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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Boden der-Capelle. Aber welch' eine herrliche Aussicht hier oben! Zu unsern
Füßen breiten sich die Häusermassen aus, von der Spree und ihren Kanälen
durchschnitten, im Centrum ein Kranz von prächtigen Gebäuden, denen nach allen
Seiten sich vereinzelte Bauwerke älterer und neuerer Zeit als hervorragende Höhe¬
punkte anreihen. Mau wird nun erst inne, daß Berlin eine große, schöne und
reich belebte Stadt geworden. Neben den Kirchen und Palästen erheben sich in
ihrem Kerne großartige und elegante Kaufhallen, eine geschäftige Menge zieht
ans allen Straßen, und wo an den Grenzen der Hänserschnüre der Verkehr auf¬
hört, rücken gewaltige Schornsteine ihr dampfendes Haupt empor, die nicht einem
beschaulichen Lebe", souderu rastloser Betriebsamkeit geweihten Minarets der In¬
dustrie. Weiter hin folgen die Kornfelder, die Dörfer und die Verguügunsorte
außerhalb der Stadt, die dunklen Partien des Thiergartens, des Grünewalds und
der Iuugfcruhaide; die Thürme von Spandau und von Köpenick begrenzen hier und
dort den Horizont. Der seltene Anblick ist mit der Schwierigkeit des Hiuabklet-
A. G. teruö uicht zu theuer bezahlt.




Babhlon und Jerusalem.

Seitdem die Gräfin Hahn uus deu Weg beschrieben, den sie von dem Babel
der eitlen Weltlust bis zu dein Jerusalem der erscheinenden Kirche zurückgelegt,
hat sie dem Drang nicht widerstehen tonnen, uns eiligst zu berichten, wie es in
ihrer neuen Wohnstätte aussteht, noch ehe sie recht Zeit gehabt, sich in derselben
genauer umzusehen. Wir haben eine Gedichtsammlung voll ihr erhalten, "Unserer
lieben Frauen" gewidmet, und einen neuen religiösen Monolog mit der Ueberschrift
"Aus Jerusalem". Was die Gedichte betrifft, so hat mau so viel unheilige und
heilige Personen angesungen, daß man es wol auch der heiligen Jungfrau gön¬
nen kaun, wenn eine fromm gewordene Dichterin ihr die Erstlinge einer neue"
Poesie darbringt, wenn auch die Formen, in denen sich dieselbe bewegt, durch
ihre bequeme, vornehme Nachlässigkeit noch allzu sehr an die alte Manier erinnern-
Ihre frühem Entzückungen waren freilich für weltlich gefilmte Schönheiten
bestimmt, für die Faustinen, und wie sie sonst alle hießen, das heißt, für ^e
reizenden, freilich etwas geschmeichelten Bilder, welche die Gräfin in einem allzu
höflichen Spiegel von sich selber erblickte. Die heilige Jungfrau wird nun zwar
gewöhnlich nicht in der Form dieser Heldinnen der Emancipation vorgestellt; sie
ist die demüthige, bescheidene Magd, die ihr Kindlein in der Krippe barg,
die erst von einfachen Hirten Glückwünsche annehmen mußte, ehe die Könige
des Morgenlandes ihr ihre Huldigungen, ihren Weihrauch und ihre Myrrhe"
darbrachten; allein wie die Kirche allmählich vornehmer wurde, nahm auch '


Boden der-Capelle. Aber welch' eine herrliche Aussicht hier oben! Zu unsern
Füßen breiten sich die Häusermassen aus, von der Spree und ihren Kanälen
durchschnitten, im Centrum ein Kranz von prächtigen Gebäuden, denen nach allen
Seiten sich vereinzelte Bauwerke älterer und neuerer Zeit als hervorragende Höhe¬
punkte anreihen. Mau wird nun erst inne, daß Berlin eine große, schöne und
reich belebte Stadt geworden. Neben den Kirchen und Palästen erheben sich in
ihrem Kerne großartige und elegante Kaufhallen, eine geschäftige Menge zieht
ans allen Straßen, und wo an den Grenzen der Hänserschnüre der Verkehr auf¬
hört, rücken gewaltige Schornsteine ihr dampfendes Haupt empor, die nicht einem
beschaulichen Lebe», souderu rastloser Betriebsamkeit geweihten Minarets der In¬
dustrie. Weiter hin folgen die Kornfelder, die Dörfer und die Verguügunsorte
außerhalb der Stadt, die dunklen Partien des Thiergartens, des Grünewalds und
der Iuugfcruhaide; die Thürme von Spandau und von Köpenick begrenzen hier und
dort den Horizont. Der seltene Anblick ist mit der Schwierigkeit des Hiuabklet-
A. G. teruö uicht zu theuer bezahlt.




Babhlon und Jerusalem.

