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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Leben des Kaisers Taokuang. Von Karl Gützlaff. Leipzig, Karl B.
Lorck. 1832. -- Wer hätte noch vor zehn Jahren geglaubt, daß es einem Europäer
möglich sein würde, das Leben eines Regenten aus dem ungeheuren Reich der Mitte zu
schreiben? Und hier liegt eine ausführliche Biographie vor uns, die Geschichte des
chinesischen Hofes, seiner Intriguen und Charaktere. Das nachgelassene Werk von
Gützlaff war wahrscheinlich nicht ganz vollendet, als der Verfasser starb, oder
es gehört zu den flüchtigeren Arbeiten des viclschrcibenden Missiouairs, denn die
Behandlung des Stoffes ist ungleichmäßig, es scheinen Lücken und wol auch Un-
genauigkeiten darin zu sein; aber das verhinderte das Buch nicht, höchlich belehrend und
interessant zu werden. Der Mechanismus der kolossalen Negierungsmaschine von China, die
Intriguen der Höflinge, das innere Leben der kaiserlichen Familie, die merkwürdigen
Formen des patriarchalischen Despotismus werden ausführlich dargestellt. Wenn der
Verfasser in der Vorrede sagt, die Würde eines Kaisers von China sei vielleicht die
höchste, welche ein Sterblicher erstreben kann, denn er sei oberster Herrscher von
363 Millionen menschlicher Wesen; so ist ihm entgegenzuhalten, daß nicht die Menge
der Unterthanen, sondern die Wichtigkeit, welche sie für die Fortbildung der Cultur haben,
das Maß für die Stellung eines Regenten giebt. Denn z. B. der Beherrscher von
36 Millionen Franzosen, deren Flotten in Südamerika, im indischen Archipel und vor
den Küsten von China Gehorsam erzwingen können, hat eine höhere Bedeutung und
Macht, wenn auch kein bencidcnswerthcres Loos, als der Sohn des Himmels, welcher
über die zehnfache Anzahl von thcebauendcn, zopftragcndcu, reiscssendcn Chinesen dis-
ponirt. -- Das Buch lehrt eindringlich, wie unfrei der am meisten despotische Sou¬
verän: der Erde ist, wie Heuchelei, Lüge und Bestechung die ganze Negierungsmaschine
gegenwärtig zerstört hat, wie das ungeheure Reich China einem Kranken gleicht, der unrett¬
bar dem Verfall preisgegeben ist. -- Kaiser Taokuang, Licht der Vernunft, Nachfolger
des grausamen Wüthcrichs Kiakiug, eines Scheusals, wie je eines aus asiatischen Thronen
gewüthet hat, regierte von 1820--1830. Er war ein einfacher Mann ohne große
Geistesgaben, gutmüthig wo sein Gefühl angeregt wurde, geizig, pedantisch, ohne be¬
sondere Bildung und ohne große Leidenschaften, aber nicht ohne die hinterlistige Schlauheit,
welche eine solche Stellung auch in dem Schwachen ausbildet. Außer den regelmäßigen
Unglücksfällen jeder chinesischen Regierung, Überschwemmungen der Flüsse, Hungersnoth
in einzelnen Gebieten und Empörungen in entfernteren Provinzen, ist feine Regierung
durch ruhmlose Kriege gegen Seeräuber und Grenznachbarn, welche durch Geld dazu
bestochen werden, sich zu unterwerfen und chinesische Würden anzunehmen, vor Allem
aber durch den großen Opinmkrieg gegen die Engländer merkwürdig. Die Motive
dieses Krieges und die Maßregeln der Chinesen in demselben werden ausführlich dar¬
gestellt. Und wie das Buch als ein wichtiger Beitrag zu unsrer Kenntniß China's hier¬
durch lebhast empfohlen wird, so sei auch die Uebersetzung durch I. Seybt gerühmt,
welche so geschickt ist, wie man von dem Talent des gewandten Uebersetzers erwar¬
ten kann.

Hier sei aus Gützlaff's Einleitung eine Charakteristik der Stellung des Kaisers
von China migetheilt:

"Des Kaisers Wort ist Gesetz; die unbedeutendste seiner Handlungen ein Muster
sür aller Anderen Benehmen; er kann nach Belieben Jeden todten und begnadigen;
das Leben und das gesammte Eigenthum aller seiner Unterthanen steht ihm ganz zur
Verfügung, und er ist keinem wachsamen Parlament, keinem mächtigen Adel verant¬
wortlich. Einziger Herr und Gebieter unter dem herzgewinnenden Namen "Vater,"
thut er, was ihm gut dünkt. Wenn jemals dem Menschen souveraine, unverantwort-


None Bücher.

