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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Ein anderes Wort über die Friedenskongresse.

Wir sind mit dem geehrten Verfasser deö vorstehenden Aussatzes vollkommen
dann einverstanden, daß die Tendenz der Friedensfreunde eine sehr ehrenwerthe
ist. Je dringender die Ideen der Humanität allen Völkern, allen Ständen ans
Herz gelegt, und je energischer alle Vorstellungen und alle Vorurtheile, die den¬
selben widersprechen, bekämpft werden, desto wahrscheinlicher wird ein allgemeiner
Fortschritt der Menschen. Wir glauben auch, daß die FriedensveMne in ihrer
gegenwärtigen Gestalt viel Nützliches wirken können, denn sie popularisireu die
Ideen der Humanität in einem ziemlich weiten Umfang, und sie bringen dieselben,
wie es nöthig ist, von Zeit zu Zeit in Erinnerung. Allein wir müssen uus doch
einige Einwendungen erlauben.

Einmal wäre es schädlich, sich allzu sanguinischen Hoffnungen hinzugeben.
Eine viel gewaltigere Kraft, die christliche Kirche, hat zu ihrer Zeit nach dem¬
selben Zwecke hingearbeitet, und doch nicht viel erreicht, obgleich sie im Namen
einer damals noch ziemlich allgemein anerkannten Autorität auftrat, die den heu¬
tigen Aposteln des Friedens fehlt. Sobald bei unsern künstlichen Staaten, die
noch )oeil davon entfernt sind, wirkliche Volksindividualitäten darzustellen, die
Interessen sich so verwickeln und zu so beständigen Reibungen führen, daß sie
endlich zur Leidenschaft werden, so nützt weder die allgemeine Empfehlung des
Friedens etwas, da noch niemals in der Welt die Leidenschaft durch Philosophie
curirt worden ist, noch auch die Aufstellung eines Schiedsgerichts, denn ein Ge¬
richt hat nnr dann einen Sinn, wenn es zugleich die Macht besitzt, seinem
Spruch Geltung zu verschaffen. -- Freilich wäre es ein praktisches Mittel, wenn
die Bvrsenmänner sich ohne Unterschied dazu verpflichteten, zu keinem Kriege Geld
zu geben; aber die Aufgabe, bei Wucherern die Idee der Humanität über die
Idee des Gewinns zu stellen, ist eine eben so träumerische, als aus Europa eine
allgemeine Republik zu machen.

Sodann möchten wir den Freunden des Friedens rathen, den Spott, den
ihre Idee an sich wahrlich nicht verdient, nicht durch Uebertreibungen zu pro¬
vocire". Das thun sie aber in reichem Maße dnrch die parlamentarische Form
ihrer Beschlüsse, denen sie eine Art bindender gesetzlicher Kraft zuzutrauen scheine",
und durch ihr vollständiges Jgnoriren thatsächlicher Verhältnisse, welches ihnen
jede Brücke zur Wirklichkeit abschneidet. Ans einzelne Verkehrtheiten, wodurch
man sich discrcditirt, z. B. aus das große Wesen, das man von einem anerkannten
Charlatan, wie Herr v. Girardin es ist, macht, will ich hier kein Gewicht legen.

Endlich möchte ick doch den Krieg, und was damit zusammenhängt, wenig¬
stens unter gewissen Umständen in Schutz nehmen. Einseitige Friedensliebe ist
an sich eine bloße Abstraction. Wenn uns ein Eroberer überfällt, so werden


Ein anderes Wort über die Friedenskongresse.

Wir sind mit dem geehrten Verfasser deö vorstehenden Aussatzes vollkommen
dann einverstanden, daß die Tendenz der Friedensfreunde eine sehr ehrenwerthe
ist. Je dringender die Ideen der Humanität allen Völkern, allen Ständen ans
Herz gelegt, und je energischer alle Vorstellungen und alle Vorurtheile, die den¬
selben widersprechen, bekämpft werden, desto wahrscheinlicher wird ein allgemeiner
Fortschritt der Menschen. Wir glauben auch, daß die FriedensveMne in ihrer
gegenwärtigen Gestalt viel Nützliches wirken können, denn sie popularisireu die
Ideen der Humanität in einem ziemlich weiten Umfang, und sie bringen dieselben,
wie es nöthig ist, von Zeit zu Zeit in Erinnerung. Allein wir müssen uus doch
einige Einwendungen erlauben.

Einmal wäre es schädlich, sich allzu sanguinischen Hoffnungen hinzugeben.
Eine viel gewaltigere Kraft, die christliche Kirche, hat zu ihrer Zeit nach dem¬
selben Zwecke hingearbeitet, und doch nicht viel erreicht, obgleich sie im Namen
einer damals noch ziemlich allgemein anerkannten Autorität auftrat, die den heu¬
tigen Aposteln des Friedens fehlt. Sobald bei unsern künstlichen Staaten, die
noch )oeil davon entfernt sind, wirkliche Volksindividualitäten darzustellen, die
Interessen sich so verwickeln und zu so beständigen Reibungen führen, daß sie
endlich zur Leidenschaft werden, so nützt weder die allgemeine Empfehlung des
Friedens etwas, da noch niemals in der Welt die Leidenschaft durch Philosophie
curirt worden ist, noch auch die Aufstellung eines Schiedsgerichts, denn ein Ge¬
richt hat nnr dann einen Sinn, wenn es zugleich die Macht besitzt, seinem
Spruch Geltung zu verschaffen. — Freilich wäre es ein praktisches Mittel, wenn
die Bvrsenmänner sich ohne Unterschied dazu verpflichteten, zu keinem Kriege Geld
zu geben; aber die Aufgabe, bei Wucherern die Idee der Humanität über die
Idee des Gewinns zu stellen, ist eine eben so träumerische, als aus Europa eine
allgemeine Republik zu machen.

