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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Der 5l,iiril"ger Wald.
Aus Mein Jnger.

Im Innern Deutschlands, gleichweit von den Alpen und der Nord- und
Ostsee ist der thüringer Wald als ein von SO. nach NW. gerichteter Ge-
birgSstrahl aufgeschossen, der das vogtländischc und fichtclgebirgische Hochland
mit der Rhön und dem Harz verbindet, somit ein weites Thor im großen
mitteldeutschen Gebirgszug füllt und überbrückt und dadurch das Bergnetz
schließt, aber zugleich auch als hohe, scharflinirte Landzunge die fränkische und
thüringische, oder, greift man weiter, die oberdeutsche und niederdeutsche Ebene
trennt. Diese Stellung gab dem Gebirge in geographischer, historischer und
industrieller Hinsicht charakteristische Eigenthümlichkeiten. Zwar ist seine ur¬
sprünglich geographische Bestimmung, die Rhein- und Elbwasser zu scheiden,
für den Südosten des Gebirgs, der mit seinen Rinnwassern südlich den Main,
nördlich die Elbsaale speist, bis zur Stunde erhalten, sür den Nordmesttheil,
der noch heute gleichsam zur Erinnerung an den alten Zustand einen leichten
Uebergang im Norden zur Elbe, im Süden zum Main darlegt, durchaus auf¬
gehoben; aber die übrigen ursprünglichen Verhältnisse sind hier geblieben, wie
sie seit Menschengedenken bestanden.

So schied der thüringer Wald in uralter Zeit die nordischen Gewässer
von den Fluten des Mainbeckens und deshalb wurden die erratischen Granit¬
trümmer Skandinaviens nur bis an den Nvrdsust desselben getragen. Noch
jetzt aber übt er die uralte Function des Svnderns, denn er ist nicht allein
eine Wind- und Wetterscheide der deutschen Süd- und Nordlande und nicht
allein eine scharftrennende Markung zwischen der oberdeutschen Mulde und
der niederdeutschen schiefen Ebene, zweien Flächen, die in Richtung, Hohe
und Naturausdruck verschieden sind, sondern er scheidet ganz vorzüglich das
deutsche Volk sammt Sprache, Sprechton, Tracht, Handel und Wandel in


Grenzl'oder. III. I8si- 26
Der 5l,iiril»ger Wald.
Aus Mein Jnger.

Im Innern Deutschlands, gleichweit von den Alpen und der Nord- und
Ostsee ist der thüringer Wald als ein von SO. nach NW. gerichteter Ge-
birgSstrahl aufgeschossen, der das vogtländischc und fichtclgebirgische Hochland
mit der Rhön und dem Harz verbindet, somit ein weites Thor im großen
mitteldeutschen Gebirgszug füllt und überbrückt und dadurch das Bergnetz
schließt, aber zugleich auch als hohe, scharflinirte Landzunge die fränkische und
thüringische, oder, greift man weiter, die oberdeutsche und niederdeutsche Ebene
trennt. Diese Stellung gab dem Gebirge in geographischer, historischer und
industrieller Hinsicht charakteristische Eigenthümlichkeiten. Zwar ist seine ur¬
sprünglich geographische Bestimmung, die Rhein- und Elbwasser zu scheiden,
für den Südosten des Gebirgs, der mit seinen Rinnwassern südlich den Main,
nördlich die Elbsaale speist, bis zur Stunde erhalten, sür den Nordmesttheil,
der noch heute gleichsam zur Erinnerung an den alten Zustand einen leichten
Uebergang im Norden zur Elbe, im Süden zum Main darlegt, durchaus auf¬
gehoben; aber die übrigen ursprünglichen Verhältnisse sind hier geblieben, wie
sie seit Menschengedenken bestanden.

So schied der thüringer Wald in uralter Zeit die nordischen Gewässer
von den Fluten des Mainbeckens und deshalb wurden die erratischen Granit¬
trümmer Skandinaviens nur bis an den Nvrdsust desselben getragen. Noch
jetzt aber übt er die uralte Function des Svnderns, denn er ist nicht allein
eine Wind- und Wetterscheide der deutschen Süd- und Nordlande und nicht
allein eine scharftrennende Markung zwischen der oberdeutschen Mulde und
der niederdeutschen schiefen Ebene, zweien Flächen, die in Richtung, Hohe
und Naturausdruck verschieden sind, sondern er scheidet ganz vorzüglich das
deutsche Volk sammt Sprache, Sprechton, Tracht, Handel und Wandel in


Grenzl'oder. III. I8si- 26
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[0209] Der 5l,iiril»ger Wald. Aus Mein Jnger. Im Innern Deutschlands, gleichweit von den Alpen und der Nord- und Ostsee ist der thüringer Wald als ein von SO. nach NW. gerichteter Ge- birgSstrahl aufgeschossen, der das vogtländischc und fichtclgebirgische Hochland mit der Rhön und dem Harz verbindet, somit ein weites Thor im großen mitteldeutschen Gebirgszug füllt und überbrückt und dadurch das Bergnetz schließt, aber zugleich auch als hohe, scharflinirte Landzunge die fränkische und thüringische, oder, greift man weiter, die oberdeutsche und niederdeutsche Ebene trennt. Diese Stellung gab dem Gebirge in geographischer, historischer und industrieller Hinsicht charakteristische Eigenthümlichkeiten. Zwar ist seine ur¬ sprünglich geographische Bestimmung, die Rhein- und Elbwasser zu scheiden, für den Südosten des Gebirgs, der mit seinen Rinnwassern südlich den Main, nördlich die Elbsaale speist, bis zur Stunde erhalten, sür den Nordmesttheil, der noch heute gleichsam zur Erinnerung an den alten Zustand einen leichten Uebergang im Norden zur Elbe, im Süden zum Main darlegt, durchaus auf¬ gehoben; aber die übrigen ursprünglichen Verhältnisse sind hier geblieben, wie sie seit Menschengedenken bestanden. So schied der thüringer Wald in uralter Zeit die nordischen Gewässer von den Fluten des Mainbeckens und deshalb wurden die erratischen Granit¬ trümmer Skandinaviens nur bis an den Nvrdsust desselben getragen. Noch jetzt aber übt er die uralte Function des Svnderns, denn er ist nicht allein eine Wind- und Wetterscheide der deutschen Süd- und Nordlande und nicht allein eine scharftrennende Markung zwischen der oberdeutschen Mulde und der niederdeutschen schiefen Ebene, zweien Flächen, die in Richtung, Hohe und Naturausdruck verschieden sind, sondern er scheidet ganz vorzüglich das deutsche Volk sammt Sprache, Sprechton, Tracht, Handel und Wandel in Grenzl'oder. III. I8si- 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/209>, abgerufen am 31.08.2024.