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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Wochenbericht.

Man hat hier Fasching gefeiert, sehr viel getanzt und sich gut amüsirt. Wien ist
voll von reichen und vornehmen Leuten, Geld wird leicht verdient und mit einer un¬
erhörten Sorglosigkeit wieder ausgegeben. Was soll Ihnen Ihr Korrespondent sonst aus
Wien schreiben? Es cxisiircn kaum noch gemeinsame politische Interessen zwischen hier
und Norddeutschland. DaS Einzige, was dem Oestreichs geblieben ist, das Selbstgefühl,
einem großen, geachteten Staat anzugehören, gerade dies entfernt ihn jetzt^ von den
Deutschen. Von politischer Gesinnung ist an der Donau eigentlich nicht mehr die Rede.
Wenn die Banknoten steigen, oder ein neues unglückliches Finanzcxperimcnt die Börse
bedroht, dann werden die Wiener etwas nachdenklich und liberal. Wenn die Wintersonne
scheint, und die frische Gestalt des jungen Kaisers eine glänzende militairische Parade
abnimmt, dann sind sie wieder aus einige Tage höchst conservativ; im Allgemeinen aber
fürchterlich gleichgiltig gegen Alles, was außerhalb Wien vorgeht. Wenn ein Soldat
durch Feuer und Blut geschritten ist, so ist er erst als braver Soldat getauft; wenn
ein Bürger aber getödtete Leichname und brennende Städte so nahe und so massenhaft
gesehen hat, wie die Wiener, so wird er, glaube ich, dadurch nicht kräftiger und ge¬
sünder, denn das Ungeheure wird in einem kleinen Leben nicht gut verarbeitet. Unsre
Regierung herrscht mit einer souverainen Macht im Innern, wie sie noch nie dagewesen
ist; es ist ein strenger Scepter und die väterliche Zucht der Schwachen wird hier merkwürdig
weit getrieben. Zu den Schwachen, dem Volke, gehört hier Alles, was nicht Armee oder
Adclscotcrie ist. Und nun vollends die Presse und was mit ihr zusammenhängt!
Ein Journalist wird hier im Frieden eben so betrachtet, wie ein Spion im Kriege,
und es ist reine Liebenswürdigkeit, daß man ihn nicht ohne Weiteres aushängt. Wer von
unglücklichen Literaten der Stadthauptmauuschast irgendwie darnach aussieht, einen Artikel
in auswärtige Zeitungen schreiben zu können, wird sofort aus Wien herausgeworfen
und in irgend eine kleine Stadt verbannt, wo er dem ehrlichen Bürger als ein
verbrecherisches Scheusal erscheint, welches in Wohnung und Kost zu nehmen, schon
eine Art Hochverrat!) ist. Hat aber vollends ein solcher Literat das Schicksal, nicht
getauft zu sein, so wäre ihm gleich besser, er wäre nie geboren! Herausgeworfen wird
er natürlich auch/ aber wie wird er außerdem behandelt! Er ist ein ruchloses, recht¬
loses, ehrloses Subject; Alles Schnauze ihn an, vom Stadthauptmann bis zum kleinsten
Polizisten. Gegen eine Anzahl sehr respectabler Journalisten ist schon vor längerer Zeit
vom Stadthauptmann Weiß eine große Treibjagd angestellt worden, und Männer, die
zu den besten Patrioten Oestreichs gehören, und nur das Unglück haben, mit den
Maßregeln des gegenwärtigen Ministeriums nicht immer einverstanden zu sein, z. B.
die Herren --, --, --, sind aus Wien verschwunden, und wenn Sie einen Dritten,
der dieselben recht gut gekannt und ihnen vielleicht früher den Hof gemacht hat, fragen,
wo sie jetzt leben, und wie es ihnen geht, er wird es vermeiden, Ihnen zu antworten.
Wozu über Mißliebige sprechen! -- Die Regierung selbst leidet wieder an einer un¬
geschickten und übermüthig gewordenen Bcamtcnschaar, und in den Bureau's selbst an
einer Verwirrung und Desorganisation, die bei dem besten Willen und größter Thätigkeit


Grenzboten. II. -I8L2. i
Wochenbericht.

