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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Das literarische Leben der Südslaven.

Unter den Südslaven bestehen zwei ganz verschiedene Literaturen, die ser¬
bische und die kroatisch-hio venische, welche letztere als Product des politi¬
schen JllyrismuS immerhin den Namen "illyrisch" tragen mag. Unterschiede
in der Nationalität und Religion, wie der Gebrauch der kyrillischeu Schrift bei
den Serben und der lateinischen bei den Kroaten, haben die Literatur der Süd¬
slaven uach Ost und West geschieden; die erstere derselben ist echt slavisch und
hat .Charakter und Originalität, die audere ist in Inhalt und Form von occi-
dentalischen Einflüssen durchdrungen.

Das kriegerische Selbstgefühl und die politische Abgeschlossenheit des serbischen
Stammes gibt der jungen serbischen Literatur ihren scharf ausgeprägten, eigen¬
thümlichen Charakter. Solche Selbstständigkeit konnte in den östreichischen König¬
reichen der Grenze ein Phantom wie der JllyrismuS nicht erzengen, daher auch
die illyrische Literatur, trotz der schönen Phrasen von Slaventhum und seiner
Bedeutung, durchaus nicht originell und selbstständig ist. So lange der Jllyris-
mus mit dem Magyarenthum im Kampf begriffen war, hatte seine Literatur wenig¬
stens einen kriegerischen Anstrich und konnte dadurch auf die erhitzte Phantasie
einer von Magyarenhasse heißen Jugend einwirken. Dieser Kampf hat aber jetzt
sein Ende erreicht und die illyrische Literatur feiert, ihr mangelt der reelle Boden
der Existenz, slavische Originalität. Wie ihrem Vorbilde, der ragusanischen Lite¬
ratur des 16. und 17. Jahrhunderts, sieht man auch ihr den fremden, künstlichen
Ursprung auf den ersten Anblick an. Die dem Jllyrismns anhaftende Unreife
und Selbstüberschätzung hat durch Marktschreierei die literarische Kritik zu über¬
stimmen gewußt, und zumal in den Literaturblättern der übrigen Slavenstämme
dnrch gegenseitiges Weihrauchstreuen alles gesunde, ästhetische Urtheil erstickt --
jedes, auch das schlechteste Machwerk des Jllyrismns, mußte für gut gelten,
weil es vou einem "Patrioten" herrührte und weil der Zweck die Mittel
entschuldigte. Im Interesse der guten Sache der Bildung und der Literatur
muß diesem Unfuge gesteuert, müssen unbescheidene Ansprüche ans ihr wahres
Maß zurückgeführt und wenigstens die Möglichkeit eines ruhigen Urtheils dar¬
gethan werden. Ich werde mich glücklich schätzen, wenn ich zu diesem Zwecke
auch uur Geringes beitrage. Die neuere serbische und illyrische Literatur sind
noch junge, zarte Pflanzen, welche kaum die ersten Blätter im Sonnenlicht aus¬
gebreitet haben; sie bedürfen der sorglichsten Pflege, aber auch strenger Wach¬
samkeit. Die illyrische Literatur hat an ihren Nachbarn, der italienischen und
deutschen, zwei Rivalen, mit denen sie sich in keiner Beziehung messen kann und


Das literarische Leben der Südslaven.

Unter den Südslaven bestehen zwei ganz verschiedene Literaturen, die ser¬
bische und die kroatisch-hio venische, welche letztere als Product des politi¬
schen JllyrismuS immerhin den Namen „illyrisch" tragen mag. Unterschiede
in der Nationalität und Religion, wie der Gebrauch der kyrillischeu Schrift bei
den Serben und der lateinischen bei den Kroaten, haben die Literatur der Süd¬
slaven uach Ost und West geschieden; die erstere derselben ist echt slavisch und
hat .Charakter und Originalität, die audere ist in Inhalt und Form von occi-
dentalischen Einflüssen durchdrungen.

