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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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ausgeführt hat, Diese große Fruchtbarkeit hat ih" vielleicht verhindert, während seines
Lebens an seine" rechte" Platz zu gelangen. Er produzirte zu viel; er war unvermeid¬
lich geworden. Er illustrirte Lafontaine, Werther, Faust, Lamartine, Beaumarchais,
das Evangelium, die Geschichte der Revolution, Voltaire, Walter Scott, Chateaubriand,
Vöraugcr, Byron, Cooper, George Sand u. s. w.


Theater.

Vorige Woche ging im Princcß-Theater in London Macbeth mit
einer Jnsccnirnng über die Bühne, welche sich von den alten Traditionen ganz und gar
lossagte, und durch ihre Originalität große Wirkung machte. Mau sah sich in eine
alte rauhe Zeit versetzt, wo starke Leidenschaften zu wilder Lust und schwarzen Ver¬
brechen reizen; wir befinden uns mitten unter einem Barbarcnvvlke, das auf el" Men¬
schenleben nicht viel giebt, aber dem Trinkhorn und der Freude der Tafel leidenschaft¬
lich ergeben ist, und sich von der Harfe des Barde" zu wildem Enthusiasmus aufcucr"
läßt. 'Das große Mahl, wo Banquos Geist erscheint, ist sehr seltsam. Die riesi¬
gen Häuptlinge erschienen zwischen dicken Pfeilern, aus schweren Bänke" sich streckend,
und massenhafte Gerichte an den schwerbelastete" Tafel" genießend, nährend geschäftige
Diener für die Stillung ihres unlöschbaren Durstes sorgen, und bärtige Barden Genuß
mit Musik erhöhen. Wie die Ermordung Duncan's ruchbar wird, bedeckt sich die Bühne
nicht mit Hochländer" "ach dem conventionelle" Musterbild, sondern mit einer Schaar
wilder Gestalten, die durch einander stürzen, und sich mit wilder Neugier über einen gro¬
ßen Balkon hcrablchncn. Lady Macbeth lebt nicht in einem der herkömmlichen Nitter-
säle, sonder" in großen unmöblirten, Frösteln erweckenden Zimmern, mit plumpen Thü¬
ren, die auf das Einlassen an Zugluft berechnet zu sei" scheinen, "ut den Zuschauer
zweifeln mache", ob sie durch die größte Quantität Brennholz auf den riesigen Herden
erwärmt werden könnte". Der äußere Anblick von Schloß, Heide und Gebirg bringt
denselben Eindruck von Wildheit hervor, und erinnert an die Zeit und den Ort gewaltiger
Verbrechen und rauher Tugenden. I" der übernatürliche" Welt ist die Regie nicht weniger
erfinderisch gewesen. Die Hexen sprechen und singe" durch dicke Gaze, die sie nur halb
wirklich erscheinen macht; und wenn dieser künstliche Nebel verschwindet, heben sich ihre
fantastischen Gestalten grauenerregend von dem Morgenhimmel ab. Ihre Höhle ist keine
gewöh"liebe Hohle, sondern wirklich der Abgrund des Acheron, ein von oben mit einem
rothen Schimmer erleuchteter Kegel, in welchen? die Dämonen ihre Orgien begehe".
Ueberall, wo sich eine Gelegenheit darbietet, die vielen seltsamen Züge dieser grauen¬
erregende" Tragödie ans eine neue und originelle Weise zu beleuchten, ist sie mit Begier
ergriffen, und ein merkwürdiges Bild ist stets die Frucht dieser Künstelei und Verirrung
des Geschmacks.

Der Tod des vortrefflichen Schauspielers I. G. F. Weiß, (geboren 1790 zu
Magdeburg, gestorben den 17. Februar 1838 zu Berlin) wird als ein großer Verlust
des deutschen Theaters allgemein empfunden. Er war einer der sehr wenigen Darsteller,
welche die Traditionen einer bessern Kunstbildung bis in unsere traurige Theatcrzcit be¬
wahrt haben. Seiner Bildung nach gehört er der Hamburger Schule an, in welcher
die Lehren und das Bild des großen Schröder's, des größten deutschen Schauspielers,
bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts lebendig waren. Von dem Kreis
großer Talente, welche aus der gute" Zeit Hamburgs hervorgegangen sind, und noch
unter Schmidt dies Theater im bürgerlichen Schauspiel zu dem ersten Deutschlands
machten, von den Gloy, Lebrun, Lenz, Jost und Anderen sind kaum noch zwei oder
drei aus der Bühne, fast nur dazu, um eine jüngere Generation vergebens an das zu
erinnern, was die Kunst der theatralischen Darstellung einst zu leisten wußte. Jene
Wahrheit, Einfachheit und bescheidene Verwendung der Mittel, das sorgfältige Aus¬
arbeite" des Details, die innige Liebe, mit weicher das Charakteristische in kleinen Zügen
ausgearbeitet wurde, sind auch an Weiß bis an sein Lebensende zu verehre" gewesen.
Seit dem Jahre 1823 bei dem königlichen Theater zu Berlin angestellt, von 1827


ausgeführt hat, Diese große Fruchtbarkeit hat ih» vielleicht verhindert, während seines
Lebens an seine» rechte» Platz zu gelangen. Er produzirte zu viel; er war unvermeid¬
lich geworden. Er illustrirte Lafontaine, Werther, Faust, Lamartine, Beaumarchais,
das Evangelium, die Geschichte der Revolution, Voltaire, Walter Scott, Chateaubriand,
Vöraugcr, Byron, Cooper, George Sand u. s. w.


