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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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den neueren Kirchenhistorikern, die das Befremden über so manche positive Seiten
in übelberüchtigten Charakteren verleitete, sich zu einer unbedingten Anerkennung
und Bewunderung dieser Charaktere zu verstehen und ganz zu vergessen, daß
eine objective und eine subjective Anerkennung etwas himmelweit von einander
Verschiedenes ist. Vor dieser Frivolität eines Hurter, von dem wir nicht glauben,
daß er schon ein Jesuit war, als er sein Werk über Innocenz begann, wahrt
den Königsbergs Historiker sein nüchterner protestantischer Ernst. Er scheint es
fast mit einer gewissen Aengstlichkeit zu vermeiden, etwas mehr zu geben, als die
Thatsachen, und 'doch tritt durch ti? Schärfe seiner Zeichnung das verdammende
Urtheil viel deutlicher hervor, als wenn er sich in unfruchtbaren Gefühlser-
gießungen erschöpft hätte.

Wir können das Buch nur in seiner allgemein literarischen Bedeutung be¬
trachten; über seine Stellung innerhalb der Wissenschaft zu sprechen, ist hier nicht
der Ort. Mehr als in irgend einer andern Wissenschaft giebt aber die Geschichte
dazu Gelegenheit, beide Seiten in Betracht zu ziehen. Denn ein historisches
Werk von wissenschaftlicher Bedeutung muß immer auch einen gewissen künstleri¬
schen Abschluß haben, und dieser allein ist es, der ihm Popularität verschafft.
Drumann's Werk würde sich, bei der Bedeutung seines Gegenstandes für unsere
Zeitfragen zu einem weitverbreiteten Lesebuch eignen, und es wurde den für alle
Zeiten geltenden Satz, daß der Staat', wo er sich seiner Kraft bewußt wird,
überall mit der Kirche fertig werden kann, auf eine heilsame Weise in das öffent¬
liche Bewußtsein einführen. Wir hoffen auch, daß es geschehen wird, trotz
einiger Uebelstände, die wir hier nicht ungerügt lassen können. Diese Uebel¬
stände liegen nur in der Form und bestehen eigentlich nur in Kleinigkeiten; aber
anch auf diese Kleinigkeiten muß man seine Aufmerksamkeit richten, weil sie sonst
einen nachtheiligen Einfluß ausüben können.

Einmal glauben wir, daß der historische Schriftsteller den kritischen Apparat,
den wir keineswegs wegwünschen, dessen Mangel wir vielmehr bei den modernen
feingebildeten Geschichtschreibern bitter beklagen, in den Anhang verweisen sollte.
Das allgemeine gebildete Publicum will nur die Resultate in eiuer klaren und
übersichtlichen Zusammenstellung, im Uebrigen traut es der Autorität des Schrift¬
stellers, deu es nach dem beigefügten Apparat zu beurtheilen doch nicht im Stande
ist. Der Gelehrte will nachher die Beweisführung haben, um sie prüfen, an¬
nehmen oder widerlegen zu können. Der Letztere wird ohnehin nicht versäumen,
wo er einen bedenklichen Punkt findet, den Anhang nachzuschlagen; auf deu ge¬
wöhnlichen Leser wirken die beständigen Citate nur verwirrend. Es ist dies eine
Gleichgiltigkeit gegen die Form, die sich in anderer Weise schon in der römischen
Geschichte geltend gemacht hat. Dieses Werk war seinem Stoss wie seiner zu¬
gleich gründlichen und aufgeklärten Behandlung nach für einen großen Leserkreis
bestimmt. Dieser Kreis ist aber wesentlich vermindert worden dnrch die Zersplit-


den neueren Kirchenhistorikern, die das Befremden über so manche positive Seiten
in übelberüchtigten Charakteren verleitete, sich zu einer unbedingten Anerkennung
und Bewunderung dieser Charaktere zu verstehen und ganz zu vergessen, daß
eine objective und eine subjective Anerkennung etwas himmelweit von einander
Verschiedenes ist. Vor dieser Frivolität eines Hurter, von dem wir nicht glauben,
daß er schon ein Jesuit war, als er sein Werk über Innocenz begann, wahrt
den Königsbergs Historiker sein nüchterner protestantischer Ernst. Er scheint es
fast mit einer gewissen Aengstlichkeit zu vermeiden, etwas mehr zu geben, als die
Thatsachen, und 'doch tritt durch ti? Schärfe seiner Zeichnung das verdammende
Urtheil viel deutlicher hervor, als wenn er sich in unfruchtbaren Gefühlser-
gießungen erschöpft hätte.

Wir können das Buch nur in seiner allgemein literarischen Bedeutung be¬
trachten; über seine Stellung innerhalb der Wissenschaft zu sprechen, ist hier nicht
der Ort. Mehr als in irgend einer andern Wissenschaft giebt aber die Geschichte
dazu Gelegenheit, beide Seiten in Betracht zu ziehen. Denn ein historisches
Werk von wissenschaftlicher Bedeutung muß immer auch einen gewissen künstleri¬
schen Abschluß haben, und dieser allein ist es, der ihm Popularität verschafft.
Drumann's Werk würde sich, bei der Bedeutung seines Gegenstandes für unsere
Zeitfragen zu einem weitverbreiteten Lesebuch eignen, und es wurde den für alle
Zeiten geltenden Satz, daß der Staat', wo er sich seiner Kraft bewußt wird,
überall mit der Kirche fertig werden kann, auf eine heilsame Weise in das öffent¬
liche Bewußtsein einführen. Wir hoffen auch, daß es geschehen wird, trotz
einiger Uebelstände, die wir hier nicht ungerügt lassen können. Diese Uebel¬
stände liegen nur in der Form und bestehen eigentlich nur in Kleinigkeiten; aber
anch auf diese Kleinigkeiten muß man seine Aufmerksamkeit richten, weil sie sonst
einen nachtheiligen Einfluß ausüben können.

