Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wehmüthigste Toleranz gegen alle Nichtswürdigkeiten poetischer Naturen, das ist
das letzte Resultat dieser Studien über die "menschliche Wirklichkeit." --


Der eiserne Schrank. Ein Bild ans der Revolution, aus dem Französischen
übersetzt von Emil Hardt. Posen, Merzbach. --

Eine Schreckensgeschichte, ,in den grellsten Farben dargestellt, und mit den un¬
vermeidlichen Portraits von Robespierre, Danton, und Marat geziert. --


Horaz und seine Freunde. Von Friedrich Jacob. 2 Bände. Berlin,
W. Hertz. --

Die Einwendungen, welche wir bereits bei Gelegenheit des ersten Bandes
gegen die poetische Gestaltung des classischen Alterthums aus alten Quellen,
die uns das Leben viel unmittelbarer vergegenwärtigen, als es durch eine Nach¬
bildung geschehen kann, gemacht haben, sind auch durch den gegenwärtigen Band
nicht widerlegt worden. Eine poetische Einheit ist nicht erreicht, und wenn wir
auch gern zugeben wollen, daß der Laie aus diesen Bildern viel für die correcte
Anschauung des Alterthums gewinnen kann, so müssen wir doch behaupten, daß
dieses Resultat durch einfache Abhandlungen bequemer zu erreichen war.




Die orientalische Frage.

Durch das Manifest des Kaisers von Rußland, welches den Einmarsch seiner
Truppen in die Donaufürstenthümer anzeigt, ist die orientalische Frage in eine
neue Wendung getreten und gewinnt diesmal ein ziemlich ernstes Aussehen. Zwar
können wir uoch immer nicht annehmen, daß wegen eines armseligen Schlüssels
zur Kirche von Jerusalem ein allgemeiner europäischer Krieg entbrennen wird,,
aber wir müssen gestehen, daß die Möglichkeiten, diesem Kriege sich zu entziehen,
immer kleiner werden. Höchst wahrscheinlich hat keine von den betreffenden Par¬
teien ursprünglich an die Möglichkeit eines Krieges gedacht; aber die Verhältnisse
haben sich allmälig so wunderbar complicirt, daß auch der beste Wille nicht mehr
Herr darüber bleiben dürfte.

Das Manifest des russischen Kaisers ist in seiner Art ebenso merkwürdig,
wie die Note des Grafen Nesselrode, die wir im vorigen Heft besprochen
haben. Der Kaiser ruft gleichsam einen Nationalkrieg hervor, er stellt sich als
Beschützer der Rechtgläubigen dar, wenn anch diesmal nicht unmittelbar gegen die
"Heiden," wie das berühmte Manifest im Jahre 1848. Zunächst sollte man an¬
nehmen, es gelte den Schutz der Rechtgläubigen gegen die Unterdrückung der
Mohamedaner, aber von dieser Seite ist jeder Vorwand abgeschnitten, denn der
Sultan hat sich feierlich allen europäischen Mächten gegenüber verpflichtet, Feinen


14*

wehmüthigste Toleranz gegen alle Nichtswürdigkeiten poetischer Naturen, das ist
das letzte Resultat dieser Studien über die „menschliche Wirklichkeit." —


Der eiserne Schrank. Ein Bild ans der Revolution, aus dem Französischen
übersetzt von Emil Hardt. Posen, Merzbach. —

Eine Schreckensgeschichte, ,in den grellsten Farben dargestellt, und mit den un¬
vermeidlichen Portraits von Robespierre, Danton, und Marat geziert. —


Horaz und seine Freunde. Von Friedrich Jacob. 2 Bände. Berlin,
W. Hertz. —

Die Einwendungen, welche wir bereits bei Gelegenheit des ersten Bandes
gegen die poetische Gestaltung des classischen Alterthums aus alten Quellen,
die uns das Leben viel unmittelbarer vergegenwärtigen, als es durch eine Nach¬
bildung geschehen kann, gemacht haben, sind auch durch den gegenwärtigen Band
nicht widerlegt worden. Eine poetische Einheit ist nicht erreicht, und wenn wir
auch gern zugeben wollen, daß der Laie aus diesen Bildern viel für die correcte
Anschauung des Alterthums gewinnen kann, so müssen wir doch behaupten, daß
dieses Resultat durch einfache Abhandlungen bequemer zu erreichen war.




