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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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wollen wir hier nicht entscheiden. Daß sie den Willen dazu hat, wird kein Ein¬
sichtiger bezweifeln. Und wir fragen, wo find die Mittel, ihr entgegenzuarbeiten?

In den Personen, die bei uns Macht und Einfluß haben, und deren Rath¬
schläge bis zum Ohre des Königs dringen, können wir diese Mittel nicht entdecken,
am wenigsten wirksame Mittel.

Hat die öffentliche Meinung sich mit solcher Einsicht und Kraft erhoben,
daß sie einer gewissen Berücksichtigung auch bei solchen Personen sicher sein könnte,
welche die Nichtachtung der öffentlichen Meinung als eine hervorstechende Blüte
staatsmännischer Weisheit zu betrachten gewohnt sind? Wir glauben nicht. Ein
Theil der unabhängigen Presse hat sogar mit auffälliger Beflissenheit die Ansicht
zu verbreiten gesucht, daß die preußische Politik zwar langsam fortgehe, aber doch
ganz aus dem richtigen Wege sei.

Was bleibt übrig? Die Macht der Dinge, -- sagt man.


"Denn eben wo Begriffe fehlen
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein."

Ist die Macht der Dinge eine geheimnißvolle, außer uns stehende Größe, die
nach eignen Gesetzen ohne menschliches Zuthun wächst und wirkt? Sie war groß
genug, Preußen zu einem Einverständniß mit den europäischen Mackler in Bezug
auf die Rechtsfrage zu führen, doch zu schwach, um Preußen zum Handeln zu be¬
wege". Mit dem fatalistischen Glauben, daß die Macht der Dinge von selbst größer
werden wird und daß der Mensch die Hände in den Schoß legen könne, mag sich
trösten,- wer dazu Lust hat; der praktische Politiker wird sich der Aufgabe nicht ent-
schlagen können, selbstthätig die Verhältnisse so zu gestalten, daß sie auf die Ent¬
schlüsse der Menschen Macht gewinnen. Werden die Staatsmänner Englands und
Frankreichs die richtigen Mittel ergreifen, um auf Preußen bestimmend einzuwirken?
Wenn man nach dem Gebahren der englischen Presse zu schließen berechtigt ist, so
muß man sehr daran zweifeln.


Ans Konstantinopel,
--

-- Gestern am Spätnachmittag
erscholl dumpfer Kanonendonner die wenigsten wußten, warum es sich handelte:
man beerdigte den bei Zerstörung der russischen Batterien an den Donaumündungen
gebliebenen Capitän. Er ist der zweite dieses Ranges, den die britische Marine
seit Ausbruch des> Krieges im Pontus verliert. Capitän Giffard war der erste.
Der eine ruht nun in Odessa, auf russischem Boden, der andere unter den hohen,
schlanken Cypressen zu Stambul. Es war ein großer Zug. Dem Beruf des
Dahingeschiedenen entsprach es, daß eine mächtige, schwarz dccorirtc türkische Lafette
sein Trauerwagen wurde. Darauf stand der flache englische mit Krepp überzogene
Sarg. Die türkische und französische Marine war neben der britischen durch
Deputationen vertreten: ich weiß nicht, ob anch die östreichische. Natürlich fehlte
nicht Lord Stratsord.

Indeß war der Tag nicht allein der Trauer geweiht; am Abend zuvor hatte
man die Nachricht von einem glänzenden Siege empfangen, welchen der Commandant
, von Rustschuck über den doppelt so starken Feind (vor wenigen Tagen) davon ge¬
tragen. Die Russen wollten ihre Position bei Ginrgewo nicht eher verlassen, bevor
sie nicht einen Versuch noch gegen den feindlichen Platz gemacht hätten. Möglich,


wollen wir hier nicht entscheiden. Daß sie den Willen dazu hat, wird kein Ein¬
sichtiger bezweifeln. Und wir fragen, wo find die Mittel, ihr entgegenzuarbeiten?

In den Personen, die bei uns Macht und Einfluß haben, und deren Rath¬
schläge bis zum Ohre des Königs dringen, können wir diese Mittel nicht entdecken,
am wenigsten wirksame Mittel.

Hat die öffentliche Meinung sich mit solcher Einsicht und Kraft erhoben,
daß sie einer gewissen Berücksichtigung auch bei solchen Personen sicher sein könnte,
welche die Nichtachtung der öffentlichen Meinung als eine hervorstechende Blüte
staatsmännischer Weisheit zu betrachten gewohnt sind? Wir glauben nicht. Ein
Theil der unabhängigen Presse hat sogar mit auffälliger Beflissenheit die Ansicht
zu verbreiten gesucht, daß die preußische Politik zwar langsam fortgehe, aber doch
ganz aus dem richtigen Wege sei.

Was bleibt übrig? Die Macht der Dinge, — sagt man.


„Denn eben wo Begriffe fehlen
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein."

Ist die Macht der Dinge eine geheimnißvolle, außer uns stehende Größe, die
nach eignen Gesetzen ohne menschliches Zuthun wächst und wirkt? Sie war groß
genug, Preußen zu einem Einverständniß mit den europäischen Mackler in Bezug
auf die Rechtsfrage zu führen, doch zu schwach, um Preußen zum Handeln zu be¬
wege«. Mit dem fatalistischen Glauben, daß die Macht der Dinge von selbst größer
werden wird und daß der Mensch die Hände in den Schoß legen könne, mag sich
trösten,- wer dazu Lust hat; der praktische Politiker wird sich der Aufgabe nicht ent-
schlagen können, selbstthätig die Verhältnisse so zu gestalten, daß sie auf die Ent¬
schlüsse der Menschen Macht gewinnen. Werden die Staatsmänner Englands und
Frankreichs die richtigen Mittel ergreifen, um auf Preußen bestimmend einzuwirken?
Wenn man nach dem Gebahren der englischen Presse zu schließen berechtigt ist, so
muß man sehr daran zweifeln.