Das kriegerische Selbstgefühl und die politische Abgeschlossenheit des serbischen
Stammes gibt der jungen serbischen Literatur ihren scharf ausgeprägten, eigen¬
thümlichen Charakter. Solche Selbstständigkeit konnte in den östreichischen König¬
reichen der Grenze ein Phantom wie der JllyrismuS nicht erzengen, daher auch
die illyrische Literatur, trotz der schönen Phrasen von Slaventhum und seiner
Bedeutung, durchaus nicht originell und selbstständig ist. So lange der Jllyris-
mus mit dem Magyarenthum im Kampf begriffen war, hatte seine Literatur wenig¬
stens einen kriegerischen Anstrich und konnte dadurch auf die erhitzte Phantasie
einer von Magyarenhasse heißen Jugend einwirken. Dieser Kampf hat aber jetzt
sein Ende erreicht und die illyrische Literatur feiert, ihr mangelt der reelle Boden
der Existenz, slavische Originalität. Wie ihrem Vorbilde, der ragusanischen Lite¬
ratur des 16. und 17. Jahrhunderts, sieht man auch ihr den fremden, künstlichen
Ursprung auf den ersten Anblick an. Die dem Jllyrismns anhaftende Unreife
und Selbstüberschätzung hat durch Marktschreierei die literarische Kritik zu über¬
stimmen gewußt, und zumal in den Literaturblättern der übrigen Slavenstämme
dnrch gegenseitiges Weihrauchstreuen alles gesunde, ästhetische Urtheil erstickt —
jedes, auch das schlechteste Machwerk des Jllyrismns, mußte für gut gelten,
weil es vou einem „Patrioten" herrührte und weil der Zweck die Mittel
entschuldigte. Im Interesse der guten Sache der Bildung und der Literatur
muß diesem Unfuge gesteuert, müssen unbescheidene Ansprüche ans ihr wahres
Maß zurückgeführt und wenigstens die Möglichkeit eines ruhigen Urtheils dar¬
gethan werden. Ich werde mich glücklich schätzen, wenn ich zu diesem Zwecke
auch uur Geringes beitrage. Die neuere serbische und illyrische Literatur sind
noch junge, zarte Pflanzen, welche kaum die ersten Blätter im Sonnenlicht aus¬
gebreitet haben; sie bedürfen der sorglichsten Pflege, aber auch strenger Wach¬
samkeit. Die illyrische Literatur hat an ihren Nachbarn, der italienischen und
deutschen, zwei Rivalen, mit denen sie sich in keiner Beziehung messen kann und


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[0427] Das literarische Leben der Südslaven. Unter den Südslaven bestehen zwei ganz verschiedene Literaturen, die ser¬ bische und die kroatisch-hio venische, welche letztere als Product des politi¬ schen JllyrismuS immerhin den Namen „illyrisch" tragen mag. Unterschiede in der Nationalität und Religion, wie der Gebrauch der kyrillischeu Schrift bei den Serben und der lateinischen bei den Kroaten, haben die Literatur der Süd¬ slaven uach Ost und West geschieden; die erstere derselben ist echt slavisch und hat .Charakter und Originalität, die audere ist in Inhalt und Form von occi- dentalischen Einflüssen durchdrungen. Das kriegerische Selbstgefühl und die politische Abgeschlossenheit des serbischen Stammes gibt der jungen serbischen Literatur ihren scharf ausgeprägten, eigen¬ thümlichen Charakter. Solche Selbstständigkeit konnte in den östreichischen König¬ reichen der Grenze ein Phantom wie der JllyrismuS nicht erzengen, daher auch die illyrische Literatur, trotz der schönen Phrasen von Slaventhum und seiner Bedeutung, durchaus nicht originell und selbstständig ist. So lange der Jllyris- mus mit dem Magyarenthum im Kampf begriffen war, hatte seine Literatur wenig¬ stens einen kriegerischen Anstrich und konnte dadurch auf die erhitzte Phantasie einer von Magyarenhasse heißen Jugend einwirken. Dieser Kampf hat aber jetzt sein Ende erreicht und die illyrische Literatur feiert, ihr mangelt der reelle Boden der Existenz, slavische Originalität. Wie ihrem Vorbilde, der ragusanischen Lite¬ ratur des 16. und 17. Jahrhunderts, sieht man auch ihr den fremden, künstlichen Ursprung auf den ersten Anblick an. Die dem Jllyrismns anhaftende Unreife und Selbstüberschätzung hat durch Marktschreierei die literarische Kritik zu über¬ stimmen gewußt, und zumal in den Literaturblättern der übrigen Slavenstämme dnrch gegenseitiges Weihrauchstreuen alles gesunde, ästhetische Urtheil erstickt — jedes, auch das schlechteste Machwerk des Jllyrismns, mußte für gut gelten, weil es vou einem „Patrioten" herrührte und weil der Zweck die Mittel entschuldigte. Im Interesse der guten Sache der Bildung und der Literatur muß diesem Unfuge gesteuert, müssen unbescheidene Ansprüche ans ihr wahres Maß zurückgeführt und wenigstens die Möglichkeit eines ruhigen Urtheils dar¬ gethan werden. Ich werde mich glücklich schätzen, wenn ich zu diesem Zwecke auch uur Geringes beitrage. Die neuere serbische und illyrische Literatur sind noch junge, zarte Pflanzen, welche kaum die ersten Blätter im Sonnenlicht aus¬ gebreitet haben; sie bedürfen der sorglichsten Pflege, aber auch strenger Wach¬ samkeit. Die illyrische Literatur hat an ihren Nachbarn, der italienischen und deutschen, zwei Rivalen, mit denen sie sich in keiner Beziehung messen kann und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/427>, abgerufen am 27.06.2024.