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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Die Kunstausstellung in Berlin.
1.

Am ersten September öffneten sich die Säle des Akademiegebäudes dem
kunstliebenden Publicum. Ungeachtet des überaus trüben und regnichten Wet¬
ters waren die Ausstellungsräume belebt. Abgesehn von der nicht unbedeuten¬
den Anzahl Künstler, die theils das Interesse am eigenen Werke, theils die
Begierde, das ihnen Unbekannte zu prüfen, dort versammelt hatte, erfüllte die
Säle eine Masse des eigentlichen Publicums, das die Bilder mit einer weniger
befangenen Schaulust betrachtete. Ich sage ausdrücklich "mit einer weniger
befangenen Schaulust," denn daß die Zeit vorüber, wo der Laie sich gleichsam
als orthodox Kunstglänbiger den Knnsteindrücken vollständig überließ, ohne an
der Unfehlbarkeit des Künstlers zu zweifeln, ist eine zu bekannte Sache. Diese
scheinbare Urtheilsfähigkeit des Publicums hat in dem Kunstgeschmack ein Schwan¬
ken und eine Unsicherheit erzeugt, wodurch eine Menge strebender Talente auf
Abwege geleitet wurden, die sie in das Chaos des Materialismus führten. Ohne
ästhetisch begründeten sichern Halt retteten sie dann, wenn es hoch kam, Nichts
weiter als die schnell faßbare Aeußerlichkeit. Wir sind weit davon entfernt, die
Technik überhaupt als etwas Unwesentliches zu bezeichnen, aber wir halten eine
vollendete Technik noch nicht für das Endziel in der Kunst. Die Idee, welche
der Schöpfung zum Grunde liegt, bedingt zunächst das Mehr oder Weniger
ihres künstlerischen Werthes. Je inniger sich die Ausführung dem Gedanken
anschließt, je harmonischer sie mit demselben verschmilzt, um so mehr wird sie
als Träger des Gedankens, wenigstens scheinbar hinter diesem zurückbleibe"/
man wird sie fühlen, aber nicht fassen. Wo aber die Aeußeruugssorm hinter der
Gedankenfülle zurückbleibt, wirkt sie störend, wie da, wo sie dieselbe beherrscht-
Im erster" Falle werden wir ein Etwas vermissen, was uns unsicher und befan¬
gen macht, wir werden abgezogen von dem wahren Inhalte des Werkes, das
dadurch selbst leicht den Charakter des Unvollkommenen, Aeußerlichen erhalt.
Aber dennoch wird es uns trotz seiner Mängel fesseln und innerlich bewegen; ja,
haben wir uns an die Mängel gewöhnt, so tritt der Inhalt immer klarer zu
Tage. Anders dagegen, wo die äußere Form den geistigen Gehalt beherrscht.
Hier bildet sie gleichsam, eine Schranke zwischen dem Schauenden und dem geistig
Schanbareu. Das Auge, unwillkürlich auf die Fläche gebannt, findet in der
bequemsten Weise eine Art von Befriedigung. Das leicht Faßbare schmeichelt dern
Gefühl und dieses ahnt nicht, daß es betrogen wurde. Aber auch hier tritt allmäh¬
lich der Fall ein, daß man sich an die glänzende Außenseite gewöhnt und daß
an die Stelle des leiblichen Auges das rein geistige Bedürfniß tritt. Jetzt zei¬
gen sich allmählich die geistigen Mängel des Werkes, und zwar um so stärker,


Die Kunstausstellung in Berlin.
1.

