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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Aesthetifche Feldzüge
i.
Gegen Professor Ulrici in Halle.

Der Zweck, den wir mit diesem, wie mit ähnlichen Aufsätzen, welche folgen
sollen, verbinden, ist die Feststellung streitiger Principien in der Kunst. Wir
benutzen zwar dazu äußerliche Veranlassungen, bestimmte Fälle, weil eine allge¬
mein gehaltene ästhetische Abhandlung mehr in ein Lehrbuch gehört; allein der
einzelne Fall soll uns eben nichts weiter sein, als eine Veranlassung, auf die
Principien einzugehen. Wenn wir uns daher im gegenwärtigen Aufsatz auf
eine Abhandlung von Ulrici über "die Shakespeare-Frage" im Augustheft
der ".Allgemeinen Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur" beziehen, so wollen
wir doch lediglich daran die Erörterung eines jetzt wieder in Frage gestellten,
früher allgemein giltigen Princips anknüpfen, nämlich die moralische Bedeutung
der Poesie. Wir lassen daher die Fechtcrkuuste, welche Ulrici gegen seinen Gegner
Gervinus anwendet, bei Seite, und machen nur auf einige derselben aufmerksam,
weil diese auf den Gegenstand unsrer Untersuchung unmittelbaren Bezug haben.

In seiner Freude darüber, daß zwei "Historiker", Gervinus und Vehse,
über die wichtigsten Fragen ihrer Untersuchung uneinig sind, stellt Ulrici eine
Reihe von Parallelen neben einander, ohne sich direct für den Einen oder den
Andern zu entscheiden, doch aber mit entschiedener Hinneigung für die Ansicht
Vehse's. In dieser Parallele spielt auch die Auffassung vom Charakter Falstasss
eine Rotte. -- Vehse nimmt keinen Anstand, die Ansicht, daß Shakespeare in dem
Verhältniß Falstasss zum Prinzen Heinrich sein eigenes Verhältniß zum Grafen
Southampton humoristisch portraitirt habe, zu unterschreibe,,. Wenn sich nun
auch Ulrici nicht unbedingt mit dieser abscheulichen Blasphemie sür einverstanden
erklärt, so scheint sie doch seiner Ansicht näher zu stehe", als die entgegengesetzte von
Gervinus, der einen Hauptaccent auf die nachträgliche moralische Verurtheilung
dieses höchst amüsanten, aber doch immer ausgemachten Lumps legt. Bei der


Grenzboten. III. -I8S2,
Aesthetifche Feldzüge
i.
Gegen Professor Ulrici in Halle.

Der Zweck, den wir mit diesem, wie mit ähnlichen Aufsätzen, welche folgen
sollen, verbinden, ist die Feststellung streitiger Principien in der Kunst. Wir
benutzen zwar dazu äußerliche Veranlassungen, bestimmte Fälle, weil eine allge¬
mein gehaltene ästhetische Abhandlung mehr in ein Lehrbuch gehört; allein der
einzelne Fall soll uns eben nichts weiter sein, als eine Veranlassung, auf die
Principien einzugehen. Wenn wir uns daher im gegenwärtigen Aufsatz auf
eine Abhandlung von Ulrici über „die Shakespeare-Frage" im Augustheft
der ».Allgemeinen Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur" beziehen, so wollen
wir doch lediglich daran die Erörterung eines jetzt wieder in Frage gestellten,
früher allgemein giltigen Princips anknüpfen, nämlich die moralische Bedeutung
der Poesie. Wir lassen daher die Fechtcrkuuste, welche Ulrici gegen seinen Gegner
Gervinus anwendet, bei Seite, und machen nur auf einige derselben aufmerksam,
weil diese auf den Gegenstand unsrer Untersuchung unmittelbaren Bezug haben.

In seiner Freude darüber, daß zwei „Historiker", Gervinus und Vehse,
über die wichtigsten Fragen ihrer Untersuchung uneinig sind, stellt Ulrici eine
Reihe von Parallelen neben einander, ohne sich direct für den Einen oder den
Andern zu entscheiden, doch aber mit entschiedener Hinneigung für die Ansicht
Vehse's. In dieser Parallele spielt auch die Auffassung vom Charakter Falstasss
eine Rotte. — Vehse nimmt keinen Anstand, die Ansicht, daß Shakespeare in dem
Verhältniß Falstasss zum Prinzen Heinrich sein eigenes Verhältniß zum Grafen
Southampton humoristisch portraitirt habe, zu unterschreibe,,. Wenn sich nun
auch Ulrici nicht unbedingt mit dieser abscheulichen Blasphemie sür einverstanden
erklärt, so scheint sie doch seiner Ansicht näher zu stehe», als die entgegengesetzte von
Gervinus, der einen Hauptaccent auf die nachträgliche moralische Verurtheilung
dieses höchst amüsanten, aber doch immer ausgemachten Lumps legt. Bei der


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[0413] Aesthetifche Feldzüge i. Gegen Professor Ulrici in Halle. Der Zweck, den wir mit diesem, wie mit ähnlichen Aufsätzen, welche folgen sollen, verbinden, ist die Feststellung streitiger Principien in der Kunst. Wir benutzen zwar dazu äußerliche Veranlassungen, bestimmte Fälle, weil eine allge¬ mein gehaltene ästhetische Abhandlung mehr in ein Lehrbuch gehört; allein der einzelne Fall soll uns eben nichts weiter sein, als eine Veranlassung, auf die Principien einzugehen. Wenn wir uns daher im gegenwärtigen Aufsatz auf eine Abhandlung von Ulrici über „die Shakespeare-Frage" im Augustheft der ».Allgemeinen Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur" beziehen, so wollen wir doch lediglich daran die Erörterung eines jetzt wieder in Frage gestellten, früher allgemein giltigen Princips anknüpfen, nämlich die moralische Bedeutung der Poesie. Wir lassen daher die Fechtcrkuuste, welche Ulrici gegen seinen Gegner Gervinus anwendet, bei Seite, und machen nur auf einige derselben aufmerksam, weil diese auf den Gegenstand unsrer Untersuchung unmittelbaren Bezug haben. In seiner Freude darüber, daß zwei „Historiker", Gervinus und Vehse, über die wichtigsten Fragen ihrer Untersuchung uneinig sind, stellt Ulrici eine Reihe von Parallelen neben einander, ohne sich direct für den Einen oder den Andern zu entscheiden, doch aber mit entschiedener Hinneigung für die Ansicht Vehse's. In dieser Parallele spielt auch die Auffassung vom Charakter Falstasss eine Rotte. — Vehse nimmt keinen Anstand, die Ansicht, daß Shakespeare in dem Verhältniß Falstasss zum Prinzen Heinrich sein eigenes Verhältniß zum Grafen Southampton humoristisch portraitirt habe, zu unterschreibe,,. Wenn sich nun auch Ulrici nicht unbedingt mit dieser abscheulichen Blasphemie sür einverstanden erklärt, so scheint sie doch seiner Ansicht näher zu stehe», als die entgegengesetzte von Gervinus, der einen Hauptaccent auf die nachträgliche moralische Verurtheilung dieses höchst amüsanten, aber doch immer ausgemachten Lumps legt. Bei der Grenzboten. III. -I8S2,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/413>, abgerufen am 21.12.2024.