Man hat hier Fasching gefeiert, sehr viel getanzt und sich gut amüsirt. Wien ist
voll von reichen und vornehmen Leuten, Geld wird leicht verdient und mit einer un¬
erhörten Sorglosigkeit wieder ausgegeben. Was soll Ihnen Ihr Korrespondent sonst aus
Wien schreiben? Es cxisiircn kaum noch gemeinsame politische Interessen zwischen hier
und Norddeutschland. DaS Einzige, was dem Oestreichs geblieben ist, das Selbstgefühl,
einem großen, geachteten Staat anzugehören, gerade dies entfernt ihn jetzt^ von den
Deutschen. Von politischer Gesinnung ist an der Donau eigentlich nicht mehr die Rede.
Wenn die Banknoten steigen, oder ein neues unglückliches Finanzcxperimcnt die Börse
bedroht, dann werden die Wiener etwas nachdenklich und liberal. Wenn die Wintersonne
scheint, und die frische Gestalt des jungen Kaisers eine glänzende militairische Parade
abnimmt, dann sind sie wieder aus einige Tage höchst conservativ; im Allgemeinen aber
fürchterlich gleichgiltig gegen Alles, was außerhalb Wien vorgeht. Wenn ein Soldat
durch Feuer und Blut geschritten ist, so ist er erst als braver Soldat getauft; wenn
ein Bürger aber getödtete Leichname und brennende Städte so nahe und so massenhaft
gesehen hat, wie die Wiener, so wird er, glaube ich, dadurch nicht kräftiger und ge¬
sünder, denn das Ungeheure wird in einem kleinen Leben nicht gut verarbeitet. Unsre
Regierung herrscht mit einer souverainen Macht im Innern, wie sie noch nie dagewesen
ist; es ist ein strenger Scepter und die väterliche Zucht der Schwachen wird hier merkwürdig
weit getrieben. Zu den Schwachen, dem Volke, gehört hier Alles, was nicht Armee oder
Adclscotcrie ist. Und nun vollends die Presse und was mit ihr zusammenhängt!
Ein Journalist wird hier im Frieden eben so betrachtet, wie ein Spion im Kriege,
und es ist reine Liebenswürdigkeit, daß man ihn nicht ohne Weiteres aushängt. Wer von
unglücklichen Literaten der Stadthauptmauuschast irgendwie darnach aussieht, einen Artikel
in auswärtige Zeitungen schreiben zu können, wird sofort aus Wien herausgeworfen
und in irgend eine kleine Stadt verbannt, wo er dem ehrlichen Bürger als ein
verbrecherisches Scheusal erscheint, welches in Wohnung und Kost zu nehmen, schon
eine Art Hochverrat!) ist. Hat aber vollends ein solcher Literat das Schicksal, nicht
getauft zu sein, so wäre ihm gleich besser, er wäre nie geboren! Herausgeworfen wird
er natürlich auch/ aber wie wird er außerdem behandelt! Er ist ein ruchloses, recht¬
loses, ehrloses Subject; Alles Schnauze ihn an, vom Stadthauptmann bis zum kleinsten
Polizisten. Gegen eine Anzahl sehr respectabler Journalisten ist schon vor längerer Zeit
vom Stadthauptmann Weiß eine große Treibjagd angestellt worden, und Männer, die
zu den besten Patrioten Oestreichs gehören, und nur das Unglück haben, mit den
Maßregeln des gegenwärtigen Ministeriums nicht immer einverstanden zu sein, z. B.
die Herren —, —, —, sind aus Wien verschwunden, und wenn Sie einen Dritten,
der dieselben recht gut gekannt und ihnen vielleicht früher den Hof gemacht hat, fragen,
wo sie jetzt leben, und wie es ihnen geht, er wird es vermeiden, Ihnen zu antworten.