Am ersten September öffneten sich die Säle des Akademiegebäudes dem
kunstliebenden Publicum. Ungeachtet des überaus trüben und regnichten Wet¬
ters waren die Ausstellungsräume belebt. Abgesehn von der nicht unbedeuten¬
den Anzahl Künstler, die theils das Interesse am eigenen Werke, theils die
Begierde, das ihnen Unbekannte zu prüfen, dort versammelt hatte, erfüllte die
Säle eine Masse des eigentlichen Publicums, das die Bilder mit einer weniger
befangenen Schaulust betrachtete. Ich sage ausdrücklich „mit einer weniger
befangenen Schaulust," denn daß die Zeit vorüber, wo der Laie sich gleichsam
als orthodox Kunstglänbiger den Knnsteindrücken vollständig überließ, ohne an
der Unfehlbarkeit des Künstlers zu zweifeln, ist eine zu bekannte Sache. Diese
scheinbare Urtheilsfähigkeit des Publicums hat in dem Kunstgeschmack ein Schwan¬
ken und eine Unsicherheit erzeugt, wodurch eine Menge strebender Talente auf
Abwege geleitet wurden, die sie in das Chaos des Materialismus führten. Ohne
ästhetisch begründeten sichern Halt retteten sie dann, wenn es hoch kam, Nichts
weiter als die schnell faßbare Aeußerlichkeit. Wir sind weit davon entfernt, die
Technik überhaupt als etwas Unwesentliches zu bezeichnen, aber wir halten eine
vollendete Technik noch nicht für das Endziel in der Kunst. Die Idee, welche
der Schöpfung zum Grunde liegt, bedingt zunächst das Mehr oder Weniger
ihres künstlerischen Werthes. Je inniger sich die Ausführung dem Gedanken
anschließt, je harmonischer sie mit demselben verschmilzt, um so mehr wird sie
als Träger des Gedankens, wenigstens scheinbar hinter diesem zurückbleibe»/
man wird sie fühlen, aber nicht fassen. Wo aber die Aeußeruugssorm hinter der
Gedankenfülle zurückbleibt, wirkt sie störend, wie da, wo sie dieselbe beherrscht-
Im erster» Falle werden wir ein Etwas vermissen, was uns unsicher und befan¬
gen macht, wir werden abgezogen von dem wahren Inhalte des Werkes, das
dadurch selbst leicht den Charakter des Unvollkommenen, Aeußerlichen erhalt.
Aber dennoch wird es uns trotz seiner Mängel fesseln und innerlich bewegen; ja,
haben wir uns an die Mängel gewöhnt, so tritt der Inhalt immer klarer zu
Tage. Anders dagegen, wo die äußere Form den geistigen Gehalt beherrscht.
Hier bildet sie gleichsam, eine Schranke zwischen dem Schauenden und dem geistig
Schanbareu. Das Auge, unwillkürlich auf die Fläche gebannt, findet in der
bequemsten Weise eine Art von Befriedigung. Das leicht Faßbare schmeichelt dern
Gefühl und dieses ahnt nicht, daß es betrogen wurde. Aber auch hier tritt allmäh¬
lich der Fall ein, daß man sich an die glänzende Außenseite gewöhnt und daß
an die Stelle des leiblichen Auges das rein geistige Bedürfniß tritt. Jetzt zei¬
gen sich allmählich die geistigen Mängel des Werkes, und zwar um so stärker,


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[0502] Die Kunstausstellung in Berlin. 1. Am ersten September öffneten sich die Säle des Akademiegebäudes dem kunstliebenden Publicum. Ungeachtet des überaus trüben und regnichten Wet¬ ters waren die Ausstellungsräume belebt. Abgesehn von der nicht unbedeuten¬ den Anzahl Künstler, die theils das Interesse am eigenen Werke, theils die Begierde, das ihnen Unbekannte zu prüfen, dort versammelt hatte, erfüllte die Säle eine Masse des eigentlichen Publicums, das die Bilder mit einer weniger befangenen Schaulust betrachtete. Ich sage ausdrücklich „mit einer weniger befangenen Schaulust," denn daß die Zeit vorüber, wo der Laie sich gleichsam als orthodox Kunstglänbiger den Knnsteindrücken vollständig überließ, ohne an der Unfehlbarkeit des Künstlers zu zweifeln, ist eine zu bekannte Sache. Diese scheinbare Urtheilsfähigkeit des Publicums hat in dem Kunstgeschmack ein Schwan¬ ken und eine Unsicherheit erzeugt, wodurch eine Menge strebender Talente auf Abwege geleitet wurden, die sie in das Chaos des Materialismus führten. Ohne ästhetisch begründeten sichern Halt retteten sie dann, wenn es hoch kam, Nichts weiter als die schnell faßbare Aeußerlichkeit. Wir sind weit davon entfernt, die Technik überhaupt als etwas Unwesentliches zu bezeichnen, aber wir halten eine vollendete Technik noch nicht für das Endziel in der Kunst. Die Idee, welche der Schöpfung zum Grunde liegt, bedingt zunächst das Mehr oder Weniger ihres künstlerischen Werthes. Je inniger sich die Ausführung dem Gedanken anschließt, je harmonischer sie mit demselben verschmilzt, um so mehr wird sie als Träger des Gedankens, wenigstens scheinbar hinter diesem zurückbleibe»/ man wird sie fühlen, aber nicht fassen. Wo aber die Aeußeruugssorm hinter der Gedankenfülle zurückbleibt, wirkt sie störend, wie da, wo sie dieselbe beherrscht- Im erster» Falle werden wir ein Etwas vermissen, was uns unsicher und befan¬ gen macht, wir werden abgezogen von dem wahren Inhalte des Werkes, das dadurch selbst leicht den Charakter des Unvollkommenen, Aeußerlichen erhalt. Aber dennoch wird es uns trotz seiner Mängel fesseln und innerlich bewegen; ja, haben wir uns an die Mängel gewöhnt, so tritt der Inhalt immer klarer zu Tage. Anders dagegen, wo die äußere Form den geistigen Gehalt beherrscht. Hier bildet sie gleichsam, eine Schranke zwischen dem Schauenden und dem geistig Schanbareu. Das Auge, unwillkürlich auf die Fläche gebannt, findet in der bequemsten Weise eine Art von Befriedigung. Das leicht Faßbare schmeichelt dern Gefühl und dieses ahnt nicht, daß es betrogen wurde. Aber auch hier tritt allmäh¬ lich der Fall ein, daß man sich an die glänzende Außenseite gewöhnt und daß an die Stelle des leiblichen Auges das rein geistige Bedürfniß tritt. Jetzt zei¬ gen sich allmählich die geistigen Mängel des Werkes, und zwar um so stärker,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/502>, abgerufen am 21.12.2024.