Theater.

Vorige Woche ging im Princcß-Theater in London Macbeth mit
einer Jnsccnirnng über die Bühne, welche sich von den alten Traditionen ganz und gar
lossagte, und durch ihre Originalität große Wirkung machte. Mau sah sich in eine
alte rauhe Zeit versetzt, wo starke Leidenschaften zu wilder Lust und schwarzen Ver¬
brechen reizen; wir befinden uns mitten unter einem Barbarcnvvlke, das auf el» Men¬
schenleben nicht viel giebt, aber dem Trinkhorn und der Freude der Tafel leidenschaft¬
lich ergeben ist, und sich von der Harfe des Barde» zu wildem Enthusiasmus aufcucr»
läßt. 'Das große Mahl, wo Banquos Geist erscheint, ist sehr seltsam. Die riesi¬
gen Häuptlinge erschienen zwischen dicken Pfeilern, aus schweren Bänke» sich streckend,
und massenhafte Gerichte an den schwerbelastete» Tafel» genießend, nährend geschäftige
Diener für die Stillung ihres unlöschbaren Durstes sorgen, und bärtige Barden Genuß
mit Musik erhöhen. Wie die Ermordung Duncan's ruchbar wird, bedeckt sich die Bühne
nicht mit Hochländer» »ach dem conventionelle» Musterbild, sondern mit einer Schaar
wilder Gestalten, die durch einander stürzen, und sich mit wilder Neugier über einen gro¬
ßen Balkon hcrablchncn. Lady Macbeth lebt nicht in einem der herkömmlichen Nitter-
säle, sonder» in großen unmöblirten, Frösteln erweckenden Zimmern, mit plumpen Thü¬
ren, die auf das Einlassen an Zugluft berechnet zu sei» scheinen, »ut den Zuschauer
zweifeln mache», ob sie durch die größte Quantität Brennholz auf den riesigen Herden
erwärmt werden könnte». Der äußere Anblick von Schloß, Heide und Gebirg bringt
denselben Eindruck von Wildheit hervor, und erinnert an die Zeit und den Ort gewaltiger
Verbrechen und rauher Tugenden. I» der übernatürliche» Welt ist die Regie nicht weniger
erfinderisch gewesen. Die Hexen sprechen und singe» durch dicke Gaze, die sie nur halb
wirklich erscheinen macht; und wenn dieser künstliche Nebel verschwindet, heben sich ihre
fantastischen Gestalten grauenerregend von dem Morgenhimmel ab. Ihre Höhle ist keine
gewöh»liebe Hohle, sondern wirklich der Abgrund des Acheron, ein von oben mit einem
rothen Schimmer erleuchteter Kegel, in welchen? die Dämonen ihre Orgien begehe».
Ueberall, wo sich eine Gelegenheit darbietet, die vielen seltsamen Züge dieser grauen¬
erregende» Tragödie ans eine neue und originelle Weise zu beleuchten, ist sie mit Begier
ergriffen, und ein merkwürdiges Bild ist stets die Frucht dieser Künstelei und Verirrung
des Geschmacks.

Der Tod des vortrefflichen Schauspielers I. G. F. Weiß, (geboren 1790 zu
Magdeburg, gestorben den 17. Februar 1838 zu Berlin) wird als ein großer Verlust
des deutschen Theaters allgemein empfunden. Er war einer der sehr wenigen Darsteller,
welche die Traditionen einer bessern Kunstbildung bis in unsere traurige Theatcrzcit be¬
wahrt haben. Seiner Bildung nach gehört er der Hamburger Schule an, in welcher
die Lehren und das Bild des großen Schröder's, des größten deutschen Schauspielers,
bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts lebendig waren. Von dem Kreis
großer Talente, welche aus der gute» Zeit Hamburgs hervorgegangen sind, und noch
unter Schmidt dies Theater im bürgerlichen Schauspiel zu dem ersten Deutschlands
machten, von den Gloy, Lebrun, Lenz, Jost und Anderen sind kaum noch zwei oder
drei aus der Bühne, fast nur dazu, um eine jüngere Generation vergebens an das zu
erinnern, was die Kunst der theatralischen Darstellung einst zu leisten wußte. Jene
Wahrheit, Einfachheit und bescheidene Verwendung der Mittel, das sorgfältige Aus¬
arbeite» des Details, die innige Liebe, mit weicher das Charakteristische in kleinen Zügen
ausgearbeitet wurde, sind auch an Weiß bis an sein Lebensende zu verehre» gewesen.
Seit dem Jahre 1823 bei dem königlichen Theater zu Berlin angestellt, von 1827


