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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Pariser Briefe.

Die neue Kaiserin ist mit ihrem Gemahl von
Se. Elond hereingekommen, und während der Kaiser seinen Ministern vorsaß,
zeigte sich die zweite Josephine auf den Boulevards. Die Pariser, die nicht
aufhören, die Büste des Grafen Newkierk vor einigen Anslcgekasten zu umstehen
und zu beschaue", zeigten dem schönen Originale gegenüber viel weniger Neu¬
gierde. Kaum wurde hie und da ein Hut gerückt. Kein Ruf war zu vernehmen,
und Alles beweist,' daß der üble Eindruck, den die Heirath bei den höheren
Klassen hervorgerufen, auch von den Arbeitern und Kleinbürgern getheilt werde.
Für den Augenblick unterliegt diese merkwürdige Thatsache keinem Zmeisel mehr,
sie ist augenfällig, obgleich es nicht leicht ist, sie zu erkläre". Was man der
Spanierin vorwirft, ist in allen Klassen dasselbe: wenn sie schon keine Prinzessin
ist, so sollte sie doch wenigstens eine Französin sein. Ein Kutscher des Hofes
sagte seinem ehemaligen Herrn ganz traurig: "Wir hatten wenigstens gehofft,
eine Prinzessin zu fahren." In meinen Angen hat diese Erscheinung nur die
Bedeutung, daß eben die Zeit der Opposition wieder gekommen, und daß man
der Kaiserin entgelten läßt, was man den Kaiser fühlen lassen möchte. Für den
Anfang wäre jede andere Heirath eben so aufgenommen worden. Einer Prin¬
zessin hätte man Marie Antvuiette und Marie Louise vorgeworfen, eine Französin
hätte deu Neid und die Eifersucht aller verschmähten heiratsfähigen Töchter des
Adels erregt, und der Erfolg wäre wahrscheinlich derselbe gewesen. Die Kaiserin,
welche tief gekränkt ist über die Aufnahme, die sie beim Publikum gefunden,
sollte sich vielmehr Glück zu diesem Debüt wünschen, denn wenn sie so viel Tact
hat als sie Geist besitzen soll, wird es ihr nicht schwer fallen, die Stimmung für
sich zu mildern. Was ich über diese so interessant gewordene Persönlichkeit
erfahren habe, läßt vermuthen, daß sie keine geringe, wenn auch vielleicht keine
allzulange Rolle in der neuesten Geschichte Frankreichs spielen werde. Sie hat
schon sehr glücklich begonnen, denn ihr kaiserlicher Gemahl ist sehr verliebt und
strahlt vor Freude. Er vergißt darüber die politischen Schwierigkeiten des Augen-
blicks, er Übersicht das Schmollen Oestreichs, er ignorirt die finstere Miene
Rußlands, die endliche Zolleinignng Preußens und Oestreichs läßt ihn unberührt,
er lebt seinem nicht gehofften Glücke. Wenn dem Zeugnisse seiner Juliner
zu trauen ist, sind die Erwartungen Louis Napoleon's von der Wirklichkeit über-
troffen worden, und hätte dieser den Beweis, daß die emsige Verläumdung der
sogenannten guten Gesellschaft ohne jeden Grund gewesen. Er hat das Be¬
wußtsein -- und das ist doch Alles -- nicht überall in Frankreich Napoleon der
Dritte zu sein.

Ich habe sehr interessante Mittheilungen über den Charakter der Kaiserin
Kugcnic. Diese sind aufrichtig gemeint, die Person, von der ich sie erhalten, ist
in der Lage, gut zu urtheilen, und ich habe keinen Grund, irgendwie an deren
innerer Genauigkeit zu zweifeln. Die Gräfin von Tschä soll ein unabhängiges


Pariser Briefe.

Die neue Kaiserin ist mit ihrem Gemahl von
Se. Elond hereingekommen, und während der Kaiser seinen Ministern vorsaß,
zeigte sich die zweite Josephine auf den Boulevards. Die Pariser, die nicht
aufhören, die Büste des Grafen Newkierk vor einigen Anslcgekasten zu umstehen
und zu beschaue», zeigten dem schönen Originale gegenüber viel weniger Neu¬
gierde. Kaum wurde hie und da ein Hut gerückt. Kein Ruf war zu vernehmen,
und Alles beweist,' daß der üble Eindruck, den die Heirath bei den höheren
Klassen hervorgerufen, auch von den Arbeitern und Kleinbürgern getheilt werde.
Für den Augenblick unterliegt diese merkwürdige Thatsache keinem Zmeisel mehr,
sie ist augenfällig, obgleich es nicht leicht ist, sie zu erkläre». Was man der
Spanierin vorwirft, ist in allen Klassen dasselbe: wenn sie schon keine Prinzessin
ist, so sollte sie doch wenigstens eine Französin sein. Ein Kutscher des Hofes
sagte seinem ehemaligen Herrn ganz traurig: „Wir hatten wenigstens gehofft,
eine Prinzessin zu fahren." In meinen Angen hat diese Erscheinung nur die
Bedeutung, daß eben die Zeit der Opposition wieder gekommen, und daß man
der Kaiserin entgelten läßt, was man den Kaiser fühlen lassen möchte. Für den
Anfang wäre jede andere Heirath eben so aufgenommen worden. Einer Prin¬
zessin hätte man Marie Antvuiette und Marie Louise vorgeworfen, eine Französin
hätte deu Neid und die Eifersucht aller verschmähten heiratsfähigen Töchter des
Adels erregt, und der Erfolg wäre wahrscheinlich derselbe gewesen. Die Kaiserin,
welche tief gekränkt ist über die Aufnahme, die sie beim Publikum gefunden,
sollte sich vielmehr Glück zu diesem Debüt wünschen, denn wenn sie so viel Tact
hat als sie Geist besitzen soll, wird es ihr nicht schwer fallen, die Stimmung für
sich zu mildern. Was ich über diese so interessant gewordene Persönlichkeit
erfahren habe, läßt vermuthen, daß sie keine geringe, wenn auch vielleicht keine
allzulange Rolle in der neuesten Geschichte Frankreichs spielen werde. Sie hat
schon sehr glücklich begonnen, denn ihr kaiserlicher Gemahl ist sehr verliebt und
strahlt vor Freude. Er vergißt darüber die politischen Schwierigkeiten des Augen-
blicks, er Übersicht das Schmollen Oestreichs, er ignorirt die finstere Miene
Rußlands, die endliche Zolleinignng Preußens und Oestreichs läßt ihn unberührt,
er lebt seinem nicht gehofften Glücke. Wenn dem Zeugnisse seiner Juliner
zu trauen ist, sind die Erwartungen Louis Napoleon's von der Wirklichkeit über-
troffen worden, und hätte dieser den Beweis, daß die emsige Verläumdung der
sogenannten guten Gesellschaft ohne jeden Grund gewesen. Er hat das Be¬
wußtsein — und das ist doch Alles — nicht überall in Frankreich Napoleon der
Dritte zu sein.

Ich habe sehr interessante Mittheilungen über den Charakter der Kaiserin
Kugcnic. Diese sind aufrichtig gemeint, die Person, von der ich sie erhalten, ist
in der Lage, gut zu urtheilen, und ich habe keinen Grund, irgendwie an deren
innerer Genauigkeit zu zweifeln. Die Gräfin von Tschä soll ein unabhängiges


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[0316] Pariser Briefe. Die neue Kaiserin ist mit ihrem Gemahl von Se. Elond hereingekommen, und während der Kaiser seinen Ministern vorsaß, zeigte sich die zweite Josephine auf den Boulevards. Die Pariser, die nicht aufhören, die Büste des Grafen Newkierk vor einigen Anslcgekasten zu umstehen und zu beschaue», zeigten dem schönen Originale gegenüber viel weniger Neu¬ gierde. Kaum wurde hie und da ein Hut gerückt. Kein Ruf war zu vernehmen, und Alles beweist,' daß der üble Eindruck, den die Heirath bei den höheren Klassen hervorgerufen, auch von den Arbeitern und Kleinbürgern getheilt werde. Für den Augenblick unterliegt diese merkwürdige Thatsache keinem Zmeisel mehr, sie ist augenfällig, obgleich es nicht leicht ist, sie zu erkläre». Was man der Spanierin vorwirft, ist in allen Klassen dasselbe: wenn sie schon keine Prinzessin ist, so sollte sie doch wenigstens eine Französin sein. Ein Kutscher des Hofes sagte seinem ehemaligen Herrn ganz traurig: „Wir hatten wenigstens gehofft, eine Prinzessin zu fahren." In meinen Angen hat diese Erscheinung nur die Bedeutung, daß eben die Zeit der Opposition wieder gekommen, und daß man der Kaiserin entgelten läßt, was man den Kaiser fühlen lassen möchte. Für den Anfang wäre jede andere Heirath eben so aufgenommen worden. Einer Prin¬ zessin hätte man Marie Antvuiette und Marie Louise vorgeworfen, eine Französin hätte deu Neid und die Eifersucht aller verschmähten heiratsfähigen Töchter des Adels erregt, und der Erfolg wäre wahrscheinlich derselbe gewesen. Die Kaiserin, welche tief gekränkt ist über die Aufnahme, die sie beim Publikum gefunden, sollte sich vielmehr Glück zu diesem Debüt wünschen, denn wenn sie so viel Tact hat als sie Geist besitzen soll, wird es ihr nicht schwer fallen, die Stimmung für sich zu mildern. Was ich über diese so interessant gewordene Persönlichkeit erfahren habe, läßt vermuthen, daß sie keine geringe, wenn auch vielleicht keine allzulange Rolle in der neuesten Geschichte Frankreichs spielen werde. Sie hat schon sehr glücklich begonnen, denn ihr kaiserlicher Gemahl ist sehr verliebt und strahlt vor Freude. Er vergißt darüber die politischen Schwierigkeiten des Augen- blicks, er Übersicht das Schmollen Oestreichs, er ignorirt die finstere Miene Rußlands, die endliche Zolleinignng Preußens und Oestreichs läßt ihn unberührt, er lebt seinem nicht gehofften Glücke. Wenn dem Zeugnisse seiner Juliner zu trauen ist, sind die Erwartungen Louis Napoleon's von der Wirklichkeit über- troffen worden, und hätte dieser den Beweis, daß die emsige Verläumdung der sogenannten guten Gesellschaft ohne jeden Grund gewesen. Er hat das Be¬ wußtsein — und das ist doch Alles — nicht überall in Frankreich Napoleon der Dritte zu sein. Ich habe sehr interessante Mittheilungen über den Charakter der Kaiserin Kugcnic. Diese sind aufrichtig gemeint, die Person, von der ich sie erhalten, ist in der Lage, gut zu urtheilen, und ich habe keinen Grund, irgendwie an deren innerer Genauigkeit zu zweifeln. Die Gräfin von Tschä soll ein unabhängiges

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/316>, abgerufen am 26.12.2024.