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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Ein Gefangener auf Peterwardein.
(S es l u ß.)

Unterdessen beriethen sich die ungarischen Officiere; einer von ihnen kam
durch den Saal mit einem Papier in der Hand. Ich hatte mehrere Male Kriegs¬
gerichten beigewohnt und wußte, daß auf diesem Papier das Urtel stand, welches-,
er den: Commandanten der Festung zur Unterschrift hintrug. Nach einigen Mi¬
nuten kam der Profos mit einem Zuge Soldaten, um uns wieder bis zur Hin-
richtung in unsere Gefängnisse zu bringen. Ich ging zuerst; um mich hörte ich
das Wort "erschossen" aussprechen; auf einem Balkon sah ich zwei Herren und
eine junge Dame; als ich vorbeiging, lüfteten die Herren ein wenig die Hüte
und die junge Dame winkte mir mit einem Taschentuche wie zur Ermuthigung;
es war jedenfalls eine kaiserlich gesinnte Familie. Ich blickte mit einem Lächeln
zu ihnen hinauf, um ihnen zu sagen, daß ich uicht schwach sei und unsrer Sache
Ehre machen würde. Ich trat wieder in meine Käsematte; die Thür, diesmal
von zwei Soldaten bewacht, blieb offen stehen und ich konnte in der Ferne bei
Kußmaneck seine Frau und seine Tochter sehen, die laut weinten und klagten;
es ist mir immer noch, als ob ich hörte, wie das arme Mädchen mit lauter
Stimme rief: , Vater! Vater!" wie sie die Hände rang und dann erschöpft und
zitternd den Kopf gegen die Mauer lehnte. Ich beklagte sie; aber dann störte
mich dieses Geschrei, denn es zwang mich, an meine Mutter und an ihren Schmerz
zu denken, und ich fühlte, daß ich schwach wurde. Ich hatte einen Ring mit
einem kleinen Diamanten behalten; ich zog ihn ab und schrieb aus eine der Fen¬
sterscheiben: "Lebt wohl, geliebte Eltern, ich soll erschossen werden; ich bin ruhig
und gefaßt; ich sterbe voller Glauben und Hoffnung. Liebe Mutter, mein ein¬
ziger Schmerz ist Deiner."

Die Glocken schlugen zwei Uhr, drei Uhr war vorüber; die Execution sollte
binnen 24 Stunden stattfinden. Ein Strahl der Hoffnung drang in mein Herz,
aber er machte mich aller Ruhe verlustig; ich wurde jetzt sehr aufgeregt. Den
ganzen übrigen Tag ging ich mit großen Schritten in der Käsematte auf und ab,
und versuchte durch Ermüdung die Schmerzen des Körpers und der Seele zu
unterdrücken. Ganz erschöpft warf ich mich endlich ans das Bett. Am nächsten
Tag um 9 Uhr holte mich der ungarische Profos mit 4 Soldaten ab; ich war
gefaßt und spürte fast keine Bewegung, als er mir sagte, er führe mich wieder
in den Saal des Kriegsgerichts, wo sich abermals die ungarischen Officiere be¬
fanden. Ans Befehl des Vorsitzenden traten zwei Greise herein, der Profos frug
mich, welcher von diesen Beiden mir das Geld angeboten habe. Der Grund


Grenzboten. I. 1851. 64
Ein Gefangener auf Peterwardein.
(S es l u ß.)

Unterdessen beriethen sich die ungarischen Officiere; einer von ihnen kam
durch den Saal mit einem Papier in der Hand. Ich hatte mehrere Male Kriegs¬
gerichten beigewohnt und wußte, daß auf diesem Papier das Urtel stand, welches-,
er den: Commandanten der Festung zur Unterschrift hintrug. Nach einigen Mi¬
nuten kam der Profos mit einem Zuge Soldaten, um uns wieder bis zur Hin-
richtung in unsere Gefängnisse zu bringen. Ich ging zuerst; um mich hörte ich
das Wort „erschossen" aussprechen; auf einem Balkon sah ich zwei Herren und
eine junge Dame; als ich vorbeiging, lüfteten die Herren ein wenig die Hüte
und die junge Dame winkte mir mit einem Taschentuche wie zur Ermuthigung;
es war jedenfalls eine kaiserlich gesinnte Familie. Ich blickte mit einem Lächeln
zu ihnen hinauf, um ihnen zu sagen, daß ich uicht schwach sei und unsrer Sache
Ehre machen würde. Ich trat wieder in meine Käsematte; die Thür, diesmal
von zwei Soldaten bewacht, blieb offen stehen und ich konnte in der Ferne bei
Kußmaneck seine Frau und seine Tochter sehen, die laut weinten und klagten;
es ist mir immer noch, als ob ich hörte, wie das arme Mädchen mit lauter
Stimme rief: , Vater! Vater!" wie sie die Hände rang und dann erschöpft und
zitternd den Kopf gegen die Mauer lehnte. Ich beklagte sie; aber dann störte
mich dieses Geschrei, denn es zwang mich, an meine Mutter und an ihren Schmerz
zu denken, und ich fühlte, daß ich schwach wurde. Ich hatte einen Ring mit
einem kleinen Diamanten behalten; ich zog ihn ab und schrieb aus eine der Fen¬
sterscheiben: „Lebt wohl, geliebte Eltern, ich soll erschossen werden; ich bin ruhig
und gefaßt; ich sterbe voller Glauben und Hoffnung. Liebe Mutter, mein ein¬
ziger Schmerz ist Deiner."

