Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

erlebt hat, in dem sich manche Anklänge an V. Hugo finden. -- Bis zum Sep¬
tember, wo Creton's Vorschlag, die Verbannung der Bourbons aufzuheben, wie¬
der daran kommt, diesmal mit etwas mehr Chance, haben wir jetzt von jener
Seite Ruhe.




Der Rechtsboden und die Constitutionellen.

Wenn wir über die höchst wichtige Frage, um welche es sich jetzt für unsre Partei
vorzugsweise in Preußen handelt, eine sachgemäße und fördernde Debatte führen
wollen, so ist es vor allen Dingen nöthig, das Declamiren zu unterlassen. Die
Gewohnheit der letzten drei Jahre, in parlamentarischen Versammlungen entweder
zu reden oder zuzuhören, hat neben vielen guten Folgen auch die üble gehabt,
daß wir niemals ruhig eine Frage untersuchen können, sondern stets nach einem
gewissen oratorischen Feuer streben, wie auf der Tribüne. So haben unter an¬
dern diejenigen Organe unsrer bisherigen Partei, welche den vollständigen Bruch
mit dem jetzt herrschenden Systeme anrathen, sich ziemlich ausführlich über das
Nechtsprincip ausgelassen, und die bekannten Worte des Freiherrn v. Vincke, die
auf dem ersten Landtage so bedeutenden Effect machten: "Meine Väter haben
auf dem Boden des Rechts geankert", mit großer Virtuosität variirt. Sie sind
zu dem Resultate gekommen, das Nechtsprincip sei, wo nicht das einzige, doch
wenigstens das höchste, welches die Handlungsweise einer Partei bestimmen müsse,
und alle Parteien seien auch jetzt darüber einig. Wir sind der entgegengesetzten
Ansicht. Wir glauben allerdings, daß das Rechtsprincip nicht nnr das höchste,
sondern anch das einzige sein muß, welches einen Gerichtshof bestimmt; wir
glauben aber nicht, daß es einen Maßstab für die Thätigkeit einer Partei ab¬
geben kann. Ich möchte wenigstens wissen, ans welche Weise unsre Partei sich
die Regeneration Dentschlands denkt, wenn sie das Rechtsprincip ohne Modi¬
fikation beibehalten will. Sie hat wenigstens zu seiner Zeit nicht wenig über die
Rechtsbedcnken gespottet, welche die Preußische Regierung der Annahme der
Kaiserwürde entgegensetzte. Das Recht ist formeller Natur, eine Partei da¬
gegen wird durch ihren materiellen Inhalt bedingt. Allerdings ist es für eine
Partei ein großer Vortheil, wenn sie einen Rechtsboden gewinnt, d. h. eine for¬
male Begründung ihrer materiellen Ansprüche; wenn sie das aber nicht kaun, so
wird sie auch ohne denselben auszukommen suchen müssen, und wenn sie ihn hat,
und in Gefahr ist, ihn zu verlieren, so wird nicht die absolute Idee des Rechts
ihr Benehmen in diesem Fall zu entscheiden haben, sondern die Erwägung, wie¬
viel der behauptete Rechtsboden werth ist, und wie weit die Kraft ausreicht, ihn
zu vertheidige". Es ist ganz derselbe Fall, wie in einer Feldschlacht. Wenn man
als absolute Nothwendigkeit aufstellen wollte, niemals eine Position, die man
einmal einnimmt, aufzugeben, so würde es nicht möglich sein, irgend einen Schlacht-


erlebt hat, in dem sich manche Anklänge an V. Hugo finden. — Bis zum Sep¬
tember, wo Creton's Vorschlag, die Verbannung der Bourbons aufzuheben, wie¬
der daran kommt, diesmal mit etwas mehr Chance, haben wir jetzt von jener
Seite Ruhe.




Der Rechtsboden und die Constitutionellen.

