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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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befremden darf, denn mit dem Prophetenthum der Schwebereligivn wäre es auf
die Länge doch nicht gegangen.

' Wie es heißt, haben wir in kurzer Zeit ein neues Werk von Bettine zu
erwarten. Ob sie in demselben eine Wendung finden wird, welche die literarische
Welt von Neuem auf sie aufmerksam macht, kaun mau nicht voraussehen; es ist
aber eigentlich nicht zu erwarten. Einerseits ist bei ihr die ursprüngliche frische
Eigenthümlichkeit mehr und mehr zur Manier geworden, andrerseits ist das
Publicum auch jetzt ein anderes. Es hat kein Interesse mehr an dem innerlichen
Stillleben schöner Seelen, es verlangt wieder nach Gestalt, nach Objectivität,
nach historischer Bedeutung.

Der Eindruck, den Bettinen's literarische Persönlichkeit macht, wenn wir sie
als Ganzes auffassen, ist doch ein unbefriedigender. Sie hat uns einige schone
Blumen der Poesie geschenkt, aber sie ist nicht im Stande gewesen, sie zu einem
Kranz zu verweben, weil ihr jene Stille, jene Ehrfurcht vor dem Gesetz der
Dinge und ihrer Nothwendigkeit fehlte, die den Reiz und die Würde der Frauen-
ansmacht. Es wird mit allen Emancipationsversnchen nicht anders werden. Die
Frauen haben den edelsten Beruf von der Welt, auch ganz abgesehen von ihrer
eigentlichen Sphäre, dem Familienleben. Ihr Umgang ist ein wesentliches
Bildungsmittel für den Mann, denn er zwingt ihn, von der Einseitigkeit seiner
gewöhnlichen Voraussetzungen abzugehen, er treibt ihn von der Härte endlicher
Zwecke in die Totalität des Gefühls zurück, und er lehrt ihn Sinn und Ehrer¬
bietung für Form und Maß. Die Frau dagegen, die diese Vorrechte ihres Ge¬
schlechts aufgiebt, muß einen sehr starken Geist haben, um sich eine angemessene
Stellung zu erwerben, nicht blos die Fähigkeit zu einzelnen feinen Beobachtun¬
gen, nicht blos Reichthum der Phantasie, nicht blos Kühnheit des Gefühls.
Nur eine entschieden künstlerische Kraft kann jene zweite Weiblichkeit wieder her¬
stellen, die sich zur naiven Weiblichkeit verhält, wie die vollendete Bildung zur
jugendlichen Unbefangenheit.




Gldenburger Zustände.
3.

Die Geschichte lehrt, welchen zähen Widerstand die Sachsen Karl dem Gro¬
ßen geleistet haben; wie sie dann, trotz ihrer Bekehrung, einen starken Bei¬
geschmack von Heidenthum behielten, wovon sich merkwürdiger Weise noch bis ans
den heutigen Tag viele Spuren finden. Bekanntlich ist der Name und die Zeit
des Osterfestes heidnischen Ursprungs; aber auch der durch ganz Norddeutsch-


befremden darf, denn mit dem Prophetenthum der Schwebereligivn wäre es auf
die Länge doch nicht gegangen.

' Wie es heißt, haben wir in kurzer Zeit ein neues Werk von Bettine zu
erwarten. Ob sie in demselben eine Wendung finden wird, welche die literarische
Welt von Neuem auf sie aufmerksam macht, kaun mau nicht voraussehen; es ist
aber eigentlich nicht zu erwarten. Einerseits ist bei ihr die ursprüngliche frische
Eigenthümlichkeit mehr und mehr zur Manier geworden, andrerseits ist das
Publicum auch jetzt ein anderes. Es hat kein Interesse mehr an dem innerlichen
Stillleben schöner Seelen, es verlangt wieder nach Gestalt, nach Objectivität,
nach historischer Bedeutung.

