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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Der philosophische Stil.

Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen
von Prof. Theod. Bischer. 3. Thl.: Die Kunstlehre. <2. Abschnitt:
Die Künste, ö. Hest: Die Malerei. Stuttgart, Mcicken. --

Wir haben bis jetzt noch keine Gelegenheit gefunden, aus dies bedeu¬
tende Werk, welches um bereits zu einem höchst ansehnlichen Umfang ange¬
schwollen ist, näher einzugehen; wir wollen auch heute, da uns ein neuer
Band vorliegt, nur eine bestimmte Seite desselben ins Auge fassen. Denn die
Aesthetik ist die Frucht vieljähriger Studien, vielleicht der Arbeit eines ganzen
Lebens, sie regt nach 'allen Seiten hin zu fruchtbarem Nachdenken an, und es würde
daher unangemessen sein, uns mit einem kurzen Bericht über die Punkte, die wir
als Fortschritt der Wissenschaft bezeichnen, und über die Abweichungen unsrer
Ansichten damit abzufinden. Wer das Vischersche Werk nicht mit oberflächlicher
Anschauung, sondern mit ernstem Nachdenken betrachtet hat, wird gewiß gleich
uns von zwei verschiedenen Empfindungen bewegt werden; er wird einerseits
die Reichhaltigkeit des Materials sowol mit Beziehung auf die metaphysischen
Grundgedanken, als auf die eigentlichen.artistischen Bestimmungen mit Dank
und Bewunderung hinnehmen, er wird aber andrerseits bedauern, daß durch
die eigenthümliche Form und Composition des Werks die praktische Benutzung
dieses Materials sehr erschwert, ja zum Theil ganz unmöglich gemacht ist. Den
Grund davon suchen wir theils in dem Stil, theils in der vermeintlichen Sy¬
stematik des Werks. Wir wenden unsre Aufmerksamkeit zunächst auf den
ersten Punkt.

Seit Schelling und Jacobi hat sich in der Philosophie ein Stil ausge¬
bildet, der zwar durch die verschiedenen späteren Philosophen mannigfaltig mo-
dificirt worden ist, und gegen den sich gegenwärtig eine ziemlich starke Reaction
erhebt, namentlich seitdem wir uns wieder herabgelassen haben, die früher
so verachtete Philosophie der Engländer und Franzosen ernsthaft ins Auge
zu fassen, dem wir aber doch noch in sehr bedeutenden Schriften begegnen, und


- Grenzboten. III. 18at. 6
Der philosophische Stil.

Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen
von Prof. Theod. Bischer. 3. Thl.: Die Kunstlehre. <2. Abschnitt:
Die Künste, ö. Hest: Die Malerei. Stuttgart, Mcicken. —

Wir haben bis jetzt noch keine Gelegenheit gefunden, aus dies bedeu¬
tende Werk, welches um bereits zu einem höchst ansehnlichen Umfang ange¬
schwollen ist, näher einzugehen; wir wollen auch heute, da uns ein neuer
Band vorliegt, nur eine bestimmte Seite desselben ins Auge fassen. Denn die
Aesthetik ist die Frucht vieljähriger Studien, vielleicht der Arbeit eines ganzen
Lebens, sie regt nach 'allen Seiten hin zu fruchtbarem Nachdenken an, und es würde
daher unangemessen sein, uns mit einem kurzen Bericht über die Punkte, die wir
als Fortschritt der Wissenschaft bezeichnen, und über die Abweichungen unsrer
Ansichten damit abzufinden. Wer das Vischersche Werk nicht mit oberflächlicher
Anschauung, sondern mit ernstem Nachdenken betrachtet hat, wird gewiß gleich
uns von zwei verschiedenen Empfindungen bewegt werden; er wird einerseits
die Reichhaltigkeit des Materials sowol mit Beziehung auf die metaphysischen
Grundgedanken, als auf die eigentlichen.artistischen Bestimmungen mit Dank
und Bewunderung hinnehmen, er wird aber andrerseits bedauern, daß durch
die eigenthümliche Form und Composition des Werks die praktische Benutzung
dieses Materials sehr erschwert, ja zum Theil ganz unmöglich gemacht ist. Den
Grund davon suchen wir theils in dem Stil, theils in der vermeintlichen Sy¬
stematik des Werks. Wir wenden unsre Aufmerksamkeit zunächst auf den
ersten Punkt.

Seit Schelling und Jacobi hat sich in der Philosophie ein Stil ausge¬
bildet, der zwar durch die verschiedenen späteren Philosophen mannigfaltig mo-
dificirt worden ist, und gegen den sich gegenwärtig eine ziemlich starke Reaction
erhebt, namentlich seitdem wir uns wieder herabgelassen haben, die früher
so verachtete Philosophie der Engländer und Franzosen ernsthaft ins Auge
zu fassen, dem wir aber doch noch in sehr bedeutenden Schriften begegnen, und


- Grenzboten. III. 18at. 6
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[0049] Der philosophische Stil. Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen von Prof. Theod. Bischer. 3. Thl.: Die Kunstlehre. <2. Abschnitt: Die Künste, ö. Hest: Die Malerei. Stuttgart, Mcicken. — Wir haben bis jetzt noch keine Gelegenheit gefunden, aus dies bedeu¬ tende Werk, welches um bereits zu einem höchst ansehnlichen Umfang ange¬ schwollen ist, näher einzugehen; wir wollen auch heute, da uns ein neuer Band vorliegt, nur eine bestimmte Seite desselben ins Auge fassen. Denn die Aesthetik ist die Frucht vieljähriger Studien, vielleicht der Arbeit eines ganzen Lebens, sie regt nach 'allen Seiten hin zu fruchtbarem Nachdenken an, und es würde daher unangemessen sein, uns mit einem kurzen Bericht über die Punkte, die wir als Fortschritt der Wissenschaft bezeichnen, und über die Abweichungen unsrer Ansichten damit abzufinden. Wer das Vischersche Werk nicht mit oberflächlicher Anschauung, sondern mit ernstem Nachdenken betrachtet hat, wird gewiß gleich uns von zwei verschiedenen Empfindungen bewegt werden; er wird einerseits die Reichhaltigkeit des Materials sowol mit Beziehung auf die metaphysischen Grundgedanken, als auf die eigentlichen.artistischen Bestimmungen mit Dank und Bewunderung hinnehmen, er wird aber andrerseits bedauern, daß durch die eigenthümliche Form und Composition des Werks die praktische Benutzung dieses Materials sehr erschwert, ja zum Theil ganz unmöglich gemacht ist. Den Grund davon suchen wir theils in dem Stil, theils in der vermeintlichen Sy¬ stematik des Werks. Wir wenden unsre Aufmerksamkeit zunächst auf den ersten Punkt. Seit Schelling und Jacobi hat sich in der Philosophie ein Stil ausge¬ bildet, der zwar durch die verschiedenen späteren Philosophen mannigfaltig mo- dificirt worden ist, und gegen den sich gegenwärtig eine ziemlich starke Reaction erhebt, namentlich seitdem wir uns wieder herabgelassen haben, die früher so verachtete Philosophie der Engländer und Franzosen ernsthaft ins Auge zu fassen, dem wir aber doch noch in sehr bedeutenden Schriften begegnen, und - Grenzboten. III. 18at. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/49>, abgerufen am 27.07.2024.