Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

woran Rußland seit Jahren arbeitet, Bornholm in russischen Besitz kommt, dann
würde selbst eine wohlbefestigte deutsche Küste, die jetzt doch ziemlich schutzlos ist,
und eine tüchtige deutsche Ostseemacht, für deren Herstellung Preußen sehr aner-
kennenswerthe, aber jetzt noch kaum in Betracht zu ziehende Anfänge gemacht hat,
nicht im Stande sein, der russischen Ostsecflotte mit allen ihren Mängeln irgend
einen erfolgreichen Widerstand zu leisten.




Der Friede von Adrianopel.

Nach der Einnahme von Adrianopel (am 10. August 1829) hatten die Russen
eine sehr starke militärische Position inne. Ihr linker Flügel stützte sich auf das
schwarze Meer, der rechte dehnte sich bis zum ägäischen Meere aus, und das
Centrum in Adrianopel war auf der Seite nach Konstantinopel durch die
Plätze Kirkilissia und Tchatal-Burgas gedeckt. Die beiden Endpunkte dieser Linie
wurden durch die russischen Flotten im Archipel und im schwarzen Meere gedeckt.

Allein nnr mit 20,000 Mann war General Diebitsch nach Adrianopel gekommen.
So sehr hatten Wechsel- und Nervenfieber, Dyssenterie nud Pest in dem russischen
Heere gewüthet. Mit 20,000 Manu stand er in einer Stadt von 80,000 Einw.
mitten zwischen 30,000 Türken bei Konstantinopel und 30,000 Albanesen bei Sophia,
während sein Corps von Anstrengung nud Krankheit erschöpft war. Schumla
war noch "nbczwungen, an der Donan hielten sich die Festungen Widdin, Nikopolis,
Sistorwo, Rnstschuk und Giurgewo nud General Gcismar hatte Mühe, das
Einbrechen der Türken in die Walachei zu verhindern.

Unter diesen Umständen war der Kaiser Nikolaus sehr geneigt, Frieden zu
schließe". Am 28. August landeten seine Bevollmächtigten zu Burgas und an
eben diesem Tage trafen anch die Abgeordneten der Pforte in Konstantinopel ein.

Der Divan kannte nicht den Zustand des russischen Heeres. Er hielt dasselbe
noch immer für 60,000 Manu stark und fürchtete dessen Anmarsch aus Konstanti¬
nopel. Er fürchtete zugleich einen Aufstand in Konstantinopel. Seit der Ver¬
nichtung der Janitscharen wartete hier eine mächtige Partei auf den günstigen
Augenblick, um die Fahne der Empörung aufzupflanzen, und der bisher für
unmöglich gehaltene Uebergang der Russen, die Verlegenheit, in die er die
Negierung setzte, brachte diese Stimmung dem Ausbruch nahe. Sultan Mahmud
kam zwar den Verschwörern zuvor und hielt ein strenges Blutgericht, aber die
Unzufriedenheit, wenn anch vorerst unterdrückt, war nicht gehoben.^ Die meisten
Räthe des Sultan fürchtete" mehr den Aufruhr, der ihnen Stelle und Kopf
kosten mußte, als einen nachtheiligen Frieden, den das Land mit einigen Provinzen
erkaufen konnte. Daß bei einem Angriff der Russen auf Konstantinopel die


woran Rußland seit Jahren arbeitet, Bornholm in russischen Besitz kommt, dann
würde selbst eine wohlbefestigte deutsche Küste, die jetzt doch ziemlich schutzlos ist,
und eine tüchtige deutsche Ostseemacht, für deren Herstellung Preußen sehr aner-
kennenswerthe, aber jetzt noch kaum in Betracht zu ziehende Anfänge gemacht hat,
nicht im Stande sein, der russischen Ostsecflotte mit allen ihren Mängeln irgend
einen erfolgreichen Widerstand zu leisten.




Der Friede von Adrianopel.

Nach der Einnahme von Adrianopel (am 10. August 1829) hatten die Russen
eine sehr starke militärische Position inne. Ihr linker Flügel stützte sich auf das
schwarze Meer, der rechte dehnte sich bis zum ägäischen Meere aus, und das
Centrum in Adrianopel war auf der Seite nach Konstantinopel durch die
Plätze Kirkilissia und Tchatal-Burgas gedeckt. Die beiden Endpunkte dieser Linie
wurden durch die russischen Flotten im Archipel und im schwarzen Meere gedeckt.

