
allerdings mit Opfern, aber mehr doch mit moralischer als materieller Einbuße,
sich aus den Schlingen herausznwickeln, in welche eine verblendete Politik ihn
hineingeführt hatte. Wie die Dinge sich seitdem gestalteten kann es indeß
für niemanden mehr zweifelhaft sein, daß die Zeiten einer möglichen Aus-
gleichung nunmehr vorüber sind, und zwar für innert Einmal in der Krim
engagirt, können England und Frankreich den großen Kampf nicht anders
als mit einem Frieden beschließen, in welchem Rußland die Halbinsel an das
osmanische Reich oder zur freien Verfügung der türkischen Verbündeten abtritt,
was.wiederum soviel heißt, als auf alle orientalischen Eroberungspläne nicht
nnr, sondern selbst auf jeden bestimmenden Einfluß in dieser Weltgegend zu
verzichten. Daher der allgemeine Glaube, welcher sich erst seit der Landung
consolidirte, daß wir am Anfang einer unabsehbaren Kriegsepvche stehen, deren
Dauer nur nach dem Maß der größeren oder geringeren Zähigkeit gemessen
werden kann, welche Nußland den alliirten Mächten entgegenzusetzen im Stande
sein wird.

Ich will es mir hier zur Aufgabe stellen, in diese verwickelte Frage tiefer
einzugehen und zu ermitteln, welches Kraftaufwandes Rußland für d.le nächste
Zukunft fähig ist. Dann aber: auf wie lange Zeit derselbe zum Widerstand
gegen die Angreifer ausreichen wird.

Ich lege meiner Untersuchung hier mit Absicht die Angaben des Herrn
von Harthausen zu Grunde, weil dieser Schriftsteller auch den Nussenfreunden
als eine gute Autorität gilt und man mir, bei seiner notorischen Vorliebe für
Nußland, nicht den Vorwurf machen kann, ich ginge lediglich vom Standpunkt


Ueber die Dauer und den Verlauf des Krieges

Sie werden meinen Blies aus Warna vom ö, August erhalten haben.
Damals waren es die Vorbereitungen zu der großen Pontischen Erpedition,
auf welche ich Ihre Aufmerksamkeit hinzulenken bemüht war. Während die Um¬
stände mir ein mehr als zweimonatliches Schweigen auferlegten, ist die große
Armada aus den Buchten von Rama und Baltschik abgesegelt, hat auf russi¬
schem Territorium KS,000 Mann aus Land gesetzt, und diese Armee wiederum
hat eine große Schlacht geliefert, infolge derselben Sebastopol umschlossen
und die Angriffsarbeiten gegen den Platz begonnen. Das sind Ereignisse, die
schwerer wiegen als alles, was sich seit Ausbruch des großen Weltkrieges zu¬
getragen und deren Consequenzen vorerst kein Auge zu übersehen vermag.

Die Zeit bis zum Abgang der Flotte war die letzte Frist, welche die West¬
mächte ihrem Gegner gelassen. Im August und den ersten Tagen des Sep¬
tember wäre es dem Kaiser Nikolaus noch möglich-gewesen, einzulenken, und
allerdings mit Opfern, aber mehr doch mit moralischer als materieller Einbuße,
sich aus den Schlingen herausznwickeln, in welche eine verblendete Politik ihn
hineingeführt hatte. Wie die Dinge sich seitdem gestalteten kann es indeß
für niemanden mehr zweifelhaft sein, daß die Zeiten einer möglichen Aus-
gleichung nunmehr vorüber sind, und zwar für innert Einmal in der Krim
engagirt, können England und Frankreich den großen Kampf nicht anders
als mit einem Frieden beschließen, in welchem Rußland die Halbinsel an das
osmanische Reich oder zur freien Verfügung der türkischen Verbündeten abtritt,
was.wiederum soviel heißt, als auf alle orientalischen Eroberungspläne nicht
nnr, sondern selbst auf jeden bestimmenden Einfluß in dieser Weltgegend zu
verzichten. Daher der allgemeine Glaube, welcher sich erst seit der Landung
consolidirte, daß wir am Anfang einer unabsehbaren Kriegsepvche stehen, deren
Dauer nur nach dem Maß der größeren oder geringeren Zähigkeit gemessen
werden kann, welche Nußland den alliirten Mächten entgegenzusetzen im Stande
sein wird.

