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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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weniger aus freiem Antrieb, als auf Veranlassung eines Vorgesetzten, der den
Gesang bei seinen Leuten als ein Culturmittel pflegt. Die Mehrzahl verhält sich
dabei schweigend, denn es ist ihnen eine Arbeit mehr; und stimmt einmal Ei¬
ner ans eigene Faust eine frohe Weise an, so ist es ein Münsterländer oder
ein Jude.

Kann der Oldenburger nicht singen, so kann er auch nicht fluchen: er ist zu
ruhig dazu. Zu ausgeführten Verwünschungen, woran lebhafte Völker so reich
siiid, fehlt ihm die Phantasie. Die wenigen Schimpfwörter, die er gebraucht, sind
fast alle von den Fremden geborgt, wie Knjohn loowri), Kanaille, Beche.
Plattdeutsche Schimpfwörter sind Donnerstag und Dummsnut (Dummschnanze,
du dummer Schwätzer), wovon man besonders das erstere, das noch mit dem
Gotte Thor oder' Donar zusammenhängen mag, auch als Ausdruck der Ver¬
wunderung hört. Sta mi de Donner! Gah na'n Satan! welche kurzen,
zahmen, ich möchte sagen unschuldigen Formeln sind das nicht neben den nicht
nur rein scherzhaften, sondern oft auch wirklich infernalischen, aber meist humo¬
ristischen Productionen, die wie ein Feuerwerk aus dem Munde der Italiener
rauschen. Freilich hat Oldenburg auch keinen Pöbel, der natürlich das Fluchen
vorzugsweise cultivirt. (Schluß folgt.)




Wochenbericht..
(Alfred de Musset.) Pariser Botschaften.

-- Das Ereigniß der
vergangenen Woche war die feierliche Aufnahme Alfred de Musset's in die Reihe der
Akademiker. Die Erwartungen der herbeiströmende" Elite wurden nicht wenig getäuscht.
Das neue Mitglied hat seine Ansprüche auf einen Stuhl im unsterblichen Senate voll¬
kommen gerechtfertigt: seine Rede war durchgeistigt von officieller Langeweile und aka¬
demischer Unbedeutendheit. Nach den Demüthigungen, die man dem neuen Kandidaten
Widersahren ließ, glaubte man hoffen zu dürfen, Alfred de Musset werde seinen mühsam
errungenen Sieg durch ein offenes Bekenntniß seiner Grundsätze und durch eine geist¬
reiche antiakademische Rechtfertigung seiner reinmodernen Richtung besiegeln. Es geschah
Nichts von alle dem. Musset beschränkte sich auf das vorgeschriebene Lob seines Vor¬
gängers, und in den wenigen Stellen, wo er den officiellen Kreis überschreiten zu dürfen
glaubte, geschah es mit einer unbegreiflichen Taktlosigkeit. Man würde begriffen haben,
wenn, der Günstling der orleauistischen Prinzen einige Worte des Bedauerns hätte fallen
lassen, aber daß er, der Verfasser der Lonlössions > 6'un kntgnt an siools und des
spsowele asu" un tsuteuil, dem französischen Classicismus und dem Bonapar¬
tismus abgeschmackte Complimente machen, daß er, ohne allgemeines Gelächter hervor¬
zurufen, sagen dürfte, er gehöre nicht der romantischen Schule an, dies beweist, wie
die Begriffe Romantik und Classicismus eben so wenig mehr ihre ursprüngliche Bedeu¬
tung haben, als Tory und Whig. Nisard hatte vollkommen Recht, sich von der frei¬
willigen Buße des neuen Mitgliedes der Akademie nicht beirren zu lassen. Er benutzte
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weniger aus freiem Antrieb, als auf Veranlassung eines Vorgesetzten, der den
Gesang bei seinen Leuten als ein Culturmittel pflegt. Die Mehrzahl verhält sich
dabei schweigend, denn es ist ihnen eine Arbeit mehr; und stimmt einmal Ei¬
ner ans eigene Faust eine frohe Weise an, so ist es ein Münsterländer oder
ein Jude.

Kann der Oldenburger nicht singen, so kann er auch nicht fluchen: er ist zu
ruhig dazu. Zu ausgeführten Verwünschungen, woran lebhafte Völker so reich
siiid, fehlt ihm die Phantasie. Die wenigen Schimpfwörter, die er gebraucht, sind
fast alle von den Fremden geborgt, wie Knjohn loowri), Kanaille, Beche.
Plattdeutsche Schimpfwörter sind Donnerstag und Dummsnut (Dummschnanze,
du dummer Schwätzer), wovon man besonders das erstere, das noch mit dem
Gotte Thor oder' Donar zusammenhängen mag, auch als Ausdruck der Ver¬
wunderung hört. Sta mi de Donner! Gah na'n Satan! welche kurzen,
zahmen, ich möchte sagen unschuldigen Formeln sind das nicht neben den nicht
nur rein scherzhaften, sondern oft auch wirklich infernalischen, aber meist humo¬
ristischen Productionen, die wie ein Feuerwerk aus dem Munde der Italiener
rauschen. Freilich hat Oldenburg auch keinen Pöbel, der natürlich das Fluchen
vorzugsweise cultivirt. (Schluß folgt.)




Wochenbericht..
(Alfred de Musset.) Pariser Botschaften.

— Das Ereigniß der
vergangenen Woche war die feierliche Aufnahme Alfred de Musset's in die Reihe der
Akademiker. Die Erwartungen der herbeiströmende» Elite wurden nicht wenig getäuscht.
Das neue Mitglied hat seine Ansprüche auf einen Stuhl im unsterblichen Senate voll¬
kommen gerechtfertigt: seine Rede war durchgeistigt von officieller Langeweile und aka¬
demischer Unbedeutendheit. Nach den Demüthigungen, die man dem neuen Kandidaten
Widersahren ließ, glaubte man hoffen zu dürfen, Alfred de Musset werde seinen mühsam
errungenen Sieg durch ein offenes Bekenntniß seiner Grundsätze und durch eine geist¬
reiche antiakademische Rechtfertigung seiner reinmodernen Richtung besiegeln. Es geschah
Nichts von alle dem. Musset beschränkte sich auf das vorgeschriebene Lob seines Vor¬
gängers, und in den wenigen Stellen, wo er den officiellen Kreis überschreiten zu dürfen
glaubte, geschah es mit einer unbegreiflichen Taktlosigkeit. Man würde begriffen haben,
wenn, der Günstling der orleauistischen Prinzen einige Worte des Bedauerns hätte fallen
lassen, aber daß er, der Verfasser der Lonlössions > 6'un kntgnt an siools und des
spsowele asu« un tsuteuil, dem französischen Classicismus und dem Bonapar¬
tismus abgeschmackte Complimente machen, daß er, ohne allgemeines Gelächter hervor¬
zurufen, sagen dürfte, er gehöre nicht der romantischen Schule an, dies beweist, wie
die Begriffe Romantik und Classicismus eben so wenig mehr ihre ursprüngliche Bedeu¬
tung haben, als Tory und Whig. Nisard hatte vollkommen Recht, sich von der frei¬
willigen Buße des neuen Mitgliedes der Akademie nicht beirren zu lassen. Er benutzte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/479>, abgerufen am 05.12.2024.