Einmal glauben wir, daß der historische Schriftsteller den kritischen Apparat,
den wir keineswegs wegwünschen, dessen Mangel wir vielmehr bei den modernen
feingebildeten Geschichtschreibern bitter beklagen, in den Anhang verweisen sollte.
Das allgemeine gebildete Publicum will nur die Resultate in eiuer klaren und
übersichtlichen Zusammenstellung, im Uebrigen traut es der Autorität des Schrift¬
stellers, deu es nach dem beigefügten Apparat zu beurtheilen doch nicht im Stande
ist. Der Gelehrte will nachher die Beweisführung haben, um sie prüfen, an¬
nehmen oder widerlegen zu können. Der Letztere wird ohnehin nicht versäumen,
wo er einen bedenklichen Punkt findet, den Anhang nachzuschlagen; auf deu ge¬
wöhnlichen Leser wirken die beständigen Citate nur verwirrend. Es ist dies eine
Gleichgiltigkeit gegen die Form, die sich in anderer Weise schon in der römischen
Geschichte geltend gemacht hat. Dieses Werk war seinem Stoss wie seiner zu¬
gleich gründlichen und aufgeklärten Behandlung nach für einen großen Leserkreis
bestimmt. Dieser Kreis ist aber wesentlich vermindert worden dnrch die Zersplit-


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[0118] den neueren Kirchenhistorikern, die das Befremden über so manche positive Seiten in übelberüchtigten Charakteren verleitete, sich zu einer unbedingten Anerkennung und Bewunderung dieser Charaktere zu verstehen und ganz zu vergessen, daß eine objective und eine subjective Anerkennung etwas himmelweit von einander Verschiedenes ist. Vor dieser Frivolität eines Hurter, von dem wir nicht glauben, daß er schon ein Jesuit war, als er sein Werk über Innocenz begann, wahrt den Königsbergs Historiker sein nüchterner protestantischer Ernst. Er scheint es fast mit einer gewissen Aengstlichkeit zu vermeiden, etwas mehr zu geben, als die Thatsachen, und 'doch tritt durch ti? Schärfe seiner Zeichnung das verdammende Urtheil viel deutlicher hervor, als wenn er sich in unfruchtbaren Gefühlser- gießungen erschöpft hätte. Wir können das Buch nur in seiner allgemein literarischen Bedeutung be¬ trachten; über seine Stellung innerhalb der Wissenschaft zu sprechen, ist hier nicht der Ort. Mehr als in irgend einer andern Wissenschaft giebt aber die Geschichte dazu Gelegenheit, beide Seiten in Betracht zu ziehen. Denn ein historisches Werk von wissenschaftlicher Bedeutung muß immer auch einen gewissen künstleri¬ schen Abschluß haben, und dieser allein ist es, der ihm Popularität verschafft. Drumann's Werk würde sich, bei der Bedeutung seines Gegenstandes für unsere Zeitfragen zu einem weitverbreiteten Lesebuch eignen, und es wurde den für alle Zeiten geltenden Satz, daß der Staat', wo er sich seiner Kraft bewußt wird, überall mit der Kirche fertig werden kann, auf eine heilsame Weise in das öffent¬ liche Bewußtsein einführen. Wir hoffen auch, daß es geschehen wird, trotz einiger Uebelstände, die wir hier nicht ungerügt lassen können. Diese Uebel¬ stände liegen nur in der Form und bestehen eigentlich nur in Kleinigkeiten; aber anch auf diese Kleinigkeiten muß man seine Aufmerksamkeit richten, weil sie sonst einen nachtheiligen Einfluß ausüben können. Einmal glauben wir, daß der historische Schriftsteller den kritischen Apparat, den wir keineswegs wegwünschen, dessen Mangel wir vielmehr bei den modernen feingebildeten Geschichtschreibern bitter beklagen, in den Anhang verweisen sollte. Das allgemeine gebildete Publicum will nur die Resultate in eiuer klaren und übersichtlichen Zusammenstellung, im Uebrigen traut es der Autorität des Schrift¬ stellers, deu es nach dem beigefügten Apparat zu beurtheilen doch nicht im Stande ist. Der Gelehrte will nachher die Beweisführung haben, um sie prüfen, an¬ nehmen oder widerlegen zu können. Der Letztere wird ohnehin nicht versäumen, wo er einen bedenklichen Punkt findet, den Anhang nachzuschlagen; auf deu ge¬ wöhnlichen Leser wirken die beständigen Citate nur verwirrend. Es ist dies eine Gleichgiltigkeit gegen die Form, die sich in anderer Weise schon in der römischen Geschichte geltend gemacht hat. Dieses Werk war seinem Stoss wie seiner zu¬ gleich gründlichen und aufgeklärten Behandlung nach für einen großen Leserkreis bestimmt. Dieser Kreis ist aber wesentlich vermindert worden dnrch die Zersplit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/118>, abgerufen am 21.12.2024.