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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Die Belagerung Silistrias durch die Russen.

- Die Belagerung der Festung Silistria, welche seit Mitte Mai auf dem rechten
Ufer der Donau von den Russen eröffnet wurde, dauert in diesem Augenblicke
wahrscheinlich noch fort, indeß aus dem, was sich seither, namentlich im Laufe
der drei letzten Wochen, vor dem Platze ereignete, hat man die frohe Ueber¬
zeugung gewonnen, daß derselbe nicht fallen wird. Sein Widerstand, einer
Angriffsmacht gegenüber, die man mit ö0,000 Mann nicht zu hoch anschlägt,
wird nicht nur in der Geschichte dieses Krieges, sondern allgemein ge¬
nommen in den militärischen Annalen Epoche machen. Zum ersten Male
vielleicht in der ganzen Kriegsgeschichte bietet Silistria das Beispiel für den
theoretisch schon oft erörterten Fall, in welchem die Ausdehnung der vorge¬
schobenen Vertheidigungslinie (d. h. der Linie der dctachirten Forts) den Be¬
lagerer zwingt, auf eine Einschließung, eine weitere sowol wie engere, zu
verzichten, seinen Angriff auf einen Flügel zu beschränken und mit den Sap¬
penarbeiten vorzuschreiten, bevor dem Vertheidiger die Verbindung mit seinen
rückwärtigen Hilfsmitteln abgeschnitten ist. Ein solches Verhältniß ist der¬
maßen abnorm und seine Bedeutung in Hinsicht auf die neuere Form der
Befestigung so tiefgreifend, daß eS nicht zu viel behaupten heißt, wenn man
sagt, die Grundsätze der neuern Befestigung hätten damit ihre erste Probe be¬
standen.

Was die neuere Befestigungskunst zu dem gestaltete, als welches sie jetzt
dasteht, zu einem in sich consequenten System, das ist im Grunde genommen
derselbe Gedanke, welcher den Kern der heutigen Taktik ausmacht, nämlich
daß man für jedweden auf die siegreiche Durchführung berechneten Kampf
einer dreifachen Ordnung von Kräften, einer Masse zur Einleitung, einer
anderen zur Durchführung und einer dritten zur Entscheidung -- im ungün¬
stigen Fall zur Deckung des Rückzugs bedarf. Nach dieser Grundregel formirt
man auf dem Schlachtfelde die Vorhut, das Haupttreffen und den Rückhalt
oder die Reserve. In der Befestigungskunst entsprechen dieser Dreigliederung
die detaschirten Forts, die Festung selbst und ihr Kernwerk oder Hauptreduit.
Erstere, die Forts, sind es, mit denen man den Widerstand einleitet. Die
weiten Intervallen zwischen ihnen entsprechen gleichsam der zerstreuten Fechtart
der Vortruppen. Eine Entscheidung des Kampfes ist aber erst dann erreicht,
wenn im Widerstande des Kernwerkes oder Hauptreduits die fortificatvrische
Reserve selbst gebrochen worden.

Auf den vorliegenden Fall angewendet, ertheilt dies für die hier gezogene
Parallele nachstehende Resultate. Silistria hat vor dem Corps de place oder
der Festung selbst eine aus sehr -detachirten Werken bestehende vorgeschobene


Die Belagerung Silistrias durch die Russen.

- Die Belagerung der Festung Silistria, welche seit Mitte Mai auf dem rechten
Ufer der Donau von den Russen eröffnet wurde, dauert in diesem Augenblicke
wahrscheinlich noch fort, indeß aus dem, was sich seither, namentlich im Laufe
der drei letzten Wochen, vor dem Platze ereignete, hat man die frohe Ueber¬
zeugung gewonnen, daß derselbe nicht fallen wird. Sein Widerstand, einer
Angriffsmacht gegenüber, die man mit ö0,000 Mann nicht zu hoch anschlägt,
wird nicht nur in der Geschichte dieses Krieges, sondern allgemein ge¬
nommen in den militärischen Annalen Epoche machen. Zum ersten Male
vielleicht in der ganzen Kriegsgeschichte bietet Silistria das Beispiel für den
theoretisch schon oft erörterten Fall, in welchem die Ausdehnung der vorge¬
schobenen Vertheidigungslinie (d. h. der Linie der dctachirten Forts) den Be¬
lagerer zwingt, auf eine Einschließung, eine weitere sowol wie engere, zu
verzichten, seinen Angriff auf einen Flügel zu beschränken und mit den Sap¬
penarbeiten vorzuschreiten, bevor dem Vertheidiger die Verbindung mit seinen
rückwärtigen Hilfsmitteln abgeschnitten ist. Ein solches Verhältniß ist der¬
maßen abnorm und seine Bedeutung in Hinsicht auf die neuere Form der
Befestigung so tiefgreifend, daß eS nicht zu viel behaupten heißt, wenn man
sagt, die Grundsätze der neuern Befestigung hätten damit ihre erste Probe be¬
standen.