Sodann möchten wir den Freunden des Friedens rathen, den Spott, den
ihre Idee an sich wahrlich nicht verdient, nicht durch Uebertreibungen zu pro¬
vocire». Das thun sie aber in reichem Maße dnrch die parlamentarische Form
ihrer Beschlüsse, denen sie eine Art bindender gesetzlicher Kraft zuzutrauen scheine»,
und durch ihr vollständiges Jgnoriren thatsächlicher Verhältnisse, welches ihnen
jede Brücke zur Wirklichkeit abschneidet. Ans einzelne Verkehrtheiten, wodurch
man sich discrcditirt, z. B. aus das große Wesen, das man von einem anerkannten
Charlatan, wie Herr v. Girardin es ist, macht, will ich hier kein Gewicht legen.

Endlich möchte ick doch den Krieg, und was damit zusammenhängt, wenig¬
stens unter gewissen Umständen in Schutz nehmen. Einseitige Friedensliebe ist
an sich eine bloße Abstraction. Wenn uns ein Eroberer überfällt, so werden


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[0276] Ein anderes Wort über die Friedenskongresse. Wir sind mit dem geehrten Verfasser deö vorstehenden Aussatzes vollkommen dann einverstanden, daß die Tendenz der Friedensfreunde eine sehr ehrenwerthe ist. Je dringender die Ideen der Humanität allen Völkern, allen Ständen ans Herz gelegt, und je energischer alle Vorstellungen und alle Vorurtheile, die den¬ selben widersprechen, bekämpft werden, desto wahrscheinlicher wird ein allgemeiner Fortschritt der Menschen. Wir glauben auch, daß die FriedensveMne in ihrer gegenwärtigen Gestalt viel Nützliches wirken können, denn sie popularisireu die Ideen der Humanität in einem ziemlich weiten Umfang, und sie bringen dieselben, wie es nöthig ist, von Zeit zu Zeit in Erinnerung. Allein wir müssen uus doch einige Einwendungen erlauben. Einmal wäre es schädlich, sich allzu sanguinischen Hoffnungen hinzugeben. Eine viel gewaltigere Kraft, die christliche Kirche, hat zu ihrer Zeit nach dem¬ selben Zwecke hingearbeitet, und doch nicht viel erreicht, obgleich sie im Namen einer damals noch ziemlich allgemein anerkannten Autorität auftrat, die den heu¬ tigen Aposteln des Friedens fehlt. Sobald bei unsern künstlichen Staaten, die noch )oeil davon entfernt sind, wirkliche Volksindividualitäten darzustellen, die Interessen sich so verwickeln und zu so beständigen Reibungen führen, daß sie endlich zur Leidenschaft werden, so nützt weder die allgemeine Empfehlung des Friedens etwas, da noch niemals in der Welt die Leidenschaft durch Philosophie curirt worden ist, noch auch die Aufstellung eines Schiedsgerichts, denn ein Ge¬ richt hat nnr dann einen Sinn, wenn es zugleich die Macht besitzt, seinem Spruch Geltung zu verschaffen. — Freilich wäre es ein praktisches Mittel, wenn die Bvrsenmänner sich ohne Unterschied dazu verpflichteten, zu keinem Kriege Geld zu geben; aber die Aufgabe, bei Wucherern die Idee der Humanität über die Idee des Gewinns zu stellen, ist eine eben so träumerische, als aus Europa eine allgemeine Republik zu machen. Sodann möchten wir den Freunden des Friedens rathen, den Spott, den ihre Idee an sich wahrlich nicht verdient, nicht durch Uebertreibungen zu pro¬ vocire». Das thun sie aber in reichem Maße dnrch die parlamentarische Form ihrer Beschlüsse, denen sie eine Art bindender gesetzlicher Kraft zuzutrauen scheine», und durch ihr vollständiges Jgnoriren thatsächlicher Verhältnisse, welches ihnen jede Brücke zur Wirklichkeit abschneidet. Ans einzelne Verkehrtheiten, wodurch man sich discrcditirt, z. B. aus das große Wesen, das man von einem anerkannten Charlatan, wie Herr v. Girardin es ist, macht, will ich hier kein Gewicht legen. Endlich möchte ick doch den Krieg, und was damit zusammenhängt, wenig¬ stens unter gewissen Umständen in Schutz nehmen. Einseitige Friedensliebe ist an sich eine bloße Abstraction. Wenn uns ein Eroberer überfällt, so werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/276>, abgerufen am 27.06.2024.