Ich will es mir hier zur Aufgabe stellen, in diese verwickelte Frage tiefer
einzugehen und zu ermitteln, welches Kraftaufwandes Rußland für d.le nächste
Zukunft fähig ist. Dann aber: auf wie lange Zeit derselbe zum Widerstand
gegen die Angreifer ausreichen wird.

Ich lege meiner Untersuchung hier mit Absicht die Angaben des Herrn
von Harthausen zu Grunde, weil dieser Schriftsteller auch den Nussenfreunden
als eine gute Autorität gilt und man mir, bei seiner notorischen Vorliebe für
Nußland, nicht den Vorwurf machen kann, ich ginge lediglich vom Standpunkt


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[0198] Ueber die Dauer und den Verlauf des Krieges Sie werden meinen Blies aus Warna vom ö, August erhalten haben. Damals waren es die Vorbereitungen zu der großen Pontischen Erpedition, auf welche ich Ihre Aufmerksamkeit hinzulenken bemüht war. Während die Um¬ stände mir ein mehr als zweimonatliches Schweigen auferlegten, ist die große Armada aus den Buchten von Rama und Baltschik abgesegelt, hat auf russi¬ schem Territorium KS,000 Mann aus Land gesetzt, und diese Armee wiederum hat eine große Schlacht geliefert, infolge derselben Sebastopol umschlossen und die Angriffsarbeiten gegen den Platz begonnen. Das sind Ereignisse, die schwerer wiegen als alles, was sich seit Ausbruch des großen Weltkrieges zu¬ getragen und deren Consequenzen vorerst kein Auge zu übersehen vermag. Die Zeit bis zum Abgang der Flotte war die letzte Frist, welche die West¬ mächte ihrem Gegner gelassen. Im August und den ersten Tagen des Sep¬ tember wäre es dem Kaiser Nikolaus noch möglich-gewesen, einzulenken, und allerdings mit Opfern, aber mehr doch mit moralischer als materieller Einbuße, sich aus den Schlingen herausznwickeln, in welche eine verblendete Politik ihn hineingeführt hatte. Wie die Dinge sich seitdem gestalteten kann es indeß für niemanden mehr zweifelhaft sein, daß die Zeiten einer möglichen Aus- gleichung nunmehr vorüber sind, und zwar für innert Einmal in der Krim engagirt, können England und Frankreich den großen Kampf nicht anders als mit einem Frieden beschließen, in welchem Rußland die Halbinsel an das osmanische Reich oder zur freien Verfügung der türkischen Verbündeten abtritt, was.wiederum soviel heißt, als auf alle orientalischen Eroberungspläne nicht nnr, sondern selbst auf jeden bestimmenden Einfluß in dieser Weltgegend zu verzichten. Daher der allgemeine Glaube, welcher sich erst seit der Landung consolidirte, daß wir am Anfang einer unabsehbaren Kriegsepvche stehen, deren Dauer nur nach dem Maß der größeren oder geringeren Zähigkeit gemessen werden kann, welche Nußland den alliirten Mächten entgegenzusetzen im Stande sein wird. Ich will es mir hier zur Aufgabe stellen, in diese verwickelte Frage tiefer einzugehen und zu ermitteln, welches Kraftaufwandes Rußland für d.le nächste Zukunft fähig ist. Dann aber: auf wie lange Zeit derselbe zum Widerstand gegen die Angreifer ausreichen wird. Ich lege meiner Untersuchung hier mit Absicht die Angaben des Herrn von Harthausen zu Grunde, weil dieser Schriftsteller auch den Nussenfreunden als eine gute Autorität gilt und man mir, bei seiner notorischen Vorliebe für Nußland, nicht den Vorwurf machen kann, ich ginge lediglich vom Standpunkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/198>, abgerufen am 22.07.2024.