Wenn wir über die höchst wichtige Frage, um welche es sich jetzt für unsre Partei
vorzugsweise in Preußen handelt, eine sachgemäße und fördernde Debatte führen
wollen, so ist es vor allen Dingen nöthig, das Declamiren zu unterlassen. Die
Gewohnheit der letzten drei Jahre, in parlamentarischen Versammlungen entweder
zu reden oder zuzuhören, hat neben vielen guten Folgen auch die üble gehabt,
daß wir niemals ruhig eine Frage untersuchen können, sondern stets nach einem
gewissen oratorischen Feuer streben, wie auf der Tribüne. So haben unter an¬
dern diejenigen Organe unsrer bisherigen Partei, welche den vollständigen Bruch
mit dem jetzt herrschenden Systeme anrathen, sich ziemlich ausführlich über das
Nechtsprincip ausgelassen, und die bekannten Worte des Freiherrn v. Vincke, die
auf dem ersten Landtage so bedeutenden Effect machten: „Meine Väter haben
auf dem Boden des Rechts geankert", mit großer Virtuosität variirt. Sie sind
zu dem Resultate gekommen, das Nechtsprincip sei, wo nicht das einzige, doch
wenigstens das höchste, welches die Handlungsweise einer Partei bestimmen müsse,
und alle Parteien seien auch jetzt darüber einig. Wir sind der entgegengesetzten
Ansicht. Wir glauben allerdings, daß das Rechtsprincip nicht nnr das höchste,
sondern anch das einzige sein muß, welches einen Gerichtshof bestimmt; wir
glauben aber nicht, daß es einen Maßstab für die Thätigkeit einer Partei ab¬
geben kann. Ich möchte wenigstens wissen, ans welche Weise unsre Partei sich
die Regeneration Dentschlands denkt, wenn sie das Rechtsprincip ohne Modi¬
fikation beibehalten will. Sie hat wenigstens zu seiner Zeit nicht wenig über die
Rechtsbedcnken gespottet, welche die Preußische Regierung der Annahme der
Kaiserwürde entgegensetzte. Das Recht ist formeller Natur, eine Partei da¬
gegen wird durch ihren materiellen Inhalt bedingt. Allerdings ist es für eine
Partei ein großer Vortheil, wenn sie einen Rechtsboden gewinnt, d. h. eine for¬
male Begründung ihrer materiellen Ansprüche; wenn sie das aber nicht kaun, so
wird sie auch ohne denselben auszukommen suchen müssen, und wenn sie ihn hat,
und in Gefahr ist, ihn zu verlieren, so wird nicht die absolute Idee des Rechts
ihr Benehmen in diesem Fall zu entscheiden haben, sondern die Erwägung, wie¬
viel der behauptete Rechtsboden werth ist, und wie weit die Kraft ausreicht, ihn
zu vertheidige». Es ist ganz derselbe Fall, wie in einer Feldschlacht. Wenn man
als absolute Nothwendigkeit aufstellen wollte, niemals eine Position, die man
einmal einnimmt, aufzugeben, so würde es nicht möglich sein, irgend einen Schlacht-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280235"/>
          <p xml:id="ID_360" prev="#ID_359"> erlebt hat, in dem sich manche Anklänge an V. Hugo finden. &#x2014; Bis zum Sep¬<lb/>
tember, wo Creton's Vorschlag, die Verbannung der Bourbons aufzuheben, wie¬<lb/>
der daran kommt, diesmal mit etwas mehr Chance, haben wir jetzt von jener<lb/>
Seite Ruhe.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Rechtsboden und die Constitutionellen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_361" next="#ID_362"> Wenn wir über die höchst wichtige Frage, um welche es sich jetzt für unsre Partei<lb/>
vorzugsweise in Preußen handelt, eine sachgemäße und fördernde Debatte führen<lb/>
wollen, so ist es vor allen Dingen nöthig, das Declamiren zu unterlassen. Die<lb/>
Gewohnheit der letzten drei Jahre, in parlamentarischen Versammlungen entweder<lb/>
zu reden oder zuzuhören, hat neben vielen guten Folgen auch die üble gehabt,<lb/>
daß wir niemals ruhig eine Frage untersuchen können, sondern stets nach einem<lb/>
gewissen oratorischen Feuer streben, wie auf der Tribüne. So haben unter an¬<lb/>
dern diejenigen Organe unsrer bisherigen Partei, welche den vollständigen Bruch<lb/>
mit dem jetzt herrschenden Systeme anrathen, sich ziemlich ausführlich über das<lb/>
Nechtsprincip ausgelassen, und die bekannten Worte des Freiherrn v. Vincke, die<lb/>
auf dem ersten Landtage so bedeutenden Effect machten: &#x201E;Meine Väter haben<lb/>