Was die neuere Befestigungskunst zu dem gestaltete, als welches sie jetzt
dasteht, zu einem in sich consequenten System, das ist im Grunde genommen
derselbe Gedanke, welcher den Kern der heutigen Taktik ausmacht, nämlich
daß man für jedweden auf die siegreiche Durchführung berechneten Kampf
einer dreifachen Ordnung von Kräften, einer Masse zur Einleitung, einer
anderen zur Durchführung und einer dritten zur Entscheidung — im ungün¬
stigen Fall zur Deckung des Rückzugs bedarf. Nach dieser Grundregel formirt
man auf dem Schlachtfelde die Vorhut, das Haupttreffen und den Rückhalt
oder die Reserve. In der Befestigungskunst entsprechen dieser Dreigliederung
die detaschirten Forts, die Festung selbst und ihr Kernwerk oder Hauptreduit.
Erstere, die Forts, sind es, mit denen man den Widerstand einleitet. Die
weiten Intervallen zwischen ihnen entsprechen gleichsam der zerstreuten Fechtart
der Vortruppen. Eine Entscheidung des Kampfes ist aber erst dann erreicht,
wenn im Widerstande des Kernwerkes oder Hauptreduits die fortificatvrische
Reserve selbst gebrochen worden.

Auf den vorliegenden Fall angewendet, ertheilt dies für die hier gezogene
Parallele nachstehende Resultate. Silistria hat vor dem Corps de place oder
der Festung selbst eine aus sehr -detachirten Werken bestehende vorgeschobene


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[0032] Die Belagerung Silistrias durch die Russen. - Die Belagerung der Festung Silistria, welche seit Mitte Mai auf dem rechten Ufer der Donau von den Russen eröffnet wurde, dauert in diesem Augenblicke wahrscheinlich noch fort, indeß aus dem, was sich seither, namentlich im Laufe der drei letzten Wochen, vor dem Platze ereignete, hat man die frohe Ueber¬ zeugung gewonnen, daß derselbe nicht fallen wird. Sein Widerstand, einer Angriffsmacht gegenüber, die man mit ö0,000 Mann nicht zu hoch anschlägt, wird nicht nur in der Geschichte dieses Krieges, sondern allgemein ge¬ nommen in den militärischen Annalen Epoche machen. Zum ersten Male vielleicht in der ganzen Kriegsgeschichte bietet Silistria das Beispiel für den theoretisch schon oft erörterten Fall, in welchem die Ausdehnung der vorge¬ schobenen Vertheidigungslinie (d. h. der Linie der dctachirten Forts) den Be¬ lagerer zwingt, auf eine Einschließung, eine weitere sowol wie engere, zu verzichten, seinen Angriff auf einen Flügel zu beschränken und mit den Sap¬ penarbeiten vorzuschreiten, bevor dem Vertheidiger die Verbindung mit seinen rückwärtigen Hilfsmitteln abgeschnitten ist. Ein solches Verhältniß ist der¬ maßen abnorm und seine Bedeutung in Hinsicht auf die neuere Form der Befestigung so tiefgreifend, daß eS nicht zu viel behaupten heißt, wenn man sagt, die Grundsätze der neuern Befestigung hätten damit ihre erste Probe be¬ standen. Was die neuere Befestigungskunst zu dem gestaltete, als welches sie jetzt dasteht, zu einem in sich consequenten System, das ist im Grunde genommen derselbe Gedanke, welcher den Kern der heutigen Taktik ausmacht, nämlich daß man für jedweden auf die siegreiche Durchführung berechneten Kampf einer dreifachen Ordnung von Kräften, einer Masse zur Einleitung, einer anderen zur Durchführung und einer dritten zur Entscheidung — im ungün¬ stigen Fall zur Deckung des Rückzugs bedarf. Nach dieser Grundregel formirt man auf dem Schlachtfelde die Vorhut, das Haupttreffen und den Rückhalt oder die Reserve. In der Befestigungskunst entsprechen dieser Dreigliederung die detaschirten Forts, die Festung selbst und ihr Kernwerk oder Hauptreduit. Erstere, die Forts, sind es, mit denen man den Widerstand einleitet. Die weiten Intervallen zwischen ihnen entsprechen gleichsam der zerstreuten Fechtart der Vortruppen. Eine Entscheidung des Kampfes ist aber erst dann erreicht, wenn im Widerstande des Kernwerkes oder Hauptreduits die fortificatvrische Reserve selbst gebrochen worden. Auf den vorliegenden Fall angewendet, ertheilt dies für die hier gezogene Parallele nachstehende Resultate. Silistria hat vor dem Corps de place oder der Festung selbst eine aus sehr -detachirten Werken bestehende vorgeschobene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/32>, abgerufen am 27.07.2024.