Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Unglück hat, ein Stichblatt des Kladderadatsch zu werden. Aber über
diesen momentanen Genuß hinaus erstreckt sich sein Einfluß nicht. ^Wenn er
. wirklich glaubt, durch die Kraft seines Genius sich schwer versündigt, den Ruf
von Personen und Ideen untergraben und mit jenem mystischen Beil des
Nachrichters, das er so schwärmerisch besingt, Sterbliche und Unsterbliche ge-
tödtet zu haben, so möge er in Frieden zum Himmel eingehen. Diese Sünde
liegt nur in seiner Einbildung.

Abgesehen von diesen politischen Causerien sind die Korrespondenzen von
vielfältigen philosophischen und artistischen Notizen durchflochten. Sehr inter¬
essant ist der Nachtrag über George Sand und Victor Hugo Band 2.
S. u. s. w. Sehr ergötzlich sind auch die Notizen über Spontini und
Meyerbeer, und es wird ihrer komischen Wirkung gar nichts schaden, wenn sie
auch zum größern Theil erfunden sind, was wir allerdings glauben. Amüsiren
wird sich überhaupt auch heute noch jedermann an diesen Korrespondenzen,
obgleich die Gegenstände längst in Vergessenheit gerathen sind. Etwas Blei¬
bendes daraus zu gewinnen, wird man auch hier nicht erwarten. So liebt
ers z. B. über Musik zu sprechen und sagt einmal von Beethoven: "er
treibt die spiritualistische Kunst bis zu jener tönenden Agonie der Erscheinungs-
welt, bis zu jener Vernichtung der Natur, die mich mit einem Grauen erfüllt,
das ich nicht verhehlen mag, obgleich meine Freunde darüber den Kopf
schütteln;" -- ferner von Berlioz: "selbst die trägsten Gemüther werden fort¬
gerissen von der Gewalt seines Genius; hier ist ein Flügelschlag, der keinen
gewöhnlichen Sangesvogel verräth, das ist eine kolossale Nachtigall, ein
Sprosser, von Adlersgröße u. s. w." -- es ist aber bekannt, daß Heine die
Musikstücke nur nach dem Cvncertzettel unterscheidet.

Wie dem auch sei, das Talent soll man anerkennen, auch wenn man es
tadeln muß, und die zahllose Menge, die Heine unterhält und belustigt, wird
ihm viele seiner Sünden vergeben.




Aus Niedersachsen.

Quickbvrn. Volksleben in plattdeutschen Gedichten Ditmarscher Mundart von
Claus Groll). Dritte -sehr vermehrte und verbesserte Auflage, mit einem
Glossar nebst Einleitung von Prof. Fr. Müllcnhvff. Hamburg, Perthcs-
Besser u. Maule, 1"Si>. --

Ein Buch, das in sehr kurzer Zeit drei Auflagen erlebte, von Jakob
Grimm im Vorworte des Wörterbuchs als Beweis angeführt wird, daß die
niederdeutsche Sprache auch in der Literatur sich ihre Lebenskraft bewahrt hat,


das Unglück hat, ein Stichblatt des Kladderadatsch zu werden. Aber über
diesen momentanen Genuß hinaus erstreckt sich sein Einfluß nicht. ^Wenn er
. wirklich glaubt, durch die Kraft seines Genius sich schwer versündigt, den Ruf
von Personen und Ideen untergraben und mit jenem mystischen Beil des
Nachrichters, das er so schwärmerisch besingt, Sterbliche und Unsterbliche ge-
tödtet zu haben, so möge er in Frieden zum Himmel eingehen. Diese Sünde
liegt nur in seiner Einbildung.

Abgesehen von diesen politischen Causerien sind die Korrespondenzen von
vielfältigen philosophischen und artistischen Notizen durchflochten. Sehr inter¬
essant ist der Nachtrag über George Sand und Victor Hugo Band 2.
S. u. s. w. Sehr ergötzlich sind auch die Notizen über Spontini und
Meyerbeer, und es wird ihrer komischen Wirkung gar nichts schaden, wenn sie
auch zum größern Theil erfunden sind, was wir allerdings glauben. Amüsiren
wird sich überhaupt auch heute noch jedermann an diesen Korrespondenzen,
obgleich die Gegenstände längst in Vergessenheit gerathen sind. Etwas Blei¬
bendes daraus zu gewinnen, wird man auch hier nicht erwarten. So liebt
ers z. B. über Musik zu sprechen und sagt einmal von Beethoven: „er
treibt die spiritualistische Kunst bis zu jener tönenden Agonie der Erscheinungs-
welt, bis zu jener Vernichtung der Natur, die mich mit einem Grauen erfüllt,
das ich nicht verhehlen mag, obgleich meine Freunde darüber den Kopf
schütteln;" — ferner von Berlioz: „selbst die trägsten Gemüther werden fort¬
gerissen von der Gewalt seines Genius; hier ist ein Flügelschlag, der keinen
gewöhnlichen Sangesvogel verräth, das ist eine kolossale Nachtigall, ein
Sprosser, von Adlersgröße u. s. w." — es ist aber bekannt, daß Heine die
Musikstücke nur nach dem Cvncertzettel unterscheidet.

Wie dem auch sei, das Talent soll man anerkennen, auch wenn man es
tadeln muß, und die zahllose Menge, die Heine unterhält und belustigt, wird
ihm viele seiner Sünden vergeben.




Aus Niedersachsen.

Quickbvrn. Volksleben in plattdeutschen Gedichten Ditmarscher Mundart von
Claus Groll). Dritte -sehr vermehrte und verbesserte Auflage, mit einem
Glossar nebst Einleitung von Prof. Fr. Müllcnhvff. Hamburg, Perthcs-
Besser u. Maule, 1«Si>. —

Ein Buch, das in sehr kurzer Zeit drei Auflagen erlebte, von Jakob
Grimm im Vorworte des Wörterbuchs als Beweis angeführt wird, daß die
niederdeutsche Sprache auch in der Literatur sich ihre Lebenskraft bewahrt hat,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98490"/>
          <p xml:id="ID_522" prev="#ID_521"> das Unglück hat, ein Stichblatt des Kladderadatsch zu werden. Aber über<lb/>
diesen momentanen Genuß hinaus erstreckt sich sein Einfluß nicht. ^Wenn er<lb/>
. wirklich glaubt, durch die Kraft seines Genius sich schwer versündigt, den Ruf<lb/>
von Personen und Ideen untergraben und mit jenem mystischen Beil des<lb/>
Nachrichters, das er so schwärmerisch besingt, Sterbliche und Unsterbliche ge-<lb/>
tödtet zu haben, so möge er in Frieden zum Himmel eingehen. Diese Sünde<lb/>
liegt nur in seiner Einbildung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_523"> Abgesehen von diesen politischen Causerien sind die Korrespondenzen von<lb/>
vielfältigen philosophischen und artistischen Notizen durchflochten. Sehr inter¬<lb/>
essant ist der Nachtrag über George Sand und Victor Hugo Band 2.<lb/>
S. u. s. w. Sehr ergötzlich sind auch die Notizen über Spontini und<lb/>
Meyerbeer, und es wird ihrer komischen Wirkung gar nichts schaden, wenn sie<lb/>
auch zum größern Theil erfunden sind, was wir allerdings glauben. Amüsiren<lb/>
wird sich überhaupt auch heute noch jedermann an diesen Korrespondenzen,<lb/>
obgleich die Gegenstände längst in Vergessenheit gerathen sind. Etwas Blei¬<lb/>
bendes daraus zu gewinnen, wird man auch hier nicht erwarten. So liebt<lb/>
ers z. B. über Musik zu sprechen und sagt einmal von Beethoven: &#x201E;er<lb/>
treibt die spiritualistische Kunst bis zu jener tönenden Agonie der Erscheinungs-<lb/>
welt, bis zu jener Vernichtung der Natur, die mich mit einem Grauen erfüllt,<lb/>
das ich nicht verhehlen mag, obgleich meine Freunde darüber den Kopf<lb/>
schütteln;" &#x2014; ferner von Berlioz: &#x201E;selbst die trägsten Gemüther werden fort¬<lb/>
gerissen von der Gewalt seines Genius; hier ist ein Flügelschlag, der keinen<lb/>
gewöhnlichen Sangesvogel verräth, das ist eine kolossale Nachtigall, ein<lb/>
Sprosser, von Adlersgröße u. s. w." &#x2014; es ist aber bekannt, daß Heine die<lb/>
Musikstücke nur nach dem Cvncertzettel unterscheidet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_524"> Wie dem auch sei, das Talent soll man anerkennen, auch wenn man es<lb/>
tadeln muß, und die zahllose Menge, die Heine unterhält und belustigt, wird<lb/>
ihm viele seiner Sünden vergeben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus Niedersachsen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_525"> Quickbvrn. Volksleben in plattdeutschen Gedichten Ditmarscher Mundart von<lb/>
Claus Groll). Dritte -sehr vermehrte und verbesserte Auflage, mit einem<lb/>
Glossar nebst Einleitung von Prof. Fr. Müllcnhvff. Hamburg, Perthcs-<lb/>
Besser u. Maule, 1«Si&gt;. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_526" next="#ID_527"> Ein Buch, das in sehr kurzer Zeit drei Auflagen erlebte, von Jakob<lb/>
Grimm im Vorworte des Wörterbuchs als Beweis angeführt wird, daß die<lb/>
niederdeutsche Sprache auch in der Literatur sich ihre Lebenskraft bewahrt hat,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] das Unglück hat, ein Stichblatt des Kladderadatsch zu werden. Aber über diesen momentanen Genuß hinaus erstreckt sich sein Einfluß nicht. ^Wenn er . wirklich glaubt, durch die Kraft seines Genius sich schwer versündigt, den Ruf von Personen und Ideen untergraben und mit jenem mystischen Beil des Nachrichters, das er so schwärmerisch besingt, Sterbliche und Unsterbliche ge- tödtet zu haben, so möge er in Frieden zum Himmel eingehen. Diese Sünde liegt nur in seiner Einbildung. Abgesehen von diesen politischen Causerien sind die Korrespondenzen von vielfältigen philosophischen und artistischen Notizen durchflochten. Sehr inter¬ essant ist der Nachtrag über George Sand und Victor Hugo Band 2. S. u. s. w. Sehr ergötzlich sind auch die Notizen über Spontini und Meyerbeer, und es wird ihrer komischen Wirkung gar nichts schaden, wenn sie auch zum größern Theil erfunden sind, was wir allerdings glauben. Amüsiren wird sich überhaupt auch heute noch jedermann an diesen Korrespondenzen, obgleich die Gegenstände längst in Vergessenheit gerathen sind. Etwas Blei¬ bendes daraus zu gewinnen, wird man auch hier nicht erwarten. So liebt ers z. B. über Musik zu sprechen und sagt einmal von Beethoven: „er treibt die spiritualistische Kunst bis zu jener tönenden Agonie der Erscheinungs- welt, bis zu jener Vernichtung der Natur, die mich mit einem Grauen erfüllt, das ich nicht verhehlen mag, obgleich meine Freunde darüber den Kopf schütteln;" — ferner von Berlioz: „selbst die trägsten Gemüther werden fort¬ gerissen von der Gewalt seines Genius; hier ist ein Flügelschlag, der keinen gewöhnlichen Sangesvogel verräth, das ist eine kolossale Nachtigall, ein Sprosser, von Adlersgröße u. s. w." — es ist aber bekannt, daß Heine die Musikstücke nur nach dem Cvncertzettel unterscheidet. Wie dem auch sei, das Talent soll man anerkennen, auch wenn man es tadeln muß, und die zahllose Menge, die Heine unterhält und belustigt, wird ihm viele seiner Sünden vergeben. Aus Niedersachsen. Quickbvrn. Volksleben in plattdeutschen Gedichten Ditmarscher Mundart von Claus Groll). Dritte -sehr vermehrte und verbesserte Auflage, mit einem Glossar nebst Einleitung von Prof. Fr. Müllcnhvff. Hamburg, Perthcs- Besser u. Maule, 1«Si>. — Ein Buch, das in sehr kurzer Zeit drei Auflagen erlebte, von Jakob Grimm im Vorworte des Wörterbuchs als Beweis angeführt wird, daß die niederdeutsche Sprache auch in der Literatur sich ihre Lebenskraft bewahrt hat,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/176
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/176>, abgerufen am 28.12.2024.