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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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in der Türkei Die Haltung der beiden nordischen Kaiserhofe gegen die Pforte
ist seit einiger Zeit eine so zweideutige, daß man den Argwohn kaum zurück¬
drängen kann, das barsche Auftreten Oesterreichs, das übrigens gänzlich seiner
früher so lange befolgten Politik widerspricht, verberge weitergehende Projecte,
die eine sehr beschleunigte Lösung der orientalischen Frage herbeiführen konnten.
Die Dinge in Constantinopel sind in der That geeignet, falls die Kabinette von
Wien und Se. Petersburg eine Katastrophe bewirken wollen, das Vor¬
haben zu begünstigen. Der Sultan ist in den Händen der alttürkischen Partei,
die mit jedem Tage ihre Reaction gegen die Neformpolitik des gestürzten Groß-
veziers Neschid Pascha steigert, und die Leidenschaften derselben stehen den
österreichischen Forderungen so sehr entgegen, daß der Divan möglicherweise zwi¬
schen die furchtbare Alternative eines Krieges gegen seine übermächtigen Nachbarn
und eines schrecklichen Ausbruchs des Fanatismus daheim gestellt wird. Hierzu
komme" die tief verwickelten Finanzverhältnisse des Reichs und die ziemlich ge¬
spannte Stellung der Pforte zu den westlichen Großmächten, in Folge der un¬
glücklichen Anleihegcschichte und, was speciell Frankreich betrifft, der noch immer
ungelösten Frage über die Protection der heiligen Orte. Der Angriff gegen
Montenegro, der mit aus gegenseitiger Erbitterung, fanatischem Religionshaß und
Zuchtlosigkeit der türkischen Soldateska hervorgehenden Grausamkeiten gegen die
Christen und Zerstörung der Heiligthümer ihres Glaubens verbunden ist, findet
gleichfalls in der öffentlichen Meinung Englands und Frankreichs eine starke Mi߬
billigung, und selbst die englische Presse, die sonst stets die Partei der Pforte
gegen Rußland und Oesterreich zu nehmen pflegt, spricht sich diesmal fast feind¬
selig gegen die erstere ans. Ist es demnach anch noch keineswegs gewiß, daß
wir am Vorabend entscheidender Ereignisse im Orient stehen, so darf man sich
doch nicht verhehlen, daß die Möglichkeit dafür sehr nahe liegt.


Der VerfassunaMampf in Spanien.

Alles Interesse concentrirt
sich gegenwärtig in Spanien ans die nahe bevorstehenden Wahlen, ans denen
allerdings verhängnißvolle Entscheidungen für das Land hervorgehn dürften.
Das Ministerium arbeitet mit einer Anstrengung an seinem Erfolg, die mit den
Mitteln dazu eben nicht gewissenhaft verfährt. Die Wahlcvmit<"s der Opposition
sind, wie wir bereits berichteten, durch eine chicanvse Auslegung des Assvziations-
gesetzes zur Auflösung gezwungen worden, und die Preßrazzia's, denen täglich der
größere Theil der unabhängigen Zeitungen Madrid's zum Opfer fällt, dauern
unausgesetzt fort. In den Provinzen wird, wie man nach dem Verfahren in der
Hauptstadt schließen kauu, sicherlich in eiuer Weise gemaßregelt, die noch weit
über jenes hinausgeht. Es liegt daher nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit, daß
das Ministerium über die vereinigte moderirt-progrcssistische Opposition trium-


in der Türkei Die Haltung der beiden nordischen Kaiserhofe gegen die Pforte
ist seit einiger Zeit eine so zweideutige, daß man den Argwohn kaum zurück¬
drängen kann, das barsche Auftreten Oesterreichs, das übrigens gänzlich seiner
früher so lange befolgten Politik widerspricht, verberge weitergehende Projecte,
die eine sehr beschleunigte Lösung der orientalischen Frage herbeiführen konnten.
Die Dinge in Constantinopel sind in der That geeignet, falls die Kabinette von
Wien und Se. Petersburg eine Katastrophe bewirken wollen, das Vor¬
haben zu begünstigen. Der Sultan ist in den Händen der alttürkischen Partei,
die mit jedem Tage ihre Reaction gegen die Neformpolitik des gestürzten Groß-
veziers Neschid Pascha steigert, und die Leidenschaften derselben stehen den
österreichischen Forderungen so sehr entgegen, daß der Divan möglicherweise zwi¬
schen die furchtbare Alternative eines Krieges gegen seine übermächtigen Nachbarn
und eines schrecklichen Ausbruchs des Fanatismus daheim gestellt wird. Hierzu
komme» die tief verwickelten Finanzverhältnisse des Reichs und die ziemlich ge¬
spannte Stellung der Pforte zu den westlichen Großmächten, in Folge der un¬
glücklichen Anleihegcschichte und, was speciell Frankreich betrifft, der noch immer
ungelösten Frage über die Protection der heiligen Orte. Der Angriff gegen
Montenegro, der mit aus gegenseitiger Erbitterung, fanatischem Religionshaß und
Zuchtlosigkeit der türkischen Soldateska hervorgehenden Grausamkeiten gegen die
Christen und Zerstörung der Heiligthümer ihres Glaubens verbunden ist, findet
gleichfalls in der öffentlichen Meinung Englands und Frankreichs eine starke Mi߬
billigung, und selbst die englische Presse, die sonst stets die Partei der Pforte
gegen Rußland und Oesterreich zu nehmen pflegt, spricht sich diesmal fast feind¬
selig gegen die erstere ans. Ist es demnach anch noch keineswegs gewiß, daß
wir am Vorabend entscheidender Ereignisse im Orient stehen, so darf man sich
doch nicht verhehlen, daß die Möglichkeit dafür sehr nahe liegt.


Der VerfassunaMampf in Spanien.

Alles Interesse concentrirt
sich gegenwärtig in Spanien ans die nahe bevorstehenden Wahlen, ans denen
allerdings verhängnißvolle Entscheidungen für das Land hervorgehn dürften.
Das Ministerium arbeitet mit einer Anstrengung an seinem Erfolg, die mit den
Mitteln dazu eben nicht gewissenhaft verfährt. Die Wahlcvmit<"s der Opposition
sind, wie wir bereits berichteten, durch eine chicanvse Auslegung des Assvziations-
gesetzes zur Auflösung gezwungen worden, und die Preßrazzia's, denen täglich der
größere Theil der unabhängigen Zeitungen Madrid's zum Opfer fällt, dauern
unausgesetzt fort. In den Provinzen wird, wie man nach dem Verfahren in der
Hauptstadt schließen kauu, sicherlich in eiuer Weise gemaßregelt, die noch weit
über jenes hinausgeht. Es liegt daher nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit, daß
das Ministerium über die vereinigte moderirt-progrcssistische Opposition trium-


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[0314] in der Türkei Die Haltung der beiden nordischen Kaiserhofe gegen die Pforte ist seit einiger Zeit eine so zweideutige, daß man den Argwohn kaum zurück¬ drängen kann, das barsche Auftreten Oesterreichs, das übrigens gänzlich seiner früher so lange befolgten Politik widerspricht, verberge weitergehende Projecte, die eine sehr beschleunigte Lösung der orientalischen Frage herbeiführen konnten. Die Dinge in Constantinopel sind in der That geeignet, falls die Kabinette von Wien und Se. Petersburg eine Katastrophe bewirken wollen, das Vor¬ haben zu begünstigen. Der Sultan ist in den Händen der alttürkischen Partei, die mit jedem Tage ihre Reaction gegen die Neformpolitik des gestürzten Groß- veziers Neschid Pascha steigert, und die Leidenschaften derselben stehen den österreichischen Forderungen so sehr entgegen, daß der Divan möglicherweise zwi¬ schen die furchtbare Alternative eines Krieges gegen seine übermächtigen Nachbarn und eines schrecklichen Ausbruchs des Fanatismus daheim gestellt wird. Hierzu komme» die tief verwickelten Finanzverhältnisse des Reichs und die ziemlich ge¬ spannte Stellung der Pforte zu den westlichen Großmächten, in Folge der un¬ glücklichen Anleihegcschichte und, was speciell Frankreich betrifft, der noch immer ungelösten Frage über die Protection der heiligen Orte. Der Angriff gegen Montenegro, der mit aus gegenseitiger Erbitterung, fanatischem Religionshaß und Zuchtlosigkeit der türkischen Soldateska hervorgehenden Grausamkeiten gegen die Christen und Zerstörung der Heiligthümer ihres Glaubens verbunden ist, findet gleichfalls in der öffentlichen Meinung Englands und Frankreichs eine starke Mi߬ billigung, und selbst die englische Presse, die sonst stets die Partei der Pforte gegen Rußland und Oesterreich zu nehmen pflegt, spricht sich diesmal fast feind¬ selig gegen die erstere ans. Ist es demnach anch noch keineswegs gewiß, daß wir am Vorabend entscheidender Ereignisse im Orient stehen, so darf man sich doch nicht verhehlen, daß die Möglichkeit dafür sehr nahe liegt. Der VerfassunaMampf in Spanien. Alles Interesse concentrirt sich gegenwärtig in Spanien ans die nahe bevorstehenden Wahlen, ans denen allerdings verhängnißvolle Entscheidungen für das Land hervorgehn dürften. Das Ministerium arbeitet mit einer Anstrengung an seinem Erfolg, die mit den Mitteln dazu eben nicht gewissenhaft verfährt. Die Wahlcvmit<"s der Opposition sind, wie wir bereits berichteten, durch eine chicanvse Auslegung des Assvziations- gesetzes zur Auflösung gezwungen worden, und die Preßrazzia's, denen täglich der größere Theil der unabhängigen Zeitungen Madrid's zum Opfer fällt, dauern unausgesetzt fort. In den Provinzen wird, wie man nach dem Verfahren in der Hauptstadt schließen kauu, sicherlich in eiuer Weise gemaßregelt, die noch weit über jenes hinausgeht. Es liegt daher nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit, daß das Ministerium über die vereinigte moderirt-progrcssistische Opposition trium-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/314>, abgerufen am 26.12.2024.