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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Eriimermlgen an I. G. Fichte.
i.

I. G. Fichtes sämmtliche Werfe, Herausgegeben von I. H. Fichte. Bd. 1--8.
Berlin 1845, Veit <5omp> --

Es war im Jahre 1790, als der Kandidat der Theologie Johann
Gottlob Fichte, mit Empfehlungsbriefen von Lavater und andern schweizer
Notabilitäten versehen, in Weimar ankann Er war nicht mehr jung, aber er
hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich auszuzeichnen. 1762 in großer Dürf¬
tigkeit in der Lausitz 'geboren, hatte er es nur einem günstigen Zufall zu ver¬
danken, daß ein Baron von Miltitz auf sein Talent zum Predigen aufmerksam
wurde und ihn in Jena studiren ließ. Aber auch seitdem hatte er immer mit
Noth und Sorge zu kämpfen gehabt, bis er endlich 1787 eine Hauslehrer-
stelle in Zürich erhielt. Dort hatte er sich mit einem Mädchen verlobt, einer
Nichte Klopstocks, vier Jahre älter als er selbst, und suchte nun einen Haus¬
stand zu gründen.

Seine Bemühungen in Weimar schlugen fehl; er begab sich nach Leipzig,
wo er kümmerlich von Privatstunden lebte. Zufällig fanden sich ein paar
junge Leute, welche sich mit der Kantischen Philosophie bekannt machen woll¬
ten: sie forderten Fichte auf, ihnen darin behilflich zu sein, und das wurde
für diesen die Veranlassung, die Hauptwerke Kants zu studiren. Mit diesem
Studium beginnt eine so vollständige Revolution in seinem Leben, wie sie
wol kaum ein einzelner erlebt hat.

Die Kantische Philosophie herrschte damals in Deutschland, auf allen
Universitäten waren die Lehrstühle von Kantianern besetzt; man kann aber
nicht sagen, daß dadurch im wirklichen Inhalt des öffentlichen Bewußtseins
viel geändert wäre. Denn jene guten Philosophen trugen in den hochklin¬
genden Formeln der Schulsprache nichts Anderes vor, als die hergebrachten
Ideen. Die Paragraphen des Systems behielten sie bei, aber sie füllten sie


Greiizbotcn. III. -liW. 31
Eriimermlgen an I. G. Fichte.
i.

I. G. Fichtes sämmtliche Werfe, Herausgegeben von I. H. Fichte. Bd. 1—8.
Berlin 1845, Veit <5omp> —

Es war im Jahre 1790, als der Kandidat der Theologie Johann
Gottlob Fichte, mit Empfehlungsbriefen von Lavater und andern schweizer
Notabilitäten versehen, in Weimar ankann Er war nicht mehr jung, aber er
hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich auszuzeichnen. 1762 in großer Dürf¬
tigkeit in der Lausitz 'geboren, hatte er es nur einem günstigen Zufall zu ver¬
danken, daß ein Baron von Miltitz auf sein Talent zum Predigen aufmerksam
wurde und ihn in Jena studiren ließ. Aber auch seitdem hatte er immer mit
Noth und Sorge zu kämpfen gehabt, bis er endlich 1787 eine Hauslehrer-
stelle in Zürich erhielt. Dort hatte er sich mit einem Mädchen verlobt, einer
Nichte Klopstocks, vier Jahre älter als er selbst, und suchte nun einen Haus¬
stand zu gründen.

Seine Bemühungen in Weimar schlugen fehl; er begab sich nach Leipzig,
wo er kümmerlich von Privatstunden lebte. Zufällig fanden sich ein paar
junge Leute, welche sich mit der Kantischen Philosophie bekannt machen woll¬
ten: sie forderten Fichte auf, ihnen darin behilflich zu sein, und das wurde
für diesen die Veranlassung, die Hauptwerke Kants zu studiren. Mit diesem
Studium beginnt eine so vollständige Revolution in seinem Leben, wie sie
wol kaum ein einzelner erlebt hat.

Die Kantische Philosophie herrschte damals in Deutschland, auf allen
Universitäten waren die Lehrstühle von Kantianern besetzt; man kann aber
nicht sagen, daß dadurch im wirklichen Inhalt des öffentlichen Bewußtseins
viel geändert wäre. Denn jene guten Philosophen trugen in den hochklin¬
genden Formeln der Schulsprache nichts Anderes vor, als die hergebrachten
Ideen. Die Paragraphen des Systems behielten sie bei, aber sie füllten sie


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[0249] Eriimermlgen an I. G. Fichte. i. I. G. Fichtes sämmtliche Werfe, Herausgegeben von I. H. Fichte. Bd. 1—8. Berlin 1845, Veit <5omp> — Es war im Jahre 1790, als der Kandidat der Theologie Johann Gottlob Fichte, mit Empfehlungsbriefen von Lavater und andern schweizer Notabilitäten versehen, in Weimar ankann Er war nicht mehr jung, aber er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich auszuzeichnen. 1762 in großer Dürf¬ tigkeit in der Lausitz 'geboren, hatte er es nur einem günstigen Zufall zu ver¬ danken, daß ein Baron von Miltitz auf sein Talent zum Predigen aufmerksam wurde und ihn in Jena studiren ließ. Aber auch seitdem hatte er immer mit Noth und Sorge zu kämpfen gehabt, bis er endlich 1787 eine Hauslehrer- stelle in Zürich erhielt. Dort hatte er sich mit einem Mädchen verlobt, einer Nichte Klopstocks, vier Jahre älter als er selbst, und suchte nun einen Haus¬ stand zu gründen. Seine Bemühungen in Weimar schlugen fehl; er begab sich nach Leipzig, wo er kümmerlich von Privatstunden lebte. Zufällig fanden sich ein paar junge Leute, welche sich mit der Kantischen Philosophie bekannt machen woll¬ ten: sie forderten Fichte auf, ihnen darin behilflich zu sein, und das wurde für diesen die Veranlassung, die Hauptwerke Kants zu studiren. Mit diesem Studium beginnt eine so vollständige Revolution in seinem Leben, wie sie wol kaum ein einzelner erlebt hat. Die Kantische Philosophie herrschte damals in Deutschland, auf allen Universitäten waren die Lehrstühle von Kantianern besetzt; man kann aber nicht sagen, daß dadurch im wirklichen Inhalt des öffentlichen Bewußtseins viel geändert wäre. Denn jene guten Philosophen trugen in den hochklin¬ genden Formeln der Schulsprache nichts Anderes vor, als die hergebrachten Ideen. Die Paragraphen des Systems behielten sie bei, aber sie füllten sie Greiizbotcn. III. -liW. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/249>, abgerufen am 27.07.2024.