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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Reval.*)

Ehemals pflegten d'le Feldherrn ihre beabsichtigten Kriegsoperationen nicht
im voraus zu verkünden. Sie fürchteten sich dem Feinde zu verrathen. In¬
zwischen scheint gegenwärtig die Gewohnheit der Westmächte so ganz umgekehrt,
daß das Publicum in der ersten Zeit die Annoncen bevorstehender Waffenthaten
meistens für absichtliche Täuschungen des Feindes hielt. Allein die gleichermaßen
angekündigte Zerstörung von Bvmarsund, die Besetzung der Insel Nargen, selbst
die kleinen Razzias gegen unbewaffnete Ostseehäfen sind nach dem Programm
ausgeführt worden. Ganz in gleicher Weise spielten die Dinge auf dem süd¬
lichen Kriegstheater; die Erpedition gegen Sebastopol ward sechs Wochen vor
ihrem, Unternehmen verkündet, Tag und Stunde ward festgesetzt, wie bei einer
Vorstellung im Hippodrom, und die Aufführung so ungestört begonnen, als
wärs ein lustiges Manöver mit "markirten Feinden".

Schon als! ein größerer Theil- der französischen Flotte den baltischen Kampf¬
platz verließ, versicherte die englische Presse, Sir Charles werde den Herbst¬
stürmen nicht weichen, ohne vorher eine erklecklichere Kriegsthat ausgeführt zu
habe", als die bisherigen. . .

Gelehrte strategische Forscher, welche aus der Studirstube zu Augsburg
oder in der Wilhelmsstraße zu Berlin vor jedem gegenrussischen Angriffe die Un¬
möglichkeit seines Gelingens und hinter jedem Erfolge beweisen, daß es gar
kein Erfolg gewesen sei, werden ihre Kriegsweisheit auch dies Mal nicht vor-
emhalten. Sie werden erörtern, Revals Bombardement erscheine eine ebenso
nutzlose als ruhmlose Grausamkeit, wie sie denn auch schon dem Wandalismus,
welcher durch Zerstörung der Waldungen auf der Insel Nargen (NargöeS) be¬
gangen worden, ihre sittliche Entrüstung nicht stark genug bezeugen konnten.
Und warum? Weil der Kaiser von Nußland die Schonung dieser Wälder durch
einen besonderen Mas verfügt hatte. Der Ukas mag gegen die wälderverwüstenden
Gewohnheiten der dortigen Bauern sehr nützlich sein. Aber ein angreifender



^tun. der Redaction. -- Das Interesse dieser Beschreibung wird wol dadurch
nicht geringer, daß das -- anch nach unsrer Meinung ziemlich unnöthige -- Bombardement
Von Reval nicht stattfindet.
Gcenjboren.' IV, '!8si, 1t)
Reval.*)

Ehemals pflegten d'le Feldherrn ihre beabsichtigten Kriegsoperationen nicht
im voraus zu verkünden. Sie fürchteten sich dem Feinde zu verrathen. In¬
zwischen scheint gegenwärtig die Gewohnheit der Westmächte so ganz umgekehrt,
daß das Publicum in der ersten Zeit die Annoncen bevorstehender Waffenthaten
meistens für absichtliche Täuschungen des Feindes hielt. Allein die gleichermaßen
angekündigte Zerstörung von Bvmarsund, die Besetzung der Insel Nargen, selbst
die kleinen Razzias gegen unbewaffnete Ostseehäfen sind nach dem Programm
ausgeführt worden. Ganz in gleicher Weise spielten die Dinge auf dem süd¬
lichen Kriegstheater; die Erpedition gegen Sebastopol ward sechs Wochen vor
ihrem, Unternehmen verkündet, Tag und Stunde ward festgesetzt, wie bei einer
Vorstellung im Hippodrom, und die Aufführung so ungestört begonnen, als
wärs ein lustiges Manöver mit „markirten Feinden".

Schon als! ein größerer Theil- der französischen Flotte den baltischen Kampf¬
platz verließ, versicherte die englische Presse, Sir Charles werde den Herbst¬
stürmen nicht weichen, ohne vorher eine erklecklichere Kriegsthat ausgeführt zu
habe», als die bisherigen. . .