auf dem Boden des Rechts geankert", mit großer Virtuosität variirt. Sie sind<lb/>
zu dem Resultate gekommen, das Nechtsprincip sei, wo nicht das einzige, doch<lb/>
wenigstens das höchste, welches die Handlungsweise einer Partei bestimmen müsse,<lb/>
und alle Parteien seien auch jetzt darüber einig. Wir sind der entgegengesetzten<lb/>
Ansicht. Wir glauben allerdings, daß das Rechtsprincip nicht nnr das höchste,<lb/>
sondern anch das einzige sein muß, welches einen Gerichtshof bestimmt; wir<lb/>
glauben aber nicht, daß es einen Maßstab für die Thätigkeit einer Partei ab¬<lb/>
geben kann. Ich möchte wenigstens wissen, ans welche Weise unsre Partei sich<lb/>
die Regeneration Dentschlands denkt, wenn sie das Rechtsprincip ohne Modi¬<lb/>
fikation beibehalten will. Sie hat wenigstens zu seiner Zeit nicht wenig über die<lb/>
Rechtsbedcnken gespottet, welche die Preußische Regierung der Annahme der<lb/>
Kaiserwürde entgegensetzte. Das Recht ist formeller Natur, eine Partei da¬<lb/>
gegen wird durch ihren materiellen Inhalt bedingt. Allerdings ist es für eine<lb/>
Partei ein großer Vortheil, wenn sie einen Rechtsboden gewinnt, d. h. eine for¬<lb/>
male Begründung ihrer materiellen Ansprüche; wenn sie das aber nicht kaun, so<lb/>
wird sie auch ohne denselben auszukommen suchen müssen, und wenn sie ihn hat,<lb/>
und in Gefahr ist, ihn zu verlieren, so wird nicht die absolute Idee des Rechts<lb/>
ihr Benehmen in diesem Fall zu entscheiden haben, sondern die Erwägung, wie¬<lb/>
viel der behauptete Rechtsboden werth ist, und wie weit die Kraft ausreicht, ihn<lb/>
zu vertheidige». Es ist ganz derselbe Fall, wie in einer Feldschlacht. Wenn man<lb/>
als absolute Nothwendigkeit aufstellen wollte, niemals eine Position, die man<lb/>
einmal einnimmt, aufzugeben, so würde es nicht möglich sein, irgend einen Schlacht-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0148] erlebt hat, in dem sich manche Anklänge an V. Hugo finden. — Bis zum Sep¬ tember, wo Creton's Vorschlag, die Verbannung der Bourbons aufzuheben, wie¬ der daran kommt, diesmal mit etwas mehr Chance, haben wir jetzt von jener Seite Ruhe. Der Rechtsboden und die Constitutionellen. Wenn wir über die höchst wichtige Frage, um welche es sich jetzt für unsre Partei vorzugsweise in Preußen handelt, eine sachgemäße und fördernde Debatte führen wollen, so ist es vor allen Dingen nöthig, das Declamiren zu unterlassen. Die Gewohnheit der letzten drei Jahre, in parlamentarischen Versammlungen entweder zu reden oder zuzuhören, hat neben vielen guten Folgen auch die üble gehabt, daß wir niemals ruhig eine Frage untersuchen können, sondern stets nach einem gewissen oratorischen Feuer streben, wie auf der Tribüne. So haben unter an¬ dern diejenigen Organe unsrer bisherigen Partei, welche den vollständigen Bruch mit dem jetzt herrschenden Systeme anrathen, sich ziemlich ausführlich über das Nechtsprincip ausgelassen, und die bekannten Worte des Freiherrn v. Vincke, die auf dem ersten Landtage so bedeutenden Effect machten: „Meine Väter haben auf dem Boden des Rechts geankert", mit großer Virtuosität variirt. Sie sind zu dem Resultate gekommen, das Nechtsprincip sei, wo nicht das einzige, doch wenigstens das höchste, welches die Handlungsweise einer Partei bestimmen müsse, und alle Parteien seien auch jetzt darüber einig. Wir sind der entgegengesetzten Ansicht. Wir glauben allerdings, daß das Rechtsprincip nicht nnr das höchste, sondern anch das einzige sein muß, welches einen Gerichtshof bestimmt; wir glauben aber nicht, daß es einen Maßstab für die Thätigkeit einer Partei ab¬ geben kann. Ich möchte wenigstens wissen, ans welche Weise unsre Partei sich die Regeneration Dentschlands denkt, wenn sie das Rechtsprincip ohne Modi¬ fikation beibehalten will. Sie hat wenigstens zu seiner Zeit nicht wenig über die Rechtsbedcnken gespottet, welche die Preußische Regierung der Annahme der Kaiserwürde entgegensetzte. Das Recht ist formeller Natur, eine Partei da¬ gegen wird durch ihren materiellen Inhalt bedingt. