Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Geschichte Bonifacius VIII.
Von Drumann. Borntriigcr.

Bei dem dilettantischen Streben unserer Zeit, in historischen Werken nur
diejenigen Seiten herauszuarbeiten, die in irgend welcher Beziehung zu den Tages-
frcigen stehen, und dadurch sowol die-Vorstellung der geschilderten Zelt als die
Ansicht von der Gegenwart zu verwirren, ist es nicht zu verwundern, daß man
sich von Seiten der ernstern Wissenschaft gegen jede derartige Beziehung ver"
wahrt. Es ist damit gerade so wie mit den bedeutenderen Dichtern. In beiden
Fällen wird ein bewußter Seitenblick ans die Befangenheit der Gegenwart, sowol
der künstlerischen als der wissenschaftlichen Idealität nachtheilig sein.

Allein ein unbewußter instinktartiger Einfluß wird sich in allen Werken gel¬
tend machen, die eine Stellung in der historischen Entwickelung der Literatur ein¬
nehmen sollen. Die Methode, der Behandlung muß in der Wissenschaft wie in
der Kunst eine- rein objective, stoffliche sein, wenn ein classisches Werk daraus
hervorgehn soll; allein das Interesse an den Gegenständen muß zugleich ein
subjectives Motiv haben, wenn jene Wärme und Innigkeit nicht fehlen sollen, die
für ein wissenschaftliches Werk eben so nothwendig find, wie für ein künstlerisches.

Eine solche Beziehung ist auch in dem gegenwärtigen Werk nicht zu ver¬
kennen. Der berühmte Verfasser der römischen Geschichte gehört, der alten strengen
historischen Schule an, die es nicht für ihre Aufgabe hält, Ideen und Principien
geistreich zu veranschaulichen, und die Thatsachen gleichsam nur als Beispiele ein¬
zufügen, die sich vielmehr mit der scheinbar weniger dankbaren, aber ernstern
Pflicht begnügt, die Thatsachen mit gewissenhafter Kritik festzustellen, das Reich
des Wissens von dem der Unwissenheit zu scheiden und der menschlichen Kennt¬
niß ein neues Terrain zu erobern/ Der blendende Schimmer, den wir bei den
meisten der größeren neuen Werke antreffen, fehlt bei ihm gänzlich.

Aber er hat zugleich ein sehr lebhaftes Gefühl für die leitenden Ideen seiner
Zeit, und das wird bei ihm um so deutlicher, je mehr er es in der Form zurück¬
drängt. In seiner römischen Geschichte war der geheime Grundgedanke eine
Rechtfertigung des monarchischen Systems gegen die Aristokratie und gegen die
Republik; in der Geschichte Bonifacius' wird jeder Denkende eine Widerlegung
des ultramontanen Princips finde". Nicht als ob Drumann jenen merkwürdigen
Papst, der die Ansprüche seiner Würde ins Unermeßliche trieb, gerade in einer
Zeit, wo die großen Weltverhältnisse mehr und mehr diesen Ansprüchen entgegen
traten, mit herber protestantischer Strenge behandelte, im Gegentheil vertieft er
sich ganz in den Standpunkt jener Zeit und sucht aus ihr heraus das Urtheil
über seinen Helden zu bilden. Aber er macht es auch nicht so, wie einige von


Gr-nzboten. III. -I8LZ. 4 4
Geschichte Bonifacius VIII.
Von Drumann. Borntriigcr.

Bei dem dilettantischen Streben unserer Zeit, in historischen Werken nur
diejenigen Seiten herauszuarbeiten, die in irgend welcher Beziehung zu den Tages-
frcigen stehen, und dadurch sowol die-Vorstellung der geschilderten Zelt als die
Ansicht von der Gegenwart zu verwirren, ist es nicht zu verwundern, daß man
sich von Seiten der ernstern Wissenschaft gegen jede derartige Beziehung ver»
wahrt. Es ist damit gerade so wie mit den bedeutenderen Dichtern. In beiden
Fällen wird ein bewußter Seitenblick ans die Befangenheit der Gegenwart, sowol
der künstlerischen als der wissenschaftlichen Idealität nachtheilig sein.

Allein ein unbewußter instinktartiger Einfluß wird sich in allen Werken gel¬
tend machen, die eine Stellung in der historischen Entwickelung der Literatur ein¬
nehmen sollen. Die Methode, der Behandlung muß in der Wissenschaft wie in
der Kunst eine- rein objective, stoffliche sein, wenn ein classisches Werk daraus
hervorgehn soll; allein das Interesse an den Gegenständen muß zugleich ein
subjectives Motiv haben, wenn jene Wärme und Innigkeit nicht fehlen sollen, die
für ein wissenschaftliches Werk eben so nothwendig find, wie für ein künstlerisches.