Seitdem die Gräfin Hahn uus deu Weg beschrieben, den sie von dem Babel
der eitlen Weltlust bis zu dein Jerusalem der erscheinenden Kirche zurückgelegt,
hat sie dem Drang nicht widerstehen tonnen, uns eiligst zu berichten, wie es in
ihrer neuen Wohnstätte aussteht, noch ehe sie recht Zeit gehabt, sich in derselben
genauer umzusehen. Wir haben eine Gedichtsammlung voll ihr erhalten, „Unserer
lieben Frauen" gewidmet, und einen neuen religiösen Monolog mit der Ueberschrift
„Aus Jerusalem". Was die Gedichte betrifft, so hat mau so viel unheilige und
heilige Personen angesungen, daß man es wol auch der heiligen Jungfrau gön¬
nen kaun, wenn eine fromm gewordene Dichterin ihr die Erstlinge einer neue»
Poesie darbringt, wenn auch die Formen, in denen sich dieselbe bewegt, durch
ihre bequeme, vornehme Nachlässigkeit noch allzu sehr an die alte Manier erinnern-
Ihre frühem Entzückungen waren freilich für weltlich gefilmte Schönheiten
bestimmt, für die Faustinen, und wie sie sonst alle hießen, das heißt, für ^e
reizenden, freilich etwas geschmeichelten Bilder, welche die Gräfin in einem allzu
höflichen Spiegel von sich selber erblickte. Die heilige Jungfrau wird nun zwar
gewöhnlich nicht in der Form dieser Heldinnen der Emancipation vorgestellt; sie
ist die demüthige, bescheidene Magd, die ihr Kindlein in der Krippe barg,
die erst von einfachen Hirten Glückwünsche annehmen mußte, ehe die Könige
des Morgenlandes ihr ihre Huldigungen, ihren Weihrauch und ihre Myrrhe"
darbrachten; allein wie die Kirche allmählich vornehmer wurde, nahm auch '


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[0394] Boden der-Capelle. Aber welch' eine herrliche Aussicht hier oben! Zu unsern Füßen breiten sich die Häusermassen aus, von der Spree und ihren Kanälen durchschnitten, im Centrum ein Kranz von prächtigen Gebäuden, denen nach allen Seiten sich vereinzelte Bauwerke älterer und neuerer Zeit als hervorragende Höhe¬ punkte anreihen. Mau wird nun erst inne, daß Berlin eine große, schöne und reich belebte Stadt geworden. Neben den Kirchen und Palästen erheben sich in ihrem Kerne großartige und elegante Kaufhallen, eine geschäftige Menge zieht ans allen Straßen, und wo an den Grenzen der Hänserschnüre der Verkehr auf¬ hört, rücken gewaltige Schornsteine ihr dampfendes Haupt empor, die nicht einem beschaulichen Lebe», souderu rastloser Betriebsamkeit geweihten Minarets der In¬ dustrie. Weiter hin folgen die Kornfelder, die Dörfer und die Verguügunsorte außerhalb der Stadt, die dunklen Partien des Thiergartens, des Grünewalds und der Iuugfcruhaide; die Thürme von Spandau und von Köpenick begrenzen hier und dort den Horizont. Der seltene Anblick ist mit der Schwierigkeit des Hiuabklet- A. G. teruö uicht zu theuer bezahlt. Babhlon und Jerusalem. Seitdem die Gräfin Hahn uus deu Weg beschrieben, den sie von dem Babel der eitlen Weltlust bis zu dein Jerusalem der erscheinenden Kirche zurückgelegt, hat sie dem Drang nicht widerstehen tonnen, uns eiligst zu berichten, wie es in ihrer neuen Wohnstätte aussteht, noch ehe sie recht Zeit gehabt, sich in derselben genauer umzusehen. Wir haben eine Gedichtsammlung voll ihr erhalten, „Unserer lieben Frauen" gewidmet, und einen neuen religiösen Monolog mit der Ueberschrift „Aus Jerusalem". Was die Gedichte betrifft, so hat mau so viel unheilige und heilige Personen angesungen, daß man es wol auch der heiligen Jungfrau gön¬ nen kaun, wenn eine fromm gewordene Dichterin ihr die Erstlinge einer neue» Poesie darbringt, wenn auch die Formen, in denen sich dieselbe bewegt, durch ihre bequeme, vornehme Nachlässigkeit noch allzu sehr an die alte Manier erinnern- Ihre frühem Entzückungen waren freilich für weltlich gefilmte Schönheiten bestimmt, für die Faustinen, und wie sie sonst alle hießen, das heißt, für ^e reizenden, freilich etwas geschmeichelten Bilder, welche die Gräfin in einem allzu höflichen Spiegel von sich selber erblickte. Die heilige Jungfrau wird nun zwar gewöhnlich nicht in der Form dieser Heldinnen der Emancipation vorgestellt; sie ist die demüthige, bescheidene Magd, die ihr Kindlein in der Krippe barg, die erst von einfachen Hirten Glückwünsche annehmen mußte, ehe die Könige des Morgenlandes ihr ihre Huldigungen, ihren Weihrauch und ihre Myrrhe" darbrachten; allein wie die Kirche allmählich vornehmer wurde, nahm auch '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/394>, abgerufen am 03.07.2024.