Die orientalische Frage.

Durch das Manifest des Kaisers von Rußland, welches den Einmarsch seiner
Truppen in die Donaufürstenthümer anzeigt, ist die orientalische Frage in eine
neue Wendung getreten und gewinnt diesmal ein ziemlich ernstes Aussehen. Zwar
können wir uoch immer nicht annehmen, daß wegen eines armseligen Schlüssels
zur Kirche von Jerusalem ein allgemeiner europäischer Krieg entbrennen wird,,
aber wir müssen gestehen, daß die Möglichkeiten, diesem Kriege sich zu entziehen,
immer kleiner werden. Höchst wahrscheinlich hat keine von den betreffenden Par¬
teien ursprünglich an die Möglichkeit eines Krieges gedacht; aber die Verhältnisse
haben sich allmälig so wunderbar complicirt, daß auch der beste Wille nicht mehr
Herr darüber bleiben dürfte.

Das Manifest des russischen Kaisers ist in seiner Art ebenso merkwürdig,
wie die Note des Grafen Nesselrode, die wir im vorigen Heft besprochen
haben. Der Kaiser ruft gleichsam einen Nationalkrieg hervor, er stellt sich als
Beschützer der Rechtgläubigen dar, wenn anch diesmal nicht unmittelbar gegen die
„Heiden," wie das berühmte Manifest im Jahre 1848. Zunächst sollte man an¬
nehmen, es gelte den Schutz der Rechtgläubigen gegen die Unterdrückung der
Mohamedaner, aber von dieser Seite ist jeder Vorwand abgeschnitten, denn der
Sultan hat sich feierlich allen europäischen Mächten gegenüber verpflichtet, Feinen