Eine solche Beziehung ist auch in dem gegenwärtigen Werk nicht zu ver¬
kennen. Der berühmte Verfasser der römischen Geschichte gehört, der alten strengen
historischen Schule an, die es nicht für ihre Aufgabe hält, Ideen und Principien
geistreich zu veranschaulichen, und die Thatsachen gleichsam nur als Beispiele ein¬
zufügen, die sich vielmehr mit der scheinbar weniger dankbaren, aber ernstern
Pflicht begnügt, die Thatsachen mit gewissenhafter Kritik festzustellen, das Reich
des Wissens von dem der Unwissenheit zu scheiden und der menschlichen Kennt¬
niß ein neues Terrain zu erobern/ Der blendende Schimmer, den wir bei den
meisten der größeren neuen Werke antreffen, fehlt bei ihm gänzlich.

Aber er hat zugleich ein sehr lebhaftes Gefühl für die leitenden Ideen seiner
Zeit, und das wird bei ihm um so deutlicher, je mehr er es in der Form zurück¬
drängt. In seiner römischen Geschichte war der geheime Grundgedanke eine
Rechtfertigung des monarchischen Systems gegen die Aristokratie und gegen die
Republik; in der Geschichte Bonifacius' wird jeder Denkende eine Widerlegung
des ultramontanen Princips finde». Nicht als ob Drumann jenen merkwürdigen
Papst, der die Ansprüche seiner Würde ins Unermeßliche trieb, gerade in einer
Zeit, wo die großen Weltverhältnisse mehr und mehr diesen Ansprüchen entgegen
traten, mit herber protestantischer Strenge behandelte, im Gegentheil vertieft er
sich ganz in den Standpunkt jener Zeit und sucht aus ihr heraus das Urtheil
über seinen Helden zu bilden. Aber er macht es auch nicht so, wie einige von


