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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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von glänzender Phantasie und tiefer Reflexion und Geschichtschreiber von starkem,
sittlichem Pathos und von energischem Gefühl für Recht und Unrecht; aber wir
haben keinen einzigen, in dem sich alles dreies vereinigt und der daher dem Volke
zugänglich, überall verständlich, interessant und auf seine sittlichen Voraussetzungen
berechnet wäre. Den Macaulay kann jeder kleine Bürger in Deutschland zur Hand
nehmen, wenn er nur sonst den nöthigen gesunden Menschenverstand und etwa die Vor¬
bildung hat, die jetzt in unsern Realschulen selbst dem Handwerker zu Theil wird; einen
Schriftsteller dagegen wie Ranke kann nur die Aristokratie der Bildung verstehen.
Ranke ist viel zu vornehm, um einfach zu erzählen, um sein eigenes überlegenes
Nachdenken mit der gewöhnlichen Fassung unserer Begriffe zu vermitteln; bei an¬
dern Schriftstellern dagegen, die viel populärer sind, wie z. B. bei Schlosser,
wird wieder die feinere Bildung fortwährend durch Ansichten und Formen verletzt
werden, die einer frühern Bildungsstufe angehören. Von den Geschichtschreibern,
die lediglich eine fixe Idee verfolgen, reden wir hier gar nicht. Wir glauben
also grade, daß es sehr patriotisch ist, die Lectüre eines Schriftstellers wie Ma¬
caulay fortwährend von neuem unserm Volke einzuschärfen, denn selbst für das
Verständniß unserer eigenen politischen Zustände, z. B. unserer neuesten Wirren,
gewinnen wir bei ihm viel mehr, als aus unsern demokratischen oder reactionären
Doctrinärs, weil bei ihm jedes Factum unter eine Regel subsumirt wird, die
einen unvergänglichen Werth für alle Zeiten hat, die für jeden Fall angewendet
werden kann, und durch die wir uus in unsern eigenen Conflicten orientiren
können, in welchen wir uns um so weniger zurechtfinden, je leidenschaftlicher wir
uns dabei betheiligt haben.




Vom Theater am Rhein.

Am ganzen Rhein ist das Karlsruher Theater das einzige, welches mit seinen
Einkünften nicht vorzugsweise auf die Tageslaunen des Publicums gewiesen ist,
obgleich es natürlich auch nicht durch so große Fonds, wie die Berliner, Münchner
und Wiener Hoftheater über die Rücksichten ans die laufenden Einnahmen erhaben
ist. Außer ihm hat nnr noch das Wiesbadener Theater bedeutende, von der
Masse unabhängige Geldzuschüsse (vom regierenden Herzog, vom Spielpachter und
von einem Comite) deren dreifache Quelle aber freilich dreifach divergirende
Rücksichten fordert. Was die übrigen snbvenirten Theater des Rheinlands an¬
belangt, so sind ihre Zuschüsse relativ ziemlich unbedeutend und häufig, wie in
Köln, durch schwere Lasten gradezu überwogen, oder doch, wie in Frankfurt, in
gar keinem Verhältnisse zu dem Range, welchen das Institut nach der materiellen
und geistigen Bedeutung seiner Stadt behaupten soll. Ueberall, doch ganz vor-


von glänzender Phantasie und tiefer Reflexion und Geschichtschreiber von starkem,
sittlichem Pathos und von energischem Gefühl für Recht und Unrecht; aber wir
haben keinen einzigen, in dem sich alles dreies vereinigt und der daher dem Volke
zugänglich, überall verständlich, interessant und auf seine sittlichen Voraussetzungen
berechnet wäre. Den Macaulay kann jeder kleine Bürger in Deutschland zur Hand
nehmen, wenn er nur sonst den nöthigen gesunden Menschenverstand und etwa die Vor¬
bildung hat, die jetzt in unsern Realschulen selbst dem Handwerker zu Theil wird; einen
Schriftsteller dagegen wie Ranke kann nur die Aristokratie der Bildung verstehen.
Ranke ist viel zu vornehm, um einfach zu erzählen, um sein eigenes überlegenes
Nachdenken mit der gewöhnlichen Fassung unserer Begriffe zu vermitteln; bei an¬
dern Schriftstellern dagegen, die viel populärer sind, wie z. B. bei Schlosser,
wird wieder die feinere Bildung fortwährend durch Ansichten und Formen verletzt
werden, die einer frühern Bildungsstufe angehören. Von den Geschichtschreibern,
die lediglich eine fixe Idee verfolgen, reden wir hier gar nicht. Wir glauben
also grade, daß es sehr patriotisch ist, die Lectüre eines Schriftstellers wie Ma¬
caulay fortwährend von neuem unserm Volke einzuschärfen, denn selbst für das
Verständniß unserer eigenen politischen Zustände, z. B. unserer neuesten Wirren,
gewinnen wir bei ihm viel mehr, als aus unsern demokratischen oder reactionären
Doctrinärs, weil bei ihm jedes Factum unter eine Regel subsumirt wird, die
einen unvergänglichen Werth für alle Zeiten hat, die für jeden Fall angewendet
werden kann, und durch die wir uus in unsern eigenen Conflicten orientiren
können, in welchen wir uns um so weniger zurechtfinden, je leidenschaftlicher wir
uns dabei betheiligt haben.




Vom Theater am Rhein.

Am ganzen Rhein ist das Karlsruher Theater das einzige, welches mit seinen
Einkünften nicht vorzugsweise auf die Tageslaunen des Publicums gewiesen ist,
obgleich es natürlich auch nicht durch so große Fonds, wie die Berliner, Münchner
und Wiener Hoftheater über die Rücksichten ans die laufenden Einnahmen erhaben
ist. Außer ihm hat nnr noch das Wiesbadener Theater bedeutende, von der
Masse unabhängige Geldzuschüsse (vom regierenden Herzog, vom Spielpachter und
von einem Comite) deren dreifache Quelle aber freilich dreifach divergirende
Rücksichten fordert. Was die übrigen snbvenirten Theater des Rheinlands an¬
belangt, so sind ihre Zuschüsse relativ ziemlich unbedeutend und häufig, wie in
Köln, durch schwere Lasten gradezu überwogen, oder doch, wie in Frankfurt, in
gar keinem Verhältnisse zu dem Range, welchen das Institut nach der materiellen
und geistigen Bedeutung seiner Stadt behaupten soll. Ueberall, doch ganz vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/493>, abgerufen am 03.07.2024.