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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Das stille Leben in den polnischen Wäldern.

Die Wälder Polens sind seit Jahrhunderten ein Gegenstand so großen deutschen
Granes, daß sie sogar in die alten Fibelsprüche gedrungen sind. Als ich ein
kleiner Knabe war, stand noch im Bilderbuch: "Der Polenwald gar finster ist,
der Bär darin den Jäger frißt." Nun läßt sich zwar nicht leugnen, daß die
Bestialität in den Wäldern des gestorbenen Königreichs in vielfachen Gestalten
ihr Wesen treibt, indeß war die Sache wahrscheinlich nicht so schrecklich, als man
anzunehmen liebte. Einer Schilderung aber ist das Waldleben doch werth.

Polen ist zum Theil arm an Waldungen, und in einigen Gegenden der
westlichen Hälfte, des sogenannten Großpolens, ist der Holzmangel so groß, daß
man Schilf und Stroh in die Oefen und auf den Herd trägt. Beiläufig bemerke
ich, daß gerade in diesen Gegenden sowohl Braunkohle als Stechtorf in treff¬
licher Qualität und reichen Lagern vorhanden sind, daß aber nnr wenige Menschen
die Eigenschaften dieser Stoffe kennen und der Pole dieselben fast ganz unbenutzt
läßt. Die Hütten der Landleute stehen oft unmittelbar auf den Braunkohlen¬
lagern, und doch sammeln sie den Sommer hindurch ängstlich die dürren Halme
der Sümpfe, um sich durch dürftige Flämmchen zur Winterzeit vor dem Frost zu
schützen. Auch dort gilt das polnische Sprichwort: ,,Der Bauer sucht ein Pferd,
um zu reiten, und sieht nicht, daß er darauf sitzt."

Das sogenannte Kleinpolen auf der linken Weichselseite ist an Waldungen
sehr reich, und an vielen Orten wird das Holz zu einem lächerlich niedrigen
Preise gekauft, ja in einigen Gegenden hat es noch gar keinen Preis. Diese
Waldungen aber sind kein Urwald mehr, zeigen einige Spuren von Forstenltnr,
sind lichter und ohne undurchdringliches Gestrüpp, denn sie stehen größtentheils
auf leichtem, trocknem Boden und enthalten daher viel Nadelholz mit Laubholz
vermischt, und Nadelholz hindert bekanntlich das allzu üppige Wuchern des Laub-
Holzes. Nur im krakaner Gubernium, wo die Gebirge ihre Schlünde und Klüfte
in das Land strecken, werden die Wälder düster und unheimlich.


Grenzboten. 1. 18S1. 26
Das stille Leben in den polnischen Wäldern.

Die Wälder Polens sind seit Jahrhunderten ein Gegenstand so großen deutschen
Granes, daß sie sogar in die alten Fibelsprüche gedrungen sind. Als ich ein
kleiner Knabe war, stand noch im Bilderbuch: „Der Polenwald gar finster ist,
der Bär darin den Jäger frißt." Nun läßt sich zwar nicht leugnen, daß die
Bestialität in den Wäldern des gestorbenen Königreichs in vielfachen Gestalten
ihr Wesen treibt, indeß war die Sache wahrscheinlich nicht so schrecklich, als man
anzunehmen liebte. Einer Schilderung aber ist das Waldleben doch werth.

Polen ist zum Theil arm an Waldungen, und in einigen Gegenden der
westlichen Hälfte, des sogenannten Großpolens, ist der Holzmangel so groß, daß
man Schilf und Stroh in die Oefen und auf den Herd trägt. Beiläufig bemerke
ich, daß gerade in diesen Gegenden sowohl Braunkohle als Stechtorf in treff¬
licher Qualität und reichen Lagern vorhanden sind, daß aber nnr wenige Menschen
die Eigenschaften dieser Stoffe kennen und der Pole dieselben fast ganz unbenutzt
läßt. Die Hütten der Landleute stehen oft unmittelbar auf den Braunkohlen¬
lagern, und doch sammeln sie den Sommer hindurch ängstlich die dürren Halme
der Sümpfe, um sich durch dürftige Flämmchen zur Winterzeit vor dem Frost zu
schützen. Auch dort gilt das polnische Sprichwort: ,,Der Bauer sucht ein Pferd,
um zu reiten, und sieht nicht, daß er darauf sitzt."