Wozu über Mißliebige sprechen! — Die Regierung selbst leidet wieder an einer un¬
geschickten und übermüthig gewordenen Bcamtcnschaar, und in den Bureau's selbst an
einer Verwirrung und Desorganisation, die bei dem besten Willen und größter Thätigkeit


Grenzboten. II. -I8L2. i
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[0035] Wochenbericht. Man hat hier Fasching gefeiert, sehr viel getanzt und sich gut amüsirt. Wien ist voll von reichen und vornehmen Leuten, Geld wird leicht verdient und mit einer un¬ erhörten Sorglosigkeit wieder ausgegeben. Was soll Ihnen Ihr Korrespondent sonst aus Wien schreiben? Es cxisiircn kaum noch gemeinsame politische Interessen zwischen hier und Norddeutschland. DaS Einzige, was dem Oestreichs geblieben ist, das Selbstgefühl, einem großen, geachteten Staat anzugehören, gerade dies entfernt ihn jetzt^ von den Deutschen. Von politischer Gesinnung ist an der Donau eigentlich nicht mehr die Rede. Wenn die Banknoten steigen, oder ein neues unglückliches Finanzcxperimcnt die Börse bedroht, dann werden die Wiener etwas nachdenklich und liberal. Wenn die Wintersonne scheint, und die frische Gestalt des jungen Kaisers eine glänzende militairische Parade abnimmt, dann sind sie wieder aus einige Tage höchst conservativ; im Allgemeinen aber fürchterlich gleichgiltig gegen Alles, was außerhalb Wien vorgeht. Wenn ein Soldat durch Feuer und Blut geschritten ist, so ist er erst als braver Soldat getauft; wenn ein Bürger aber getödtete Leichname und brennende Städte so nahe und so massenhaft gesehen hat, wie die Wiener, so wird er, glaube ich, dadurch nicht kräftiger und ge¬ sünder, denn das Ungeheure wird in einem kleinen Leben nicht gut verarbeitet. Unsre Regierung herrscht mit einer souverainen Macht im Innern, wie sie noch nie dagewesen ist; es ist ein strenger Scepter und die väterliche Zucht der Schwachen wird hier merkwürdig weit getrieben. Zu den Schwachen, dem Volke, gehört hier Alles, was nicht Armee oder Adclscotcrie ist. Und nun vollends die Presse und was mit ihr zusammenhängt! Ein Journalist wird hier im Frieden eben so betrachtet, wie ein Spion im Kriege, und es ist reine Liebenswürdigkeit, daß man ihn nicht ohne Weiteres aushängt. Wer von unglücklichen Literaten der Stadthauptmauuschast irgendwie darnach aussieht, einen Artikel in auswärtige Zeitungen schreiben zu können, wird sofort aus Wien herausgeworfen und in irgend eine kleine Stadt verbannt, wo er dem ehrlichen Bürger als ein verbrecherisches Scheusal erscheint, welches in Wohnung und Kost zu nehmen, schon eine Art Hochverrat!) ist. Hat aber vollends ein solcher Literat das Schicksal, nicht getauft zu sein, so wäre ihm gleich besser, er wäre nie geboren! Herausgeworfen wird er natürlich auch/ aber wie wird er außerdem behandelt! Er ist ein ruchloses, recht¬ loses, ehrloses Subject; Alles Schnauze ihn an, vom Stadthauptmann bis zum kleinsten Polizisten. Gegen eine Anzahl sehr respectabler Journalisten ist schon vor längerer Zeit vom Stadthauptmann Weiß eine große Treibjagd angestellt worden, und Männer, die zu den besten Patrioten Oestreichs gehören, und nur das Unglück haben, mit den Maßregeln des gegenwärtigen Ministeriums nicht immer einverstanden zu sein, z. B. die Herren —, —, —, sind aus Wien verschwunden, und wenn Sie einen Dritten, der dieselben recht gut gekannt und ihnen vielleicht früher den Hof gemacht hat, fragen, wo sie jetzt leben, und wie es ihnen geht, er wird es vermeiden, Ihnen zu antworten. Wozu über Mißliebige sprechen! — Die Regierung selbst leidet wieder an einer un¬ geschickten und übermüthig gewordenen Bcamtcnschaar, und in den Bureau's selbst an einer Verwirrung und Desorganisation, die bei dem besten Willen und größter Thätigkeit Grenzboten. II. -I8L2. i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/35>, abgerufen am 05.12.2024.