Gr-nzboten. III. -I8LZ. 4 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94558"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Geschichte Bonifacius VIII.<lb/><note type="byline"> Von Drumann. </note> Borntriigcr.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_299"> Bei dem dilettantischen Streben unserer Zeit, in historischen Werken nur<lb/>
diejenigen Seiten herauszuarbeiten, die in irgend welcher Beziehung zu den Tages-<lb/>
frcigen stehen, und dadurch sowol die-Vorstellung der geschilderten Zelt als die<lb/>
Ansicht von der Gegenwart zu verwirren, ist es nicht zu verwundern, daß man<lb/>
sich von Seiten der ernstern Wissenschaft gegen jede derartige Beziehung ver»<lb/>
wahrt. Es ist damit gerade so wie mit den bedeutenderen Dichtern. In beiden<lb/>
Fällen wird ein bewußter Seitenblick ans die Befangenheit der Gegenwart, sowol<lb/>
der künstlerischen als der wissenschaftlichen Idealität nachtheilig sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_300"> Allein ein unbewußter instinktartiger Einfluß wird sich in allen Werken gel¬<lb/>
tend machen, die eine Stellung in der historischen Entwickelung der Literatur ein¬<lb/>
nehmen sollen. Die Methode, der Behandlung muß in der Wissenschaft wie in<lb/>
der Kunst eine- rein objective, stoffliche sein, wenn ein classisches Werk daraus<lb/>
hervorgehn soll; allein das Interesse an den Gegenständen muß zugleich ein<lb/>
subjectives Motiv haben, wenn jene Wärme und Innigkeit nicht fehlen sollen, die<lb/>
für ein wissenschaftliches Werk eben so nothwendig find, wie für ein künstlerisches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_301"> Eine solche Beziehung ist auch in dem gegenwärtigen Werk nicht zu ver¬<lb/>
kennen. Der berühmte Verfasser der römischen Geschichte gehört, der alten strengen<lb/>
historischen Schule an, die es nicht für ihre Aufgabe hält, Ideen und Principien<lb/>
geistreich zu veranschaulichen, und die Thatsachen gleichsam nur als Beispiele ein¬<lb/>
zufügen, die sich vielmehr mit der scheinbar weniger dankbaren, aber ernstern<lb/>
Pflicht begnügt, die Thatsachen mit gewissenhafter Kritik festzustellen, das Reich<lb/>
des Wissens von dem der Unwissenheit zu scheiden und der menschlichen Kennt¬<lb/>
niß ein neues Terrain zu erobern/ Der blendende Schimmer, den wir bei den<lb/>
meisten der größeren neuen Werke antreffen, fehlt bei ihm gänzlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_302" next="#ID_303"> Aber er hat zugleich ein sehr lebhaftes Gefühl für die leitenden Ideen seiner<lb/>
Zeit, und das wird bei ihm um so deutlicher, je mehr er es in der Form zurück¬<lb/>
drängt. In seiner römischen Geschichte war der geheime Grundgedanke eine<lb/>
Rechtfertigung des monarchischen Systems gegen die Aristokratie und gegen die<lb/>
Republik; in der Geschichte Bonifacius' wird jeder Denkende eine Widerlegung<lb/>
des ultramontanen Princips finde». Nicht als ob Drumann jenen merkwürdigen<lb/>
Papst, der die Ansprüche seiner Würde ins Unermeßliche trieb, gerade in einer<lb/>
Zeit, wo die großen Weltverhältnisse mehr und mehr diesen Ansprüchen entgegen<lb/>
traten, mit herber protestantischer Strenge behandelte, im Gegentheil vertieft er<lb/>
sich ganz in den Standpunkt jener Zeit und sucht aus ihr heraus das Urtheil<lb/>
über seinen Helden zu bilden. Aber er macht es auch nicht so, wie einige von</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gr-nzboten. III. -I8LZ. 4 4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] Geschichte Bonifacius VIII. Von Drumann. Borntriigcr. Bei dem dilettantischen Streben unserer Zeit, in historischen Werken nur diejenigen Seiten herauszuarbeiten, die in irgend welcher Beziehung zu den Tages- frcigen stehen, und dadurch sowol die-Vorstellung der geschilderten Zelt als die Ansicht von der Gegenwart zu verwirren, ist es nicht zu verwundern, daß man sich von Seiten der ernstern Wissenschaft gegen jede derartige Beziehung ver» wahrt. Es ist damit gerade so wie mit den bedeutenderen Dichtern. In beiden Fällen wird ein bewußter Seitenblick ans die Befangenheit der Gegenwart, sowol der künstlerischen als der wissenschaftlichen Idealität nachtheilig sein. Allein ein unbewußter instinktartiger Einfluß wird sich in allen Werken gel¬ tend machen, die eine Stellung in der historischen Entwickelung der Literatur ein¬ nehmen sollen. Die Methode, der Behandlung muß in der Wissenschaft wie in der Kunst eine- rein objective, stoffliche sein, wenn ein classisches Werk daraus hervorgehn soll; allein das Interesse an den Gegenständen muß zugleich ein subjectives Motiv haben, wenn jene Wärme und Innigkeit nicht fehlen sollen, die für ein wissenschaftliches Werk eben so nothwendig find, wie für ein künstlerisches. Eine solche Beziehung ist auch in dem gegenwärtigen Werk nicht zu ver¬ kennen. Der berühmte Verfasser der römischen Geschichte gehört, der alten strengen historischen Schule an, die es nicht für ihre Aufgabe hält, Ideen und Principien geistreich zu veranschaulichen, und die Thatsachen gleichsam nur als Beispiele ein¬ zufügen, die sich vielmehr mit der scheinbar weniger dankbaren, aber ernstern Pflicht begnügt, die Thatsachen mit gewissenhafter Kritik festzustellen, das Reich des Wissens von dem der Unwissenheit zu scheiden und der menschlichen Kennt¬ niß ein neues Terrain zu erobern/ Der blendende Schimmer, den wir bei den meisten der größeren neuen Werke antreffen, fehlt bei ihm gänzlich. Aber er hat zugleich ein sehr lebhaftes Gefühl für die leitenden Ideen seiner Zeit, und das wird bei ihm um so deutlicher, je mehr er es in der Form zurück¬ drängt. In seiner römischen Geschichte war der geheime Grundgedanke eine Rechtfertigung des monarchischen Systems gegen die Aristokratie und gegen die Republik; in der Geschichte Bonifacius' wird jeder Denkende eine Widerlegung des ultramontanen Princips finde». Nicht als ob Drumann jenen merkwürdigen Papst, der die Ansprüche seiner Würde ins Unermeßliche trieb, gerade in einer Zeit, wo die großen Weltverhältnisse mehr und mehr diesen Ansprüchen entgegen traten, mit herber protestantischer Strenge behandelte, im Gegentheil vertieft er sich ganz in den Standpunkt jener Zeit und sucht aus ihr heraus das Urtheil über seinen Helden zu bilden. Aber er macht es auch nicht so, wie einige von Gr-nzboten. III. -I8LZ. 4 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/117>, abgerufen am 21.12.2024.