Der Eindruck, den Bettinen's literarische Persönlichkeit macht, wenn wir sie
als Ganzes auffassen, ist doch ein unbefriedigender. Sie hat uns einige schone
Blumen der Poesie geschenkt, aber sie ist nicht im Stande gewesen, sie zu einem
Kranz zu verweben, weil ihr jene Stille, jene Ehrfurcht vor dem Gesetz der
Dinge und ihrer Nothwendigkeit fehlte, die den Reiz und die Würde der Frauen-
ansmacht. Es wird mit allen Emancipationsversnchen nicht anders werden. Die
Frauen haben den edelsten Beruf von der Welt, auch ganz abgesehen von ihrer
eigentlichen Sphäre, dem Familienleben. Ihr Umgang ist ein wesentliches
Bildungsmittel für den Mann, denn er zwingt ihn, von der Einseitigkeit seiner
gewöhnlichen Voraussetzungen abzugehen, er treibt ihn von der Härte endlicher
Zwecke in die Totalität des Gefühls zurück, und er lehrt ihn Sinn und Ehrer¬
bietung für Form und Maß. Die Frau dagegen, die diese Vorrechte ihres Ge¬
schlechts aufgiebt, muß einen sehr starken Geist haben, um sich eine angemessene
Stellung zu erwerben, nicht blos die Fähigkeit zu einzelnen feinen Beobachtun¬
gen, nicht blos Reichthum der Phantasie, nicht blos Kühnheit des Gefühls.
Nur eine entschieden künstlerische Kraft kann jene zweite Weiblichkeit wieder her¬
stellen, die sich zur naiven Weiblichkeit verhält, wie die vollendete Bildung zur
jugendlichen Unbefangenheit.




Gldenburger Zustände.
3.

Die Geschichte lehrt, welchen zähen Widerstand die Sachsen Karl dem Gro¬
ßen geleistet haben; wie sie dann, trotz ihrer Bekehrung, einen starken Bei¬
geschmack von Heidenthum behielten, wovon sich merkwürdiger Weise noch bis ans
den heutigen Tag viele Spuren finden. Bekanntlich ist der Name und die Zeit
des Osterfestes heidnischen Ursprungs; aber auch der durch ganz Norddeutsch-


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[0502] befremden darf, denn mit dem Prophetenthum der Schwebereligivn wäre es auf die Länge doch nicht gegangen. ' Wie es heißt, haben wir in kurzer Zeit ein neues Werk von Bettine zu erwarten. Ob sie in demselben eine Wendung finden wird, welche die literarische Welt von Neuem auf sie aufmerksam macht, kaun mau nicht voraussehen; es ist aber eigentlich nicht zu erwarten. Einerseits ist bei ihr die ursprüngliche frische Eigenthümlichkeit mehr und mehr zur Manier geworden, andrerseits ist das Publicum auch jetzt ein anderes. Es hat kein Interesse mehr an dem innerlichen Stillleben schöner Seelen, es verlangt wieder nach Gestalt, nach Objectivität, nach historischer Bedeutung. Der Eindruck, den Bettinen's literarische Persönlichkeit macht, wenn wir sie als Ganzes auffassen, ist doch ein unbefriedigender. Sie hat uns einige schone Blumen der Poesie geschenkt, aber sie ist nicht im Stande gewesen, sie zu einem Kranz zu verweben, weil ihr jene Stille, jene Ehrfurcht vor dem Gesetz der Dinge und ihrer Nothwendigkeit fehlte, die den Reiz und die Würde der Frauen- ansmacht. Es wird mit allen Emancipationsversnchen nicht anders werden. Die Frauen haben den edelsten Beruf von der Welt, auch ganz abgesehen von ihrer eigentlichen Sphäre, dem Familienleben. Ihr Umgang ist ein wesentliches Bildungsmittel für den Mann, denn er zwingt ihn, von der Einseitigkeit seiner gewöhnlichen Voraussetzungen abzugehen, er treibt ihn von der Härte endlicher Zwecke in die Totalität des Gefühls zurück, und er lehrt ihn Sinn und Ehrer¬ bietung für Form und Maß. Die Frau dagegen, die diese Vorrechte ihres Ge¬ schlechts aufgiebt, muß einen sehr starken Geist haben, um sich eine angemessene Stellung zu erwerben, nicht blos die Fähigkeit zu einzelnen feinen Beobachtun¬ gen, nicht blos Reichthum der Phantasie, nicht blos Kühnheit des Gefühls. Nur eine entschieden künstlerische Kraft kann jene zweite Weiblichkeit wieder her¬ stellen, die sich zur naiven Weiblichkeit verhält, wie die vollendete Bildung zur jugendlichen Unbefangenheit. Gldenburger Zustände. 3. Die Geschichte lehrt, welchen zähen Widerstand die Sachsen Karl dem Gro¬ ßen geleistet haben; wie sie dann, trotz ihrer Bekehrung, einen starken Bei¬ geschmack von Heidenthum behielten, wovon sich merkwürdiger Weise noch bis ans den heutigen Tag viele Spuren finden. Bekanntlich ist der Name und die Zeit des Osterfestes heidnischen Ursprungs; aber auch der durch ganz Norddeutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/502>, abgerufen am 24.07.2024.