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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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sie wieder, die bisher verhehlte Liebe bricht mächtig aus, und man erwartet, daß
das Verhältniß jetzt einen geordneten Lauf nehmen wird; aber sie widersteht, sie
hat sich ihm gegenüber immer als Mutter gefühlt, und halt eine Bereinigung für
unpassend. Wir sehen das Verhältniß mit einer gewissen Wehmuth sich auflösen,
denn Beide stimmen auf das Vortrefflichste zu einander, aber wir beruhigen uns.
Er verliebt sich leidenschaftlich in ihre Tochter, seine ehemalige Freundin ist seine
mütterliche Vertraute, und dieses Verhältniß dauert nicht weniger als zwölf Jahre.
Endlich erkennt er die Unwürdigkeit seiner jünger" Geliebten, die ihn schon mehr¬
mals verschmäht hat, und jetzt plötzlich, im Jahre 1718, 27 Jahre nach ihrem
ersten Zusammentreffen, heirathet er ihre Mutter, ganz ohne daß wir daraus vor¬
bereitet werde". Das scheint uns uicht mehr angemessen zu sei". Denn nach
dem bisherigen lauge dauernden Verhältniß sieht es fast wie ein Incest aus,
und der Dichter hat das im Stillen selbst gefühlt, denn er huscht über die ganze
Auflösung mit eiuer Oberflächlichkeit hinweg, die noch weit über seine Gewohn¬
heit hinausgeht, und das Nachtheilige liegt doch nnr darin, daß wir gar nicht
mehr auf eine solche Entwickelung gefaßt sind, während das Verhältniß vorher,
wo wir es ganz allmählich ahnten, nus durchaus wahr und schön erschien. Es
ist dieser Mißgriff daher nicht ein einzelner Zug, der sich ablösen ließe, er liegt
in dem Organismus des Ganzen. Wir sind auch hier wieder in dem Markt der
Eitelkeiten; die Menschen jagen fieberhaft ihren Idealen nach, und wissen eigent¬
lich nicht, was sie wolle". --

Eine Vergleichung, die sehr nahe liegt, mit der jungenglischen und ameri¬
kanische" Schule, die in viele" Punkten mit Tackcray übereinkommt und doch
wieder einen starken Gegensatz ausdrückt, versparen wir auf ein anderes Mal/')




Die französische Kritik.

In dem ersten Decemberhcfte der ni;vu"z clmix anwies giebt Gustave
Blanche eine Uebersicht der Leistungen der schönen Literatur Frankreichs in den



") Soeben bringt I'^>,ser'8 Nagiriiint! eine ausführliche und gut geschriebene Beurtheilung
des H. ESmond. Wir freuen "us, daß sie im Wesentlichen mit der unsrigen übereinstimmt,
namentlich in dem Tadel des Ausgangs. Aber auffallend war eS uns, das; der Recensent jenes
Licbesvcrhältnisi, das wir als das Schönste des Buchs dargestellt haben, gar nicht gemerkt
hat, bis sich zum Schluß M"">ut, und Rachel verheirathen, daß er alle einzelnen Züge dieses
Verhältnisses offenbar falsch verstanden hat. Die feinen Striche des Dichters scheinen also nicht für
Engländer berechnet zu sein. -- Auch in einer andern Recension, in LonUsx't, Wüoelwnx" die
übrigens das Buch unbedingt lobt, ist jenes Verhältniß el" kühles, ruhiges genannt, während
der Dichter sich die Mühe gegeben hat, es von Seiten Rachel's so leidenschaftlich als möglich
zu schildern.
Grenzboten. I. 7

sie wieder, die bisher verhehlte Liebe bricht mächtig aus, und man erwartet, daß
das Verhältniß jetzt einen geordneten Lauf nehmen wird; aber sie widersteht, sie
hat sich ihm gegenüber immer als Mutter gefühlt, und halt eine Bereinigung für
unpassend. Wir sehen das Verhältniß mit einer gewissen Wehmuth sich auflösen,
denn Beide stimmen auf das Vortrefflichste zu einander, aber wir beruhigen uns.
Er verliebt sich leidenschaftlich in ihre Tochter, seine ehemalige Freundin ist seine
mütterliche Vertraute, und dieses Verhältniß dauert nicht weniger als zwölf Jahre.
Endlich erkennt er die Unwürdigkeit seiner jünger» Geliebten, die ihn schon mehr¬
mals verschmäht hat, und jetzt plötzlich, im Jahre 1718, 27 Jahre nach ihrem
ersten Zusammentreffen, heirathet er ihre Mutter, ganz ohne daß wir daraus vor¬
bereitet werde«. Das scheint uns uicht mehr angemessen zu sei». Denn nach
dem bisherigen lauge dauernden Verhältniß sieht es fast wie ein Incest aus,
und der Dichter hat das im Stillen selbst gefühlt, denn er huscht über die ganze
Auflösung mit eiuer Oberflächlichkeit hinweg, die noch weit über seine Gewohn¬
heit hinausgeht, und das Nachtheilige liegt doch nnr darin, daß wir gar nicht
mehr auf eine solche Entwickelung gefaßt sind, während das Verhältniß vorher,
wo wir es ganz allmählich ahnten, nus durchaus wahr und schön erschien. Es
ist dieser Mißgriff daher nicht ein einzelner Zug, der sich ablösen ließe, er liegt
in dem Organismus des Ganzen. Wir sind auch hier wieder in dem Markt der
Eitelkeiten; die Menschen jagen fieberhaft ihren Idealen nach, und wissen eigent¬
lich nicht, was sie wolle». —

Eine Vergleichung, die sehr nahe liegt, mit der jungenglischen und ameri¬
kanische» Schule, die in viele» Punkten mit Tackcray übereinkommt und doch
wieder einen starken Gegensatz ausdrückt, versparen wir auf ein anderes Mal/')




Die französische Kritik.

In dem ersten Decemberhcfte der ni;vu«z clmix anwies giebt Gustave
Blanche eine Uebersicht der Leistungen der schönen Literatur Frankreichs in den



") Soeben bringt I'^>,ser'8 Nagiriiint! eine ausführliche und gut geschriebene Beurtheilung
des H. ESmond. Wir freuen »us, daß sie im Wesentlichen mit der unsrigen übereinstimmt,
namentlich in dem Tadel des Ausgangs. Aber auffallend war eS uns, das; der Recensent jenes
Licbesvcrhältnisi, das wir als das Schönste des Buchs dargestellt haben, gar nicht gemerkt
hat, bis sich zum Schluß M»»>ut, und Rachel verheirathen, daß er alle einzelnen Züge dieses
Verhältnisses offenbar falsch verstanden hat. Die feinen Striche des Dichters scheinen also nicht für
Engländer berechnet zu sein. — Auch in einer andern Recension, in LonUsx't, Wüoelwnx» die
übrigens das Buch unbedingt lobt, ist jenes Verhältniß el» kühles, ruhiges genannt, während
der Dichter sich die Mühe gegeben hat, es von Seiten Rachel's so leidenschaftlich als möglich
zu schildern.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/57>, abgerufen am 26.12.2024.