Allein nnr mit 20,000 Mann war General Diebitsch nach Adrianopel gekommen.
So sehr hatten Wechsel- und Nervenfieber, Dyssenterie nud Pest in dem russischen
Heere gewüthet. Mit 20,000 Manu stand er in einer Stadt von 80,000 Einw.
mitten zwischen 30,000 Türken bei Konstantinopel und 30,000 Albanesen bei Sophia,
während sein Corps von Anstrengung nud Krankheit erschöpft war. Schumla
war noch »nbczwungen, an der Donan hielten sich die Festungen Widdin, Nikopolis,
Sistorwo, Rnstschuk und Giurgewo nud General Gcismar hatte Mühe, das
Einbrechen der Türken in die Walachei zu verhindern.

Unter diesen Umständen war der Kaiser Nikolaus sehr geneigt, Frieden zu
schließe». Am 28. August landeten seine Bevollmächtigten zu Burgas und an
eben diesem Tage trafen anch die Abgeordneten der Pforte in Konstantinopel ein.

Der Divan kannte nicht den Zustand des russischen Heeres. Er hielt dasselbe
noch immer für 60,000 Manu stark und fürchtete dessen Anmarsch aus Konstanti¬
nopel. Er fürchtete zugleich einen Aufstand in Konstantinopel. Seit der Ver¬
nichtung der Janitscharen wartete hier eine mächtige Partei auf den günstigen
Augenblick, um die Fahne der Empörung aufzupflanzen, und der bisher für
unmöglich gehaltene Uebergang der Russen, die Verlegenheit, in die er die
Negierung setzte, brachte diese Stimmung dem Ausbruch nahe. Sultan Mahmud
kam zwar den Verschwörern zuvor und hielt ein strenges Blutgericht, aber die
Unzufriedenheit, wenn anch vorerst unterdrückt, war nicht gehoben.^ Die meisten
Räthe des Sultan fürchtete» mehr den Aufruhr, der ihnen Stelle und Kopf
kosten mußte, als einen nachtheiligen Frieden, den das Land mit einigen Provinzen
erkaufen konnte. Daß bei einem Angriff der Russen auf Konstantinopel die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97088"/>
          <p xml:id="ID_1167" prev="#ID_1166"> woran Rußland seit Jahren arbeitet, Bornholm in russischen Besitz kommt, dann<lb/>
würde selbst eine wohlbefestigte deutsche Küste, die jetzt doch ziemlich schutzlos ist,<lb/>
und eine tüchtige deutsche Ostseemacht, für deren Herstellung Preußen sehr aner-<lb/>
kennenswerthe, aber jetzt noch kaum in Betracht zu ziehende Anfänge gemacht hat,<lb/>
nicht im Stande sein, der russischen Ostsecflotte mit allen ihren Mängeln irgend<lb/>
einen erfolgreichen Widerstand zu leisten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Friede von Adrianopel.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1168"> Nach der Einnahme von Adrianopel (am 10. August 1829) hatten die Russen<lb/>
eine sehr starke militärische Position inne. Ihr linker Flügel stützte sich auf das<lb/>
schwarze Meer, der rechte dehnte sich bis zum ägäischen Meere aus, und das<lb/>
Centrum in Adrianopel war auf der Seite nach Konstantinopel durch die<lb/>
Plätze Kirkilissia und Tchatal-Burgas gedeckt. Die beiden Endpunkte dieser Linie<lb/>
wurden durch die russischen Flotten im Archipel und im schwarzen Meere gedeckt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1169"> Allein nnr mit 20,000 Mann war General Diebitsch nach Adrianopel gekommen.<lb/>
So sehr hatten Wechsel- und Nervenfieber, Dyssenterie nud Pest in dem russischen<lb/>
Heere gewüthet. Mit 20,000 Manu stand er in einer Stadt von 80,000 Einw.<lb/>
mitten zwischen 30,000 Türken bei Konstantinopel und 30,000 Albanesen bei Sophia,<lb/>
während sein Corps von Anstrengung nud Krankheit erschöpft war. Schumla<lb/>
war noch »nbczwungen, an der Donan hielten sich die Festungen Widdin, Nikopolis,<lb/>
Sistorwo, Rnstschuk und Giurgewo nud General Gcismar hatte Mühe, das<lb/>
Einbrechen der Türken in die Walachei zu verhindern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170"> Unter diesen Umständen war der Kaiser Nikolaus sehr geneigt, Frieden zu<lb/>
schließe». Am 28. August landeten seine Bevollmächtigten zu Burgas und an<lb/>