Ans Konstantinopel,

— Gestern am Spätnachmittag
erscholl dumpfer Kanonendonner die wenigsten wußten, warum es sich handelte:
man beerdigte den bei Zerstörung der russischen Batterien an den Donaumündungen
gebliebenen Capitän. Er ist der zweite dieses Ranges, den die britische Marine
seit Ausbruch des> Krieges im Pontus verliert. Capitän Giffard war der erste.
Der eine ruht nun in Odessa, auf russischem Boden, der andere unter den hohen,
schlanken Cypressen zu Stambul. Es war ein großer Zug. Dem Beruf des
Dahingeschiedenen entsprach es, daß eine mächtige, schwarz dccorirtc türkische Lafette
sein Trauerwagen wurde. Darauf stand der flache englische mit Krepp überzogene
Sarg. Die türkische und französische Marine war neben der britischen durch
Deputationen vertreten: ich weiß nicht, ob anch die östreichische. Natürlich fehlte
nicht Lord Stratsord.

Indeß war der Tag nicht allein der Trauer geweiht; am Abend zuvor hatte
man die Nachricht von einem glänzenden Siege empfangen, welchen der Commandant
, von Rustschuck über den doppelt so starken Feind (vor wenigen Tagen) davon ge¬
tragen. Die Russen wollten ihre Position bei Ginrgewo nicht eher verlassen, bevor
sie nicht einen Versuch noch gegen den feindlichen Platz gemacht hätten. Möglich,


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[0205] wollen wir hier nicht entscheiden. Daß sie den Willen dazu hat, wird kein Ein¬ sichtiger bezweifeln. Und wir fragen, wo find die Mittel, ihr entgegenzuarbeiten? In den Personen, die bei uns Macht und Einfluß haben, und deren Rath¬ schläge bis zum Ohre des Königs dringen, können wir diese Mittel nicht entdecken, am wenigsten wirksame Mittel. Hat die öffentliche Meinung sich mit solcher Einsicht und Kraft erhoben, daß sie einer gewissen Berücksichtigung auch bei solchen Personen sicher sein könnte, welche die Nichtachtung der öffentlichen Meinung als eine hervorstechende Blüte staatsmännischer Weisheit zu betrachten gewohnt sind? Wir glauben nicht. Ein Theil der unabhängigen Presse hat sogar mit auffälliger Beflissenheit die Ansicht zu verbreiten gesucht, daß die preußische Politik zwar langsam fortgehe, aber doch ganz aus dem richtigen Wege sei. Was bleibt übrig? Die Macht der Dinge, — sagt man. „Denn eben wo Begriffe fehlen Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein." Ist die Macht der Dinge eine geheimnißvolle, außer uns stehende Größe, die nach eignen Gesetzen ohne menschliches Zuthun wächst und wirkt? Sie war groß genug, Preußen zu einem Einverständniß mit den europäischen Mackler in Bezug auf die Rechtsfrage zu führen, doch zu schwach, um Preußen zum Handeln zu be¬ wege«. Mit dem fatalistischen Glauben, daß die Macht der Dinge von selbst größer werden wird und daß der Mensch die Hände in den Schoß legen könne, mag sich trösten,- wer dazu Lust hat; der praktische Politiker wird sich der Aufgabe nicht ent- schlagen können, selbstthätig die Verhältnisse so zu gestalten, daß sie auf die Ent¬ schlüsse der Menschen Macht gewinnen. Werden die Staatsmänner Englands und Frankreichs die richtigen Mittel ergreifen, um auf Preußen bestimmend einzuwirken? Wenn man nach dem Gebahren der englischen Presse zu schließen berechtigt ist, so muß man sehr daran zweifeln. Ans Konstantinopel, — — Gestern am Spätnachmittag erscholl dumpfer Kanonendonner die wenigsten wußten, warum es sich handelte: man beerdigte den bei Zerstörung der russischen Batterien an den Donaumündungen gebliebenen Capitän. Er ist der zweite dieses Ranges, den die britische Marine seit Ausbruch des> Krieges im Pontus verliert. Capitän Giffard war der erste. Der eine ruht nun in Odessa, auf russischem Boden, der andere unter den hohen, schlanken Cypressen zu Stambul. Es war ein großer Zug. Dem Beruf des Dahingeschiedenen entsprach es, daß eine mächtige, schwarz dccorirtc türkische Lafette sein Trauerwagen wurde. Darauf stand der flache englische mit Krepp überzogene Sarg. Die türkische und französische Marine war neben der britischen durch Deputationen vertreten: ich weiß nicht, ob anch die östreichische. Natürlich fehlte nicht Lord Stratsord. Indeß war der Tag nicht allein der Trauer geweiht; am Abend zuvor hatte man die Nachricht von einem glänzenden Siege empfangen, welchen der Commandant , von Rustschuck über den doppelt so starken Feind (vor wenigen Tagen) davon ge¬ tragen. Die Russen wollten ihre Position bei Ginrgewo nicht eher verlassen, bevor sie nicht einen Versuch noch gegen den feindlichen Platz gemacht hätten. Möglich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/205>, abgerufen am 27.07.2024.