14*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96290"/>
            <p xml:id="ID_364" prev="#ID_363"> wehmüthigste Toleranz gegen alle Nichtswürdigkeiten poetischer Naturen, das ist<lb/>
das letzte Resultat dieser Studien über die &#x201E;menschliche Wirklichkeit." &#x2014;</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Der eiserne Schrank.  Ein Bild ans der Revolution, aus dem Französischen<lb/>
übersetzt von Emil Hardt.  Posen, Merzbach. &#x2014;</head><lb/>
            <p xml:id="ID_365"> Eine Schreckensgeschichte, ,in den grellsten Farben dargestellt, und mit den un¬<lb/>
vermeidlichen Portraits von Robespierre, Danton, und Marat geziert. &#x2014;</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Horaz und seine Freunde.  Von Friedrich Jacob.  2 Bände. Berlin,<lb/>
W. Hertz. &#x2014;</head><lb/>
            <p xml:id="ID_366"> Die Einwendungen, welche wir bereits bei Gelegenheit des ersten Bandes<lb/>
gegen die poetische Gestaltung des classischen Alterthums aus alten Quellen,<lb/>
die uns das Leben viel unmittelbarer vergegenwärtigen, als es durch eine Nach¬<lb/>
bildung geschehen kann, gemacht haben, sind auch durch den gegenwärtigen Band<lb/>
nicht widerlegt worden. Eine poetische Einheit ist nicht erreicht, und wenn wir<lb/>
auch gern zugeben wollen, daß der Laie aus diesen Bildern viel für die correcte<lb/>
Anschauung des Alterthums gewinnen kann, so müssen wir doch behaupten, daß<lb/>
dieses Resultat durch einfache Abhandlungen bequemer zu erreichen war.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die orientalische Frage.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_367"> Durch das Manifest des Kaisers von Rußland, welches den Einmarsch seiner<lb/>
Truppen in die Donaufürstenthümer anzeigt, ist die orientalische Frage in eine<lb/>
neue Wendung getreten und gewinnt diesmal ein ziemlich ernstes Aussehen. Zwar<lb/>
können wir uoch immer nicht annehmen, daß wegen eines armseligen Schlüssels<lb/>
zur Kirche von Jerusalem ein allgemeiner europäischer Krieg entbrennen wird,,<lb/>
aber wir müssen gestehen, daß die Möglichkeiten, diesem Kriege sich zu entziehen,<lb/>
immer kleiner werden. Höchst wahrscheinlich hat keine von den betreffenden Par¬<lb/>
teien ursprünglich an die Möglichkeit eines Krieges gedacht; aber die Verhältnisse<lb/>
haben sich allmälig so wunderbar complicirt, daß auch der beste Wille nicht mehr<lb/>
Herr darüber bleiben dürfte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Das Manifest des russischen Kaisers ist in seiner Art ebenso merkwürdig,<lb/>
wie die Note des Grafen Nesselrode, die wir im vorigen Heft besprochen<lb/>
haben. Der Kaiser ruft gleichsam einen Nationalkrieg hervor, er stellt sich als<lb/>
Beschützer der Rechtgläubigen dar, wenn anch diesmal nicht unmittelbar gegen die<lb/>
&#x201E;Heiden," wie das berühmte Manifest im Jahre 1848. Zunächst sollte man an¬<lb/>
nehmen, es gelte den Schutz der Rechtgläubigen gegen die Unterdrückung der<lb/>
Mohamedaner, aber von dieser Seite ist jeder Vorwand abgeschnitten, denn der<lb/>
Sultan hat sich feierlich allen europäischen Mächten gegenüber verpflichtet, Feinen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 14*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] wehmüthigste Toleranz gegen alle Nichtswürdigkeiten poetischer Naturen, das ist das letzte Resultat dieser Studien über die „menschliche Wirklichkeit." — Der eiserne Schrank. Ein Bild ans der Revolution, aus dem Französischen übersetzt von Emil Hardt. Posen, Merzbach. — Eine Schreckensgeschichte, ,in den grellsten Farben dargestellt, und mit den un¬ vermeidlichen Portraits von Robespierre, Danton, und Marat geziert. — Horaz und seine Freunde. Von Friedrich Jacob. 2 Bände. Berlin, W. Hertz. — Die Einwendungen, welche wir bereits bei Gelegenheit des ersten Bandes gegen die poetische Gestaltung des classischen Alterthums aus alten Quellen, die uns das Leben viel unmittelbarer vergegenwärtigen, als es durch eine Nach¬ bildung geschehen kann, gemacht haben, sind auch durch den gegenwärtigen Band nicht widerlegt worden. Eine poetische Einheit ist nicht erreicht, und wenn wir auch gern zugeben wollen, daß der Laie aus diesen Bildern viel für die correcte Anschauung des Alterthums gewinnen kann, so müssen wir doch behaupten, daß dieses Resultat durch einfache Abhandlungen bequemer zu erreichen war. Die orientalische Frage. Durch das Manifest des Kaisers von Rußland, welches den Einmarsch seiner Truppen in die Donaufürstenthümer anzeigt, ist die orientalische Frage in eine neue Wendung getreten und gewinnt diesmal ein ziemlich ernstes Aussehen. Zwar können wir uoch immer nicht annehmen, daß wegen eines armseligen Schlüssels zur Kirche von Jerusalem ein allgemeiner europäischer Krieg entbrennen wird,, aber wir müssen gestehen, daß die Möglichkeiten, diesem Kriege sich zu entziehen, immer kleiner werden. Höchst wahrscheinlich hat keine von den betreffenden Par¬ teien ursprünglich an die Möglichkeit eines Krieges gedacht; aber die Verhältnisse haben sich allmälig so wunderbar complicirt, daß auch der beste Wille nicht mehr Herr darüber bleiben dürfte. Das Manifest des russischen Kaisers ist in seiner Art ebenso merkwürdig, wie die Note des Grafen Nesselrode, die wir im vorigen Heft besprochen haben. Der Kaiser ruft gleichsam einen Nationalkrieg hervor, er stellt sich als Beschützer der Rechtgläubigen dar, wenn anch diesmal nicht unmittelbar gegen die „Heiden," wie das berühmte Manifest im Jahre 1848. Zunächst sollte man an¬ nehmen, es gelte den Schutz der Rechtgläubigen gegen die Unterdrückung der Mohamedaner, aber von dieser Seite ist jeder Vorwand abgeschnitten, denn der Sultan hat sich feierlich allen europäischen Mächten gegenüber verpflichtet, Feinen 14*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/115>, abgerufen am 29.06.2024.