eben diesem Tage trafen anch die Abgeordneten der Pforte in Konstantinopel ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171" next="#ID_1172"> Der Divan kannte nicht den Zustand des russischen Heeres. Er hielt dasselbe<lb/>
noch immer für 60,000 Manu stark und fürchtete dessen Anmarsch aus Konstanti¬<lb/>
nopel. Er fürchtete zugleich einen Aufstand in Konstantinopel. Seit der Ver¬<lb/>
nichtung der Janitscharen wartete hier eine mächtige Partei auf den günstigen<lb/>
Augenblick, um die Fahne der Empörung aufzupflanzen, und der bisher für<lb/>
unmöglich gehaltene Uebergang der Russen, die Verlegenheit, in die er die<lb/>
Negierung setzte, brachte diese Stimmung dem Ausbruch nahe. Sultan Mahmud<lb/>
kam zwar den Verschwörern zuvor und hielt ein strenges Blutgericht, aber die<lb/>
Unzufriedenheit, wenn anch vorerst unterdrückt, war nicht gehoben.^ Die meisten<lb/>
Räthe des Sultan fürchtete» mehr den Aufruhr, der ihnen Stelle und Kopf<lb/>
kosten mußte, als einen nachtheiligen Frieden, den das Land mit einigen Provinzen<lb/>
erkaufen konnte.  Daß bei einem Angriff der Russen auf Konstantinopel die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] woran Rußland seit Jahren arbeitet, Bornholm in russischen Besitz kommt, dann würde selbst eine wohlbefestigte deutsche Küste, die jetzt doch ziemlich schutzlos ist, und eine tüchtige deutsche Ostseemacht, für deren Herstellung Preußen sehr aner- kennenswerthe, aber jetzt noch kaum in Betracht zu ziehende Anfänge gemacht hat, nicht im Stande sein, der russischen Ostsecflotte mit allen ihren Mängeln irgend einen erfolgreichen Widerstand zu leisten. Der Friede von Adrianopel. Nach der Einnahme von Adrianopel (am 10. August 1829) hatten die Russen eine sehr starke militärische Position inne. Ihr linker Flügel stützte sich auf das schwarze Meer, der rechte dehnte sich bis zum ägäischen Meere aus, und das Centrum in Adrianopel war auf der Seite nach Konstantinopel durch die Plätze Kirkilissia und Tchatal-Burgas gedeckt. Die beiden Endpunkte dieser Linie wurden durch die russischen Flotten im Archipel und im schwarzen Meere gedeckt. Allein nnr mit 20,000 Mann war General Diebitsch nach Adrianopel gekommen. So sehr hatten Wechsel- und Nervenfieber, Dyssenterie nud Pest in dem russischen Heere gewüthet. Mit 20,000 Manu stand er in einer Stadt von 80,000 Einw. mitten zwischen 30,000 Türken bei Konstantinopel und 30,000 Albanesen bei Sophia, während sein Corps von Anstrengung nud Krankheit erschöpft war. Schumla war noch »nbczwungen, an der Donan hielten sich die Festungen Widdin, Nikopolis, Sistorwo, Rnstschuk und Giurgewo nud General Gcismar hatte Mühe, das Einbrechen der Türken in die Walachei zu verhindern. Unter diesen Umständen war der Kaiser Nikolaus sehr geneigt, Frieden zu schließe». Am 28. August landeten seine Bevollmächtigten zu Burgas und an eben diesem Tage trafen anch die Abgeordneten der Pforte in Konstantinopel ein. Der Divan kannte nicht den Zustand des russischen Heeres. Er hielt dasselbe noch immer für 60,000 Manu stark und fürchtete dessen Anmarsch aus Konstanti¬ nopel. Er fürchtete zugleich einen Aufstand in Konstantinopel. Seit der Ver¬ nichtung der Janitscharen wartete hier eine mächtige Partei auf den günstigen Augenblick, um die Fahne der Empörung aufzupflanzen, und der bisher für unmöglich gehaltene Uebergang der Russen, die Verlegenheit, in die er die Negierung setzte, brachte diese Stimmung dem Ausbruch nahe. Sultan Mahmud kam zwar den Verschwörern zuvor und hielt ein strenges Blutgericht, aber die Unzufriedenheit, wenn anch vorerst unterdrückt, war nicht gehoben.^ Die meisten Räthe des Sultan fürchtete» mehr den Aufruhr, der ihnen Stelle und Kopf kosten mußte, als einen nachtheiligen Frieden, den das Land mit einigen Provinzen erkaufen konnte. Daß bei einem Angriff der Russen auf Konstantinopel die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/383>, abgerufen am 05.02.2025.