Leben des Kaisers Taokuang. Von Karl Gützlaff. Leipzig, Karl B.
Lorck. 1832. — Wer hätte noch vor zehn Jahren geglaubt, daß es einem Europäer
möglich sein würde, das Leben eines Regenten aus dem ungeheuren Reich der Mitte zu
schreiben? Und hier liegt eine ausführliche Biographie vor uns, die Geschichte des
chinesischen Hofes, seiner Intriguen und Charaktere. Das nachgelassene Werk von
Gützlaff war wahrscheinlich nicht ganz vollendet, als der Verfasser starb, oder
es gehört zu den flüchtigeren Arbeiten des viclschrcibenden Missiouairs, denn die
Behandlung des Stoffes ist ungleichmäßig, es scheinen Lücken und wol auch Un-
genauigkeiten darin zu sein; aber das verhinderte das Buch nicht, höchlich belehrend und
interessant zu werden. Der Mechanismus der kolossalen Negierungsmaschine von China, die
Intriguen der Höflinge, das innere Leben der kaiserlichen Familie, die merkwürdigen
Formen des patriarchalischen Despotismus werden ausführlich dargestellt. Wenn der
Verfasser in der Vorrede sagt, die Würde eines Kaisers von China sei vielleicht die
höchste, welche ein Sterblicher erstreben kann, denn er sei oberster Herrscher von
363 Millionen menschlicher Wesen; so ist ihm entgegenzuhalten, daß nicht die Menge
der Unterthanen, sondern die Wichtigkeit, welche sie für die Fortbildung der Cultur haben,
das Maß für die Stellung eines Regenten giebt. Denn z. B. der Beherrscher von
36 Millionen Franzosen, deren Flotten in Südamerika, im indischen Archipel und vor
den Küsten von China Gehorsam erzwingen können, hat eine höhere Bedeutung und
Macht, wenn auch kein bencidcnswerthcres Loos, als der Sohn des Himmels, welcher
über die zehnfache Anzahl von thcebauendcn, zopftragcndcu, reiscssendcn Chinesen dis-
ponirt. — Das Buch lehrt eindringlich, wie unfrei der am meisten despotische Sou¬
verän: der Erde ist, wie Heuchelei, Lüge und Bestechung die ganze Negierungsmaschine
gegenwärtig zerstört hat, wie das ungeheure Reich China einem Kranken gleicht, der unrett¬
bar dem Verfall preisgegeben ist. — Kaiser Taokuang, Licht der Vernunft, Nachfolger
des grausamen Wüthcrichs Kiakiug, eines Scheusals, wie je eines aus asiatischen Thronen
gewüthet hat, regierte von 1820—1830. Er war ein einfacher Mann ohne große
Geistesgaben, gutmüthig wo sein Gefühl angeregt wurde, geizig, pedantisch, ohne be¬
sondere Bildung und ohne große Leidenschaften, aber nicht ohne die hinterlistige Schlauheit,
welche eine solche Stellung auch in dem Schwachen ausbildet. Außer den regelmäßigen
Unglücksfällen jeder chinesischen Regierung, Überschwemmungen der Flüsse, Hungersnoth
in einzelnen Gebieten und Empörungen in entfernteren Provinzen, ist feine Regierung
durch ruhmlose Kriege gegen Seeräuber und Grenznachbarn, welche durch Geld dazu
bestochen werden, sich zu unterwerfen und chinesische Würden anzunehmen, vor Allem
aber durch den großen Opinmkrieg gegen die Engländer merkwürdig. Die Motive
dieses Krieges und die Maßregeln der Chinesen in demselben werden ausführlich dar¬
gestellt. Und wie das Buch als ein wichtiger Beitrag zu unsrer Kenntniß China's hier¬
durch lebhast empfohlen wird, so sei auch die Uebersetzung durch I. Seybt gerühmt,
welche so geschickt ist, wie man von dem Talent des gewandten Uebersetzers erwar¬
ten kann.