Das sogenannte Kleinpolen auf der linken Weichselseite ist an Waldungen
sehr reich, und an vielen Orten wird das Holz zu einem lächerlich niedrigen
Preise gekauft, ja in einigen Gegenden hat es noch gar keinen Preis. Diese
Waldungen aber sind kein Urwald mehr, zeigen einige Spuren von Forstenltnr,
sind lichter und ohne undurchdringliches Gestrüpp, denn sie stehen größtentheils
auf leichtem, trocknem Boden und enthalten daher viel Nadelholz mit Laubholz
vermischt, und Nadelholz hindert bekanntlich das allzu üppige Wuchern des Laub-
Holzes. Nur im krakaner Gubernium, wo die Gebirge ihre Schlünde und Klüfte
in das Land strecken, werden die Wälder düster und unheimlich.


Grenzboten. 1. 18S1. 26
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[0213] Das stille Leben in den polnischen Wäldern. Die Wälder Polens sind seit Jahrhunderten ein Gegenstand so großen deutschen Granes, daß sie sogar in die alten Fibelsprüche gedrungen sind. Als ich ein kleiner Knabe war, stand noch im Bilderbuch: „Der Polenwald gar finster ist, der Bär darin den Jäger frißt." Nun läßt sich zwar nicht leugnen, daß die Bestialität in den Wäldern des gestorbenen Königreichs in vielfachen Gestalten ihr Wesen treibt, indeß war die Sache wahrscheinlich nicht so schrecklich, als man anzunehmen liebte. Einer Schilderung aber ist das Waldleben doch werth. Polen ist zum Theil arm an Waldungen, und in einigen Gegenden der westlichen Hälfte, des sogenannten Großpolens, ist der Holzmangel so groß, daß man Schilf und Stroh in die Oefen und auf den Herd trägt. Beiläufig bemerke ich, daß gerade in diesen Gegenden sowohl Braunkohle als Stechtorf in treff¬ licher Qualität und reichen Lagern vorhanden sind, daß aber nnr wenige Menschen die Eigenschaften dieser Stoffe kennen und der Pole dieselben fast ganz unbenutzt läßt. Die Hütten der Landleute stehen oft unmittelbar auf den Braunkohlen¬ lagern, und doch sammeln sie den Sommer hindurch ängstlich die dürren Halme der Sümpfe, um sich durch dürftige Flämmchen zur Winterzeit vor dem Frost zu schützen. Auch dort gilt das polnische Sprichwort: ,,Der Bauer sucht ein Pferd, um zu reiten, und sieht nicht, daß er darauf sitzt." Das sogenannte Kleinpolen auf der linken Weichselseite ist an Waldungen sehr reich, und an vielen Orten wird das Holz zu einem lächerlich niedrigen Preise gekauft, ja in einigen Gegenden hat es noch gar keinen Preis. Diese Waldungen aber sind kein Urwald mehr, zeigen einige Spuren von Forstenltnr, sind lichter und ohne undurchdringliches Gestrüpp, denn sie stehen größtentheils auf leichtem, trocknem Boden und enthalten daher viel Nadelholz mit Laubholz vermischt, und Nadelholz hindert bekanntlich das allzu üppige Wuchern des Laub- Holzes. Nur im krakaner Gubernium, wo die Gebirge ihre Schlünde und Klüfte in das Land strecken, werden die Wälder düster und unheimlich. Grenzboten. 1. 18S1. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/213>, abgerufen am 27.06.2024.