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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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zu entschlagen. Nach der Charakteranlage, die der Dichter von seinem Helden
darstellt, hat dieser vollkommen richtig gewählt und muß infolge dessen glücklich
werden, so glücklich als der Mensch auf Erden überhaupt wird; denn wer
wollte ein transscendentales Maß von Glückseligkeit verlangen. -- Es scheint
uns fast, als ob der Dichter diesen Schluß, der sür seine übrigen Gemälde gar
nicht paßt, nur der Modesentimentalität zu Liebe hinzugefügt habe. -- Die
komische und humoristische Person des Stücks, "der moderne Falstaff", ist mi߬
lungen. Wenn dergleichen unwürdige Personen gefallen sollen, so müssen sie
einen unerschöpflichen Fond guter Laune und freier, productiver Phantasie ent¬
wickeln, wie z. B. Spindlers "Kleiderleib." Wenn sie nur häßlich und wider¬
wärtig sind, so haben sie kein Recht, poetisch dargestellt zu werden. --
Wir glauben, daß es dem Verfasser bei ernsteren Studien gelingen wird,
Besseres zu liefern, da er die Gabe der Erzählung und Darstellung unzweifel¬
haft besitzt. --


Lolomb" pur I>rosner Klerimee. Lruxelles et I,(!is>?.ix, liissslinx et Omp.--

Bei der Verwilderung des Stils, dem wir in der neueren Romanliteratur
der Deutschen, Engländer und Franzosen fast allgemein begegnen, ist es eine
wahre Freude, einmal ein Werk anzutreffen, in welchem die feinste und zier¬
lichste Färbung sich mit der, kräftigsten und entschiedendsten Zeichnung paart.
Herr Morin"e, dessen Roman bereits 18ii erschien, gehört zu den glücklichsten
Talenten der neuesten französischen Literatur. In der Wahl seiner Stoffe ist er
häufig seltsam. Er liebt es, sich die abenteuerlichsten Probleme zum Rahmen
seiner Dichtung zu nehmen. In dieser Novelle ist eS die corsische Blutrache.
Es wird gezeigt, wie ein verständiger und gebildeter Mann, der sich durch län¬
gere Abwesenheit den Sitten seiner Heimat ganz entfremdet hat, bei seiner
Rückkehr doch wieder den Einflüssen der Tradition, die alle seine Umgebungen
ihm predigen, unterliegt. Aber die Ausführung dieses seltsamen Vorwurfs ist
reizend. Die verschiedenen Bilder gehen in einer so frischen, bunten Lebendigkeit
an uns vorüber, und auch da, wo die Geschichte sich in das Schreckliche und
Abscheuliche zu verlieren droht, bewahrt der Dichter eine so freie Stimmung,
daß der Eindruck dieser Novelle ein durchaus wohlthuender ist. Erregte Leiden¬
schaft und anatomische Zergliederung ist weniger darin anzutreffen, als bei den
meisten übrigen französischen Dichtern. Das Interesse ist ein rein stoff¬
liches. --


äventures et 'IVilzuIatinns ü'un Lomecken nar älexsncler Dumas. Kruxelles et
I^eip/ig. liisssling et Komp. --

Auch diese Erzählung, die nur zur Hälfte Roman zu sein scheint, zur Hälfte
aber dem wirklichen Leben angehört, leidet an dem Fehler, der uns bei sammt-


zu entschlagen. Nach der Charakteranlage, die der Dichter von seinem Helden
darstellt, hat dieser vollkommen richtig gewählt und muß infolge dessen glücklich
werden, so glücklich als der Mensch auf Erden überhaupt wird; denn wer
wollte ein transscendentales Maß von Glückseligkeit verlangen. — Es scheint
uns fast, als ob der Dichter diesen Schluß, der sür seine übrigen Gemälde gar
nicht paßt, nur der Modesentimentalität zu Liebe hinzugefügt habe. — Die
komische und humoristische Person des Stücks, „der moderne Falstaff", ist mi߬
lungen. Wenn dergleichen unwürdige Personen gefallen sollen, so müssen sie
einen unerschöpflichen Fond guter Laune und freier, productiver Phantasie ent¬
wickeln, wie z. B. Spindlers „Kleiderleib." Wenn sie nur häßlich und wider¬
wärtig sind, so haben sie kein Recht, poetisch dargestellt zu werden. —
Wir glauben, daß es dem Verfasser bei ernsteren Studien gelingen wird,
Besseres zu liefern, da er die Gabe der Erzählung und Darstellung unzweifel¬
haft besitzt. —


Lolomb» pur I>rosner Klerimee. Lruxelles et I,(!is>?.ix, liissslinx et Omp.—

Bei der Verwilderung des Stils, dem wir in der neueren Romanliteratur
der Deutschen, Engländer und Franzosen fast allgemein begegnen, ist es eine
wahre Freude, einmal ein Werk anzutreffen, in welchem die feinste und zier¬
lichste Färbung sich mit der, kräftigsten und entschiedendsten Zeichnung paart.
Herr Morin«e, dessen Roman bereits 18ii erschien, gehört zu den glücklichsten
Talenten der neuesten französischen Literatur. In der Wahl seiner Stoffe ist er
häufig seltsam. Er liebt es, sich die abenteuerlichsten Probleme zum Rahmen
seiner Dichtung zu nehmen. In dieser Novelle ist eS die corsische Blutrache.
Es wird gezeigt, wie ein verständiger und gebildeter Mann, der sich durch län¬
gere Abwesenheit den Sitten seiner Heimat ganz entfremdet hat, bei seiner
Rückkehr doch wieder den Einflüssen der Tradition, die alle seine Umgebungen
ihm predigen, unterliegt. Aber die Ausführung dieses seltsamen Vorwurfs ist
reizend. Die verschiedenen Bilder gehen in einer so frischen, bunten Lebendigkeit
an uns vorüber, und auch da, wo die Geschichte sich in das Schreckliche und
Abscheuliche zu verlieren droht, bewahrt der Dichter eine so freie Stimmung,
daß der Eindruck dieser Novelle ein durchaus wohlthuender ist. Erregte Leiden¬
schaft und anatomische Zergliederung ist weniger darin anzutreffen, als bei den
meisten übrigen französischen Dichtern. Das Interesse ist ein rein stoff¬
liches. —


äventures et 'IVilzuIatinns ü'un Lomecken nar älexsncler Dumas. Kruxelles et
I^eip/ig. liisssling et Komp. —

Auch diese Erzählung, die nur zur Hälfte Roman zu sein scheint, zur Hälfte
aber dem wirklichen Leben angehört, leidet an dem Fehler, der uns bei sammt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/106>, abgerufen am 27.07.2024.