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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Die Blüthe Griechenlands.
Carton von Kaulbach.

In den letzten Tagen des April oder Anfang Mai wird der Meister Kaul¬
bach in Berlin wieder eintreffen, um sein-e Arbeiten im neuen Museum wieder
aufzunehmen. Einen Sendboten hat er voraus geschickt: den großen Carton zu
dem mittlern der drei für die erste Langseite der Treppenhalle bestimmten Haupt¬
bilder. Am Gründonnerstage war dieser Carton in der herrlichen Rotunde des
Schinkel'schen Museums zuerst aufgestellt und wird zwei Wochen lang zur Ansicht
hier stehen bleiben. Bevor ich an die Betrachtung dieser neuen Kaulbach'scheu
Schöpfung gehe, muß ich Ihre Leser mit wenigen Worten an den ideellen Stand¬
punkt erinnern, welchen der Gegenstand des Cartons in dem gesammelten Ge¬
mälde-Cyklus einzunehmen bestimmt ist. Der Künstler will uns ein Bild der
'Blüthe Griechenlands geben, und weist diesem Bilde in der Gliederung seines
weltgeschichtlichen Cykloramas die zweite Stelle an. Vorausgegangen ist im ersten
Hauptbilde, dem Thurmbau zu Babel, die höchste Steigerung der schaffenden Ge¬
walt des Orients, in der zugleich das Princip der rein äußerlichen, in das Un¬
geheuerliche schweifenden Mächtigkeit zu Grunde ging. Verbunden war damit
der mythische Ursprung der besonderen geschichtlichen Völkerstämme. An dritter
Stelle folgt in der Zerstörung von Jerusalem die gewaltsamste Bethätigung' des
römischen Princips der Weltherrschaft, die damit bei dem Wendepunkte ihrer
Macht angelangt ist. Was kann in der leitenden cultnrgeschichtlichen Idee also
logischer begründet sein^ als daß in der Mitte zwischen Eins und Drei jene edle
Bildung Griechenlands sich entfaltet, welche die astatischen Culturelemente zu
reiner Schönheit vergeistigte und die Erzeugerin und Gestalterin aller religi¬
ösen,, künstlerischen und wissenschaftlichen Grundlagen wurde, auf deuen die Cultur
der römischen Welt sich erhob. Sehen wir nun, wie der Künstler seinen cultur¬
geschichtlichen Gedanken im Kunstwerke ausgeführt.

Die Oertlichkeit des Bildes zeigt uns eine Meeresbucht, welche von links
sich hereinzieht und die halbe Länge des Bildes einnimmt. Rechts erstreckt sich
der Strand bis in den Vorgrund, und im Mittelgrunde wird die Bucht durch die
nach links horizontal dahinlaufende Küste abgeschnitten, so daß die rechte Hälfte
des Vorgrundes und der ganze Mittelgrund dem festen Laude gehören.

Auf einem Schiffe, dessen Schnabelspitze den Strand berührt, steht ganz
am vordem Ende -- in der Mitte des Bildes -- die hochaufgerichtete Gestalt
des Dichters Homeros, das Antlitz dem Lande zugewendet, um das Haupt den
Lorbeer, in der Rechten die Leier; die Linke begleitet mit erhabener Geberde den
Vortrag seines Gesanges, welcher den am Strande Versammelten von den


Die Blüthe Griechenlands.
Carton von Kaulbach.

In den letzten Tagen des April oder Anfang Mai wird der Meister Kaul¬
bach in Berlin wieder eintreffen, um sein-e Arbeiten im neuen Museum wieder
aufzunehmen. Einen Sendboten hat er voraus geschickt: den großen Carton zu
dem mittlern der drei für die erste Langseite der Treppenhalle bestimmten Haupt¬
bilder. Am Gründonnerstage war dieser Carton in der herrlichen Rotunde des
Schinkel'schen Museums zuerst aufgestellt und wird zwei Wochen lang zur Ansicht
hier stehen bleiben. Bevor ich an die Betrachtung dieser neuen Kaulbach'scheu
Schöpfung gehe, muß ich Ihre Leser mit wenigen Worten an den ideellen Stand¬
punkt erinnern, welchen der Gegenstand des Cartons in dem gesammelten Ge¬
mälde-Cyklus einzunehmen bestimmt ist. Der Künstler will uns ein Bild der
'Blüthe Griechenlands geben, und weist diesem Bilde in der Gliederung seines
weltgeschichtlichen Cykloramas die zweite Stelle an. Vorausgegangen ist im ersten
Hauptbilde, dem Thurmbau zu Babel, die höchste Steigerung der schaffenden Ge¬
walt des Orients, in der zugleich das Princip der rein äußerlichen, in das Un¬
geheuerliche schweifenden Mächtigkeit zu Grunde ging. Verbunden war damit
der mythische Ursprung der besonderen geschichtlichen Völkerstämme. An dritter
Stelle folgt in der Zerstörung von Jerusalem die gewaltsamste Bethätigung' des
römischen Princips der Weltherrschaft, die damit bei dem Wendepunkte ihrer
Macht angelangt ist. Was kann in der leitenden cultnrgeschichtlichen Idee also
logischer begründet sein^ als daß in der Mitte zwischen Eins und Drei jene edle
Bildung Griechenlands sich entfaltet, welche die astatischen Culturelemente zu
reiner Schönheit vergeistigte und die Erzeugerin und Gestalterin aller religi¬
ösen,, künstlerischen und wissenschaftlichen Grundlagen wurde, auf deuen die Cultur
der römischen Welt sich erhob. Sehen wir nun, wie der Künstler seinen cultur¬
geschichtlichen Gedanken im Kunstwerke ausgeführt.