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[0445] ausgeführt hat, Diese große Fruchtbarkeit hat ih» vielleicht verhindert, während seines Lebens an seine» rechte» Platz zu gelangen. Er produzirte zu viel; er war unvermeid¬ lich geworden. Er illustrirte Lafontaine, Werther, Faust, Lamartine, Beaumarchais, das Evangelium, die Geschichte der Revolution, Voltaire, Walter Scott, Chateaubriand, Vöraugcr, Byron, Cooper, George Sand u. s. w. Theater. Vorige Woche ging im Princcß-Theater in London Macbeth mit einer Jnsccnirnng über die Bühne, welche sich von den alten Traditionen ganz und gar lossagte, und durch ihre Originalität große Wirkung machte. Mau sah sich in eine alte rauhe Zeit versetzt, wo starke Leidenschaften zu wilder Lust und schwarzen Ver¬ brechen reizen; wir befinden uns mitten unter einem Barbarcnvvlke, das auf el» Men¬ schenleben nicht viel giebt, aber dem Trinkhorn und der Freude der Tafel leidenschaft¬ lich ergeben ist, und sich von der Harfe des Barde» zu wildem Enthusiasmus aufcucr» läßt. 'Das große Mahl, wo Banquos Geist erscheint, ist sehr seltsam. Die riesi¬ gen Häuptlinge erschienen zwischen dicken Pfeilern, aus schweren Bänke» sich streckend, und massenhafte Gerichte an den schwerbelastete» Tafel» genießend, nährend geschäftige Diener für die Stillung ihres unlöschbaren Durstes sorgen, und bärtige Barden Genuß mit Musik erhöhen. Wie die Ermordung Duncan's ruchbar wird, bedeckt sich die Bühne nicht mit Hochländer» »ach dem conventionelle» Musterbild, sondern mit einer Schaar wilder Gestalten, die durch einander stürzen, und sich mit wilder Neugier über einen gro¬ ßen Balkon hcrablchncn. Lady Macbeth lebt nicht in einem der herkömmlichen Nitter- säle, sonder» in großen unmöblirten, Frösteln erweckenden Zimmern, mit plumpen Thü¬ ren, die auf das Einlassen an Zugluft berechnet zu sei» scheinen, »ut den Zuschauer zweifeln mache», ob sie durch die größte Quantität Brennholz auf den riesigen Herden erwärmt werden könnte». Der äußere Anblick von Schloß, Heide und Gebirg bringt denselben Eindruck von Wildheit hervor, und erinnert an die Zeit und den Ort gewaltiger Verbrechen und rauher Tugenden. I» der übernatürliche» Welt ist die Regie nicht weniger erfinderisch gewesen. Die Hexen sprechen und singe» durch dicke Gaze, die sie nur halb wirklich erscheinen macht; und wenn dieser künstliche Nebel verschwindet, heben sich ihre fantastischen Gestalten grauenerregend von dem Morgenhimmel ab. Ihre Höhle ist keine gewöh»liebe Hohle, sondern wirklich der Abgrund des Acheron, ein von oben mit einem rothen Schimmer erleuchteter Kegel, in welchen? die Dämonen ihre Orgien begehe». Ueberall, wo sich eine Gelegenheit darbietet, die vielen seltsamen Züge dieser grauen¬ erregende» Tragödie ans eine neue und originelle Weise zu beleuchten, ist sie mit Begier ergriffen, und ein merkwürdiges Bild ist stets die Frucht dieser Künstelei und Verirrung des Geschmacks. Der Tod des vortrefflichen Schauspielers I. G. F. Weiß, (geboren 1790 zu Magdeburg, gestorben den 17. Februar 1838 zu Berlin) wird als ein großer Verlust des deutschen Theaters allgemein empfunden. Er war einer der sehr wenigen Darsteller, welche die Traditionen einer bessern Kunstbildung bis in unsere traurige Theatcrzcit be¬ wahrt haben. Seiner Bildung nach gehört er der Hamburger Schule an, in welcher die Lehren und das Bild des großen Schröder's, des größten deutschen Schauspielers, bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts lebendig waren. Von dem Kreis großer Talente, welche aus der gute» Zeit Hamburgs hervorgegangen sind, und noch unter Schmidt dies Theater im bürgerlichen Schauspiel zu dem ersten Deutschlands machten, von den Gloy, Lebrun, Lenz, Jost und Anderen sind kaum noch zwei oder drei aus der Bühne, fast nur dazu, um eine jüngere Generation vergebens an das zu erinnern, was die Kunst der theatralischen Darstellung einst zu leisten wußte. Jene Wahrheit, Einfachheit und bescheidene Verwendung der Mittel, das sorgfältige Aus¬ arbeite» des Details, die innige Liebe, mit weicher das Charakteristische in kleinen Zügen ausgearbeitet wurde, sind auch an Weiß bis an sein Lebensende zu verehre» gewesen. Seit dem Jahre 1823 bei dem königlichen Theater zu Berlin angestellt, von 1827

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/445>, abgerufen am 26.12.2024.