Die Glocken schlugen zwei Uhr, drei Uhr war vorüber; die Execution sollte
binnen 24 Stunden stattfinden. Ein Strahl der Hoffnung drang in mein Herz,
aber er machte mich aller Ruhe verlustig; ich wurde jetzt sehr aufgeregt. Den
ganzen übrigen Tag ging ich mit großen Schritten in der Käsematte auf und ab,
und versuchte durch Ermüdung die Schmerzen des Körpers und der Seele zu
unterdrücken. Ganz erschöpft warf ich mich endlich ans das Bett. Am nächsten
Tag um 9 Uhr holte mich der ungarische Profos mit 4 Soldaten ab; ich war
gefaßt und spürte fast keine Bewegung, als er mir sagte, er führe mich wieder
in den Saal des Kriegsgerichts, wo sich abermals die ungarischen Officiere be¬
fanden. Ans Befehl des Vorsitzenden traten zwei Greise herein, der Profos frug
mich, welcher von diesen Beiden mir das Geld angeboten habe. Der Grund


Grenzboten. I. 1851. 64
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[0517] Ein Gefangener auf Peterwardein. (S es l u ß.) Unterdessen beriethen sich die ungarischen Officiere; einer von ihnen kam durch den Saal mit einem Papier in der Hand. Ich hatte mehrere Male Kriegs¬ gerichten beigewohnt und wußte, daß auf diesem Papier das Urtel stand, welches-, er den: Commandanten der Festung zur Unterschrift hintrug. Nach einigen Mi¬ nuten kam der Profos mit einem Zuge Soldaten, um uns wieder bis zur Hin- richtung in unsere Gefängnisse zu bringen. Ich ging zuerst; um mich hörte ich das Wort „erschossen" aussprechen; auf einem Balkon sah ich zwei Herren und eine junge Dame; als ich vorbeiging, lüfteten die Herren ein wenig die Hüte und die junge Dame winkte mir mit einem Taschentuche wie zur Ermuthigung; es war jedenfalls eine kaiserlich gesinnte Familie. Ich blickte mit einem Lächeln zu ihnen hinauf, um ihnen zu sagen, daß ich uicht schwach sei und unsrer Sache Ehre machen würde. Ich trat wieder in meine Käsematte; die Thür, diesmal von zwei Soldaten bewacht, blieb offen stehen und ich konnte in der Ferne bei Kußmaneck seine Frau und seine Tochter sehen, die laut weinten und klagten; es ist mir immer noch, als ob ich hörte, wie das arme Mädchen mit lauter Stimme rief: , Vater! Vater!" wie sie die Hände rang und dann erschöpft und zitternd den Kopf gegen die Mauer lehnte. Ich beklagte sie; aber dann störte mich dieses Geschrei, denn es zwang mich, an meine Mutter und an ihren Schmerz zu denken, und ich fühlte, daß ich schwach wurde. Ich hatte einen Ring mit einem kleinen Diamanten behalten; ich zog ihn ab und schrieb aus eine der Fen¬ sterscheiben: „Lebt wohl, geliebte Eltern, ich soll erschossen werden; ich bin ruhig und gefaßt; ich sterbe voller Glauben und Hoffnung. Liebe Mutter, mein ein¬ ziger Schmerz ist Deiner." Die Glocken schlugen zwei Uhr, drei Uhr war vorüber; die Execution sollte binnen 24 Stunden stattfinden. Ein Strahl der Hoffnung drang in mein Herz, aber er machte mich aller Ruhe verlustig; ich wurde jetzt sehr aufgeregt. Den ganzen übrigen Tag ging ich mit großen Schritten in der Käsematte auf und ab, und versuchte durch Ermüdung die Schmerzen des Körpers und der Seele zu unterdrücken. Ganz erschöpft warf ich mich endlich ans das Bett. Am nächsten Tag um 9 Uhr holte mich der ungarische Profos mit 4 Soldaten ab; ich war gefaßt und spürte fast keine Bewegung, als er mir sagte, er führe mich wieder in den Saal des Kriegsgerichts, wo sich abermals die ungarischen Officiere be¬ fanden. Ans Befehl des Vorsitzenden traten zwei Greise herein, der Profos frug mich, welcher von diesen Beiden mir das Geld angeboten habe. Der Grund Grenzboten. I. 1851. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/517>, abgerufen am 27.06.2024.