Die Oertlichkeit des Bildes zeigt uns eine Meeresbucht, welche von links
sich hereinzieht und die halbe Länge des Bildes einnimmt. Rechts erstreckt sich
der Strand bis in den Vorgrund, und im Mittelgrunde wird die Bucht durch die
nach links horizontal dahinlaufende Küste abgeschnitten, so daß die rechte Hälfte
des Vorgrundes und der ganze Mittelgrund dem festen Laude gehören.

Auf einem Schiffe, dessen Schnabelspitze den Strand berührt, steht ganz
am vordem Ende — in der Mitte des Bildes — die hochaufgerichtete Gestalt
des Dichters Homeros, das Antlitz dem Lande zugewendet, um das Haupt den
Lorbeer, in der Rechten die Leier; die Linke begleitet mit erhabener Geberde den
Vortrag seines Gesanges, welcher den am Strande Versammelten von den


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[0159] Die Blüthe Griechenlands. Carton von Kaulbach. In den letzten Tagen des April oder Anfang Mai wird der Meister Kaul¬ bach in Berlin wieder eintreffen, um sein-e Arbeiten im neuen Museum wieder aufzunehmen. Einen Sendboten hat er voraus geschickt: den großen Carton zu dem mittlern der drei für die erste Langseite der Treppenhalle bestimmten Haupt¬ bilder. Am Gründonnerstage war dieser Carton in der herrlichen Rotunde des Schinkel'schen Museums zuerst aufgestellt und wird zwei Wochen lang zur Ansicht hier stehen bleiben. Bevor ich an die Betrachtung dieser neuen Kaulbach'scheu Schöpfung gehe, muß ich Ihre Leser mit wenigen Worten an den ideellen Stand¬ punkt erinnern, welchen der Gegenstand des Cartons in dem gesammelten Ge¬ mälde-Cyklus einzunehmen bestimmt ist. Der Künstler will uns ein Bild der 'Blüthe Griechenlands geben, und weist diesem Bilde in der Gliederung seines weltgeschichtlichen Cykloramas die zweite Stelle an. Vorausgegangen ist im ersten Hauptbilde, dem Thurmbau zu Babel, die höchste Steigerung der schaffenden Ge¬ walt des Orients, in der zugleich das Princip der rein äußerlichen, in das Un¬ geheuerliche schweifenden Mächtigkeit zu Grunde ging. Verbunden war damit der mythische Ursprung der besonderen geschichtlichen Völkerstämme. An dritter Stelle folgt in der Zerstörung von Jerusalem die gewaltsamste Bethätigung' des römischen Princips der Weltherrschaft, die damit bei dem Wendepunkte ihrer Macht angelangt ist. Was kann in der leitenden cultnrgeschichtlichen Idee also logischer begründet sein^ als daß in der Mitte zwischen Eins und Drei jene edle Bildung Griechenlands sich entfaltet, welche die astatischen Culturelemente zu reiner Schönheit vergeistigte und die Erzeugerin und Gestalterin aller religi¬ ösen,, künstlerischen und wissenschaftlichen Grundlagen wurde, auf deuen die Cultur der römischen Welt sich erhob. Sehen wir nun, wie der Künstler seinen cultur¬ geschichtlichen Gedanken im Kunstwerke ausgeführt. Die Oertlichkeit des Bildes zeigt uns eine Meeresbucht, welche von links sich hereinzieht und die halbe Länge des Bildes einnimmt. Rechts erstreckt sich der Strand bis in den Vorgrund, und im Mittelgrunde wird die Bucht durch die nach links horizontal dahinlaufende Küste abgeschnitten, so daß die rechte Hälfte des Vorgrundes und der ganze Mittelgrund dem festen Laude gehören. Auf einem Schiffe, dessen Schnabelspitze den Strand berührt, steht ganz am vordem Ende — in der Mitte des Bildes — die hochaufgerichtete Gestalt des Dichters Homeros, das Antlitz dem Lande zugewendet, um das Haupt den Lorbeer, in der Rechten die Leier; die Linke begleitet mit erhabener Geberde den Vortrag seines Gesanges, welcher den am Strande Versammelten von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/159>, abgerufen am 05.12.2024.