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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Die Reformbewegung und die Presse in Schweden.

Die Constitution und die politischen Sitten des heutigen Schwedens datiren
vom Jahre 1809. Einer der Haupturheber jener militärischen Revolution, welche
Gustav IV. absetzte, den mehrten schwedischen Namen nach außen rächen und im
Innern Principien zur Herrschaft bringen wollte, welche die französische Revolution
eingegeben hatte, schrieb in seinen kürzlich veröffentlichten Denkwürdigkeiten
folgende Zeilen, welche er seine "politische Religion" nannte: "Das Gesetz muß
gleichmäßig alle Bürger schützen. Die Vertreter der Nation müssen von ihr
gewählt werden. Die Kasten müssen abgeschafft werden. Die erste Pflicht der
Volksvertreter wird sein, eine Verfassung festzustellen, welche die Rechte und
die Pflichten jedes Bürgers bestimmt. Die verfassunggebende Versammlung
wird demnächst einen Repräsentationsmodus festzustellen haben, der vernünftiger
ist, als der jetzige. Die Theilung in verschiedene Stände ist eine Erfindung
alter Zeiten, welche für unsre Sitten nicht mehr paßt; dies ist eine Wahrheit,
die jeder vernünftige Mensch anerkennt. Eine derartige Theilung hat stets nur
unheilvolle Resultate gehabt; sie hat einerseits verletzenden Stolz, Druck und
Privilegien, andererseits Haß und Neid erzeugt."

Die Konstitution von 1809, in der Eile entworfen, hat gleichwol die alte
Eintheilung der schwedischen Gesellschaft in vier Stände beibehalten; ließ aber nicht
verkennen, wie nothwendig es sei, an die Stelle dieser seltsamen Combination eine
gerechtere Eintheilung zu setzen. Jedermann erkennt in Schweden diese Nothwendig¬
keit, man wünscht und fordert diese Reform, die Unerfahrenheit des öffentlichen Geistes
aber und die Bestrebungen der Sonderiuteresseu haben stets die Ausführung
derselben verhindert. Noch heute ist die schwedische Nation in vier Stände
getheilt, die qnf verschiedenen Grundlagen ruhen: der Adel beruht auf der Ge¬
burt, die Geistlichkeit auf den Privilegien einer Staatsreligion, das Bürgerthum
aus dem Princip der Arbeit im Innern der Städte, der Bauernstand auf dem
ländlichen Grundeigenthum. Jeder dieser Stände ist durch die Constitution mit


Greiizbeten. IV, 1
Die Reformbewegung und die Presse in Schweden.

Die Constitution und die politischen Sitten des heutigen Schwedens datiren
vom Jahre 1809. Einer der Haupturheber jener militärischen Revolution, welche
Gustav IV. absetzte, den mehrten schwedischen Namen nach außen rächen und im
Innern Principien zur Herrschaft bringen wollte, welche die französische Revolution
eingegeben hatte, schrieb in seinen kürzlich veröffentlichten Denkwürdigkeiten
folgende Zeilen, welche er seine „politische Religion" nannte: „Das Gesetz muß
gleichmäßig alle Bürger schützen. Die Vertreter der Nation müssen von ihr
gewählt werden. Die Kasten müssen abgeschafft werden. Die erste Pflicht der
Volksvertreter wird sein, eine Verfassung festzustellen, welche die Rechte und
die Pflichten jedes Bürgers bestimmt. Die verfassunggebende Versammlung
wird demnächst einen Repräsentationsmodus festzustellen haben, der vernünftiger
ist, als der jetzige. Die Theilung in verschiedene Stände ist eine Erfindung
alter Zeiten, welche für unsre Sitten nicht mehr paßt; dies ist eine Wahrheit,
die jeder vernünftige Mensch anerkennt. Eine derartige Theilung hat stets nur
unheilvolle Resultate gehabt; sie hat einerseits verletzenden Stolz, Druck und
Privilegien, andererseits Haß und Neid erzeugt."

Die Konstitution von 1809, in der Eile entworfen, hat gleichwol die alte
Eintheilung der schwedischen Gesellschaft in vier Stände beibehalten; ließ aber nicht
verkennen, wie nothwendig es sei, an die Stelle dieser seltsamen Combination eine
gerechtere Eintheilung zu setzen. Jedermann erkennt in Schweden diese Nothwendig¬
keit, man wünscht und fordert diese Reform, die Unerfahrenheit des öffentlichen Geistes
aber und die Bestrebungen der Sonderiuteresseu haben stets die Ausführung
derselben verhindert. Noch heute ist die schwedische Nation in vier Stände
getheilt, die qnf verschiedenen Grundlagen ruhen: der Adel beruht auf der Ge¬
burt, die Geistlichkeit auf den Privilegien einer Staatsreligion, das Bürgerthum
aus dem Princip der Arbeit im Innern der Städte, der Bauernstand auf dem
ländlichen Grundeigenthum. Jeder dieser Stände ist durch die Constitution mit


Greiizbeten. IV, 1
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[0009] Die Reformbewegung und die Presse in Schweden. Die Constitution und die politischen Sitten des heutigen Schwedens datiren vom Jahre 1809. Einer der Haupturheber jener militärischen Revolution, welche Gustav IV. absetzte, den mehrten schwedischen Namen nach außen rächen und im Innern Principien zur Herrschaft bringen wollte, welche die französische Revolution eingegeben hatte, schrieb in seinen kürzlich veröffentlichten Denkwürdigkeiten folgende Zeilen, welche er seine „politische Religion" nannte: „Das Gesetz muß gleichmäßig alle Bürger schützen. Die Vertreter der Nation müssen von ihr gewählt werden. Die Kasten müssen abgeschafft werden. Die erste Pflicht der Volksvertreter wird sein, eine Verfassung festzustellen, welche die Rechte und die Pflichten jedes Bürgers bestimmt. Die verfassunggebende Versammlung wird demnächst einen Repräsentationsmodus festzustellen haben, der vernünftiger ist, als der jetzige. Die Theilung in verschiedene Stände ist eine Erfindung alter Zeiten, welche für unsre Sitten nicht mehr paßt; dies ist eine Wahrheit, die jeder vernünftige Mensch anerkennt. Eine derartige Theilung hat stets nur unheilvolle Resultate gehabt; sie hat einerseits verletzenden Stolz, Druck und Privilegien, andererseits Haß und Neid erzeugt." Die Konstitution von 1809, in der Eile entworfen, hat gleichwol die alte Eintheilung der schwedischen Gesellschaft in vier Stände beibehalten; ließ aber nicht verkennen, wie nothwendig es sei, an die Stelle dieser seltsamen Combination eine gerechtere Eintheilung zu setzen. Jedermann erkennt in Schweden diese Nothwendig¬ keit, man wünscht und fordert diese Reform, die Unerfahrenheit des öffentlichen Geistes aber und die Bestrebungen der Sonderiuteresseu haben stets die Ausführung derselben verhindert. Noch heute ist die schwedische Nation in vier Stände getheilt, die qnf verschiedenen Grundlagen ruhen: der Adel beruht auf der Ge¬ burt, die Geistlichkeit auf den Privilegien einer Staatsreligion, das Bürgerthum aus dem Princip der Arbeit im Innern der Städte, der Bauernstand auf dem ländlichen Grundeigenthum. Jeder dieser Stände ist durch die Constitution mit Greiizbeten. IV, 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/9>, abgerufen am 05.02.2025.