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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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schnell und entschieden Wieder gutmachen, Preußen kann es noch thun, es
kann es sogar noch auf eine würdige Weise thun. Die Ehre des ganzen
preußischen Volks gibt ihm dazu die Mittel an die Hand. Wenn Preußen
sich den gerechten Anforderungen Oestreichs bequemt, so kaun es dabei das
volle Selbstgefühl einer stark entwickelten Staatsgewalt und einer durch ge¬
schichtliche Bande geketteten Nation entwickeln,. Und wenn das geschieht, so
wird Oestreich klug genug sein, alles das wieder gutzumachen, was in sei¬
nem letzten Schritt für dieses Selbstgefühl Verletzendes liegen könnte.

Möchte Preußen sich schnell entscheiden, Wir hegen vor dem berühmten
"zu spät" nicht jene abergläubische Furcht, die jede Minute nach der Uhr sieht,
aber es kommt allerdings eine Zeit, wo das Gespenst ungerufen eintritt.




Neue Romane.

Ludwig Tiecks gesammelte Novellen. Vollständige Ausgabe in 12 Bünden.
Berlin, G. Reimer. --

Der elfte Band dieser Sammlung ist jetzt erschienen und wir benutzen
diese Gelegenheit, unsrem Versprechen gemäß eine chronologisch geordnete
kurze Skizze der einzelnen Novellen zu geben, mit Ausschluß derjenigen, die
wir bereits besprochen haben und mit dem Vorbehalt", beim Erscheinen der
letzten Lieferung den Schluß hinzuzufügen.'

Die Gemälde (182Z), die erste derNovellen, mit welcher Tieck seine
neue künstlerische Thätigkeit eröffnete, ein Jahr, nachdem durch Hoffmanns
Tod das Feld sür die Novellisten freigemacht war, ist vielleicht der glücklichste
Griff, den der Dichter überhaupt gemacht hat. Zwar ist in der Anlage der
Novelle das Vorbild Hoffmanns mit seinen sämmtlichen Vorzügen und Fehlern
nicht zu verkennen. Es kommt dem Dichter nur auf Bilder, Anschauungen,
Stimmungen und Ideen an; die Ereignisse und Charaktere müssen sich diesen
Bedürfnissen fügen: aber die. Bilder sind in der That von einer bezaubernden
Anmuth und Frische, und was die Ansichten, namentlich über Kunst, betrifft,
so hat Tieck vor Hoffmann den unverkennbaren Vorzug größerer Bildung
voraus. Hoffmann geht immer völlig in seinen Kunstenthustaömus auf. Wer
nicht von vornherein mit ihm übereinstimmt, oder nicht wenigstens die gleiche
enthusiastische Anlage mitbringt, wird seiner Schilderungen bald müde. Tieck
dagegen befriedigt den Spötter wie den Gläubigen. Zuerst geht er mit dem
größten Ernst auf den Idealismus der Kunst ein, dann aber regt sich plötzlich
unvermuthet der Schalk, und der classische wie der romantische Kunstbegriff, die
Kennerschaft wie der Dilettantismus, werden mit gleichem Spott übergössen.


schnell und entschieden Wieder gutmachen, Preußen kann es noch thun, es
kann es sogar noch auf eine würdige Weise thun. Die Ehre des ganzen
preußischen Volks gibt ihm dazu die Mittel an die Hand. Wenn Preußen
sich den gerechten Anforderungen Oestreichs bequemt, so kaun es dabei das
volle Selbstgefühl einer stark entwickelten Staatsgewalt und einer durch ge¬
schichtliche Bande geketteten Nation entwickeln,. Und wenn das geschieht, so
wird Oestreich klug genug sein, alles das wieder gutzumachen, was in sei¬
nem letzten Schritt für dieses Selbstgefühl Verletzendes liegen könnte.

Möchte Preußen sich schnell entscheiden, Wir hegen vor dem berühmten
„zu spät" nicht jene abergläubische Furcht, die jede Minute nach der Uhr sieht,
aber es kommt allerdings eine Zeit, wo das Gespenst ungerufen eintritt.




Neue Romane.

Ludwig Tiecks gesammelte Novellen. Vollständige Ausgabe in 12 Bünden.
Berlin, G. Reimer. —

Der elfte Band dieser Sammlung ist jetzt erschienen und wir benutzen
diese Gelegenheit, unsrem Versprechen gemäß eine chronologisch geordnete
kurze Skizze der einzelnen Novellen zu geben, mit Ausschluß derjenigen, die
wir bereits besprochen haben und mit dem Vorbehalt«, beim Erscheinen der
letzten Lieferung den Schluß hinzuzufügen.'

Die Gemälde (182Z), die erste derNovellen, mit welcher Tieck seine
neue künstlerische Thätigkeit eröffnete, ein Jahr, nachdem durch Hoffmanns
Tod das Feld sür die Novellisten freigemacht war, ist vielleicht der glücklichste
Griff, den der Dichter überhaupt gemacht hat. Zwar ist in der Anlage der
Novelle das Vorbild Hoffmanns mit seinen sämmtlichen Vorzügen und Fehlern
nicht zu verkennen. Es kommt dem Dichter nur auf Bilder, Anschauungen,
Stimmungen und Ideen an; die Ereignisse und Charaktere müssen sich diesen
Bedürfnissen fügen: aber die. Bilder sind in der That von einer bezaubernden
Anmuth und Frische, und was die Ansichten, namentlich über Kunst, betrifft,
so hat Tieck vor Hoffmann den unverkennbaren Vorzug größerer Bildung
voraus. Hoffmann geht immer völlig in seinen Kunstenthustaömus auf. Wer
nicht von vornherein mit ihm übereinstimmt, oder nicht wenigstens die gleiche
enthusiastische Anlage mitbringt, wird seiner Schilderungen bald müde. Tieck
dagegen befriedigt den Spötter wie den Gläubigen. Zuerst geht er mit dem
größten Ernst auf den Idealismus der Kunst ein, dann aber regt sich plötzlich
unvermuthet der Schalk, und der classische wie der romantische Kunstbegriff, die
Kennerschaft wie der Dilettantismus, werden mit gleichem Spott übergössen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/108>, abgerufen am 22.07.2024.