Gelehrte strategische Forscher, welche aus der Studirstube zu Augsburg
oder in der Wilhelmsstraße zu Berlin vor jedem gegenrussischen Angriffe die Un¬
möglichkeit seines Gelingens und hinter jedem Erfolge beweisen, daß es gar
kein Erfolg gewesen sei, werden ihre Kriegsweisheit auch dies Mal nicht vor-
emhalten. Sie werden erörtern, Revals Bombardement erscheine eine ebenso
nutzlose als ruhmlose Grausamkeit, wie sie denn auch schon dem Wandalismus,
welcher durch Zerstörung der Waldungen auf der Insel Nargen (NargöeS) be¬
gangen worden, ihre sittliche Entrüstung nicht stark genug bezeugen konnten.
Und warum? Weil der Kaiser von Nußland die Schonung dieser Wälder durch
einen besonderen Mas verfügt hatte. Der Ukas mag gegen die wälderverwüstenden
Gewohnheiten der dortigen Bauern sehr nützlich sein. Aber ein angreifender



^tun. der Redaction. — Das Interesse dieser Beschreibung wird wol dadurch
nicht geringer, daß das — anch nach unsrer Meinung ziemlich unnöthige — Bombardement
Von Reval nicht stattfindet.
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[0129] Reval.*) Ehemals pflegten d'le Feldherrn ihre beabsichtigten Kriegsoperationen nicht im voraus zu verkünden. Sie fürchteten sich dem Feinde zu verrathen. In¬ zwischen scheint gegenwärtig die Gewohnheit der Westmächte so ganz umgekehrt, daß das Publicum in der ersten Zeit die Annoncen bevorstehender Waffenthaten meistens für absichtliche Täuschungen des Feindes hielt. Allein die gleichermaßen angekündigte Zerstörung von Bvmarsund, die Besetzung der Insel Nargen, selbst die kleinen Razzias gegen unbewaffnete Ostseehäfen sind nach dem Programm ausgeführt worden. Ganz in gleicher Weise spielten die Dinge auf dem süd¬ lichen Kriegstheater; die Erpedition gegen Sebastopol ward sechs Wochen vor ihrem, Unternehmen verkündet, Tag und Stunde ward festgesetzt, wie bei einer Vorstellung im Hippodrom, und die Aufführung so ungestört begonnen, als wärs ein lustiges Manöver mit „markirten Feinden". Schon als! ein größerer Theil- der französischen Flotte den baltischen Kampf¬ platz verließ, versicherte die englische Presse, Sir Charles werde den Herbst¬ stürmen nicht weichen, ohne vorher eine erklecklichere Kriegsthat ausgeführt zu habe», als die bisherigen. . . Gelehrte strategische Forscher, welche aus der Studirstube zu Augsburg oder in der Wilhelmsstraße zu Berlin vor jedem gegenrussischen Angriffe die Un¬ möglichkeit seines Gelingens und hinter jedem Erfolge beweisen, daß es gar kein Erfolg gewesen sei, werden ihre Kriegsweisheit auch dies Mal nicht vor- emhalten. Sie werden erörtern, Revals Bombardement erscheine eine ebenso nutzlose als ruhmlose Grausamkeit, wie sie denn auch schon dem Wandalismus, welcher durch Zerstörung der Waldungen auf der Insel Nargen (NargöeS) be¬ gangen worden, ihre sittliche Entrüstung nicht stark genug bezeugen konnten. Und warum? Weil der Kaiser von Nußland die Schonung dieser Wälder durch einen besonderen Mas verfügt hatte. Der Ukas mag gegen die wälderverwüstenden Gewohnheiten der dortigen Bauern sehr nützlich sein. Aber ein angreifender ^tun. der Redaction. — Das Interesse dieser Beschreibung wird wol dadurch nicht geringer, daß das — anch nach unsrer Meinung ziemlich unnöthige — Bombardement Von Reval nicht stattfindet. Gcenjboren.' IV, '!8si, 1t)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/129>, abgerufen am 28.12.2024.