Hier sei aus Gützlaff's Einleitung eine Charakteristik der Stellung des Kaisers
von China migetheilt:

„Des Kaisers Wort ist Gesetz; die unbedeutendste seiner Handlungen ein Muster
sür aller Anderen Benehmen; er kann nach Belieben Jeden todten und begnadigen;
das Leben und das gesammte Eigenthum aller seiner Unterthanen steht ihm ganz zur
Verfügung, und er ist keinem wachsamen Parlament, keinem mächtigen Adel verant¬
wortlich. Einziger Herr und Gebieter unter dem herzgewinnenden Namen „Vater,"
thut er, was ihm gut dünkt. Wenn jemals dem Menschen souveraine, unverantwort-


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[0044] None Bücher. Leben des Kaisers Taokuang. Von Karl Gützlaff. Leipzig, Karl B. Lorck. 1832. — Wer hätte noch vor zehn Jahren geglaubt, daß es einem Europäer möglich sein würde, das Leben eines Regenten aus dem ungeheuren Reich der Mitte zu schreiben? Und hier liegt eine ausführliche Biographie vor uns, die Geschichte des chinesischen Hofes, seiner Intriguen und Charaktere. Das nachgelassene Werk von Gützlaff war wahrscheinlich nicht ganz vollendet, als der Verfasser starb, oder es gehört zu den flüchtigeren Arbeiten des viclschrcibenden Missiouairs, denn die Behandlung des Stoffes ist ungleichmäßig, es scheinen Lücken und wol auch Un- genauigkeiten darin zu sein; aber das verhinderte das Buch nicht, höchlich belehrend und interessant zu werden. Der Mechanismus der kolossalen Negierungsmaschine von China, die Intriguen der Höflinge, das innere Leben der kaiserlichen Familie, die merkwürdigen Formen des patriarchalischen Despotismus werden ausführlich dargestellt. Wenn der Verfasser in der Vorrede sagt, die Würde eines Kaisers von China sei vielleicht die höchste, welche ein Sterblicher erstreben kann, denn er sei oberster Herrscher von 363 Millionen menschlicher Wesen; so ist ihm entgegenzuhalten, daß nicht die Menge der Unterthanen, sondern die Wichtigkeit, welche sie für die Fortbildung der Cultur haben, das Maß für die Stellung eines Regenten giebt. Denn z. B. der Beherrscher von 36 Millionen Franzosen, deren Flotten in Südamerika, im indischen Archipel und vor den Küsten von China Gehorsam erzwingen können, hat eine höhere Bedeutung und Macht, wenn auch kein bencidcnswerthcres Loos, als der Sohn des Himmels, welcher über die zehnfache Anzahl von thcebauendcn, zopftragcndcu, reiscssendcn Chinesen dis- ponirt. — Das Buch lehrt eindringlich, wie unfrei der am meisten despotische Sou¬ verän: der Erde ist, wie Heuchelei, Lüge und Bestechung die ganze Negierungsmaschine gegenwärtig zerstört hat, wie das ungeheure Reich China einem Kranken gleicht, der unrett¬ bar dem Verfall preisgegeben ist. — Kaiser Taokuang, Licht der Vernunft, Nachfolger des grausamen Wüthcrichs Kiakiug, eines Scheusals, wie je eines aus asiatischen Thronen gewüthet hat, regierte von 1820—1830. Er war ein einfacher Mann ohne große Geistesgaben, gutmüthig wo sein Gefühl angeregt wurde, geizig, pedantisch, ohne be¬ sondere Bildung und ohne große Leidenschaften, aber nicht ohne die hinterlistige Schlauheit, welche eine solche Stellung auch in dem Schwachen ausbildet. Außer den regelmäßigen Unglücksfällen jeder chinesischen Regierung, Überschwemmungen der Flüsse, Hungersnoth in einzelnen Gebieten und Empörungen in entfernteren Provinzen, ist feine Regierung durch ruhmlose Kriege gegen Seeräuber und Grenznachbarn, welche durch Geld dazu bestochen werden, sich zu unterwerfen und chinesische Würden anzunehmen, vor Allem aber durch den großen Opinmkrieg gegen die Engländer merkwürdig. Die Motive dieses Krieges und die Maßregeln der Chinesen in demselben werden ausführlich dar¬ gestellt. Und wie das Buch als ein wichtiger Beitrag zu unsrer Kenntniß China's hier¬ durch lebhast empfohlen wird, so sei auch die Uebersetzung durch I. Seybt gerühmt, welche so geschickt ist, wie man von dem Talent des gewandten Uebersetzers erwar¬ ten kann. Hier sei aus Gützlaff's Einleitung eine Charakteristik der Stellung des Kaisers von China migetheilt: „Des Kaisers Wort ist Gesetz; die unbedeutendste seiner Handlungen ein Muster sür aller Anderen Benehmen; er kann nach Belieben Jeden todten und begnadigen; das Leben und das gesammte Eigenthum aller seiner Unterthanen steht ihm ganz zur Verfügung, und er ist keinem wachsamen Parlament, keinem mächtigen Adel verant¬ wortlich. Einziger Herr und Gebieter unter dem herzgewinnenden Namen „Vater," thut er, was ihm gut dünkt. Wenn jemals dem Menschen souveraine, unverantwort-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/44>, abgerufen am 05.12.2024.