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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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kleiner Localblätter, die Verfasser von Monographien einzelner Städte, Burgen,
Klöster n. s. w. die Märchen und Sagen ihrer Gegend ins Auge faßten. Das
ist eine Aufgabe, deren Lösung auch dem weniger Begabten nicht schwer fällt, und
die dabei doch so lohnend ist. Freilich ist für solche Sammlungen -eine gemein¬
same Redaction nach festem und verständigem Plan nöthig. Sollte es in Deutsch¬
land nicht möglich sein, einen Redacteur und Verleger für ein so interessantes
und bedeutendes Werk zu gewinnen, wie eine Sammlung deutscher Volksmärchen
aus allen Landschaften ist?




Neue englische Dichter.
William Smith.

Wir berichteten vor einiger Zeit (1831 Heft S1) über den Dramatiker
Taylor; der Dichter, mit dem wir es heute zu thun haben, ist ihm in
vieler Beziehung an die Seite zu stellen. Seine "Dramen" erschienen be¬
reits vor fünf Jahren, doch erst neuerdings ist das Publicum durch eine sehr
ausführliche Recension in Blackwood's Magazine auf ihn aufmerksam gemacht
worden. Sie zeichnen sich ans durch eine männliche, energische Sprache, durch
neue und. zum Theil bedeutende Gedanken/ durch kühne und nicht unpoetische Bil¬
der, obgleich diese, wie fast bei allen englischen Dramatikern der Fall ist, in der
Regel weiter ausgeführt werden, als es zum Verständniß nöthig ist; ein Fehler,
der nur daraus erklärlich ist, daß man mehr für die Lecture, als für die Ausfüh¬
rung schreibt. Beim Lesen können wir ungehindert bei dem Bilde verweilen, und
dann noch einmal rasch den Zusammenhang überblicken; aus der Bühne entgeht
uns aber entweder das eine oder das andere. So ist es auch mit der Concep¬
tion der Charaktere. Die Engländer, die doch in ihrer Praxis sehr unbefangen
und bestimmt zu Werke gehen, die in dem, was sie vorhaben, nie die gerade
Linie verlassen, lieben in der Poesie zusammengesetzte, reflectirte Charaktere, die
nicht- aus voller Seele empfinden und handeln, sondern nach irgend einem künst¬
lichen Gedankensystem. Es ist noch immer der Geist des alten Hamlet, der in
ihnen umgeht. Dadurch kommt etwas Finsteres und nebelhaftes in die Hand¬
lung, das uns bei der Lecture anzieht, auf der Bühne aber seine Wirkung ver¬
fehlt. Wir gehen nach diesen vorläufigen Bemerkungen sofort an die Analyse der
einzelnen Stücke.


Grenzboten. II. -I86Z. 12

kleiner Localblätter, die Verfasser von Monographien einzelner Städte, Burgen,
Klöster n. s. w. die Märchen und Sagen ihrer Gegend ins Auge faßten. Das
ist eine Aufgabe, deren Lösung auch dem weniger Begabten nicht schwer fällt, und
die dabei doch so lohnend ist. Freilich ist für solche Sammlungen -eine gemein¬
same Redaction nach festem und verständigem Plan nöthig. Sollte es in Deutsch¬
land nicht möglich sein, einen Redacteur und Verleger für ein so interessantes
und bedeutendes Werk zu gewinnen, wie eine Sammlung deutscher Volksmärchen
aus allen Landschaften ist?




Neue englische Dichter.
William Smith.

Wir berichteten vor einiger Zeit (1831 Heft S1) über den Dramatiker
Taylor; der Dichter, mit dem wir es heute zu thun haben, ist ihm in
vieler Beziehung an die Seite zu stellen. Seine „Dramen" erschienen be¬
reits vor fünf Jahren, doch erst neuerdings ist das Publicum durch eine sehr
ausführliche Recension in Blackwood's Magazine auf ihn aufmerksam gemacht
worden. Sie zeichnen sich ans durch eine männliche, energische Sprache, durch
neue und. zum Theil bedeutende Gedanken/ durch kühne und nicht unpoetische Bil¬
der, obgleich diese, wie fast bei allen englischen Dramatikern der Fall ist, in der
Regel weiter ausgeführt werden, als es zum Verständniß nöthig ist; ein Fehler,
der nur daraus erklärlich ist, daß man mehr für die Lecture, als für die Ausfüh¬
rung schreibt. Beim Lesen können wir ungehindert bei dem Bilde verweilen, und
dann noch einmal rasch den Zusammenhang überblicken; aus der Bühne entgeht
uns aber entweder das eine oder das andere. So ist es auch mit der Concep¬
tion der Charaktere. Die Engländer, die doch in ihrer Praxis sehr unbefangen
und bestimmt zu Werke gehen, die in dem, was sie vorhaben, nie die gerade
Linie verlassen, lieben in der Poesie zusammengesetzte, reflectirte Charaktere, die
nicht- aus voller Seele empfinden und handeln, sondern nach irgend einem künst¬
lichen Gedankensystem. Es ist noch immer der Geist des alten Hamlet, der in
ihnen umgeht. Dadurch kommt etwas Finsteres und nebelhaftes in die Hand¬
lung, das uns bei der Lecture anzieht, auf der Bühne aber seine Wirkung ver¬
fehlt. Wir gehen nach diesen vorläufigen Bemerkungen sofort an die Analyse der
einzelnen Stücke.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/99>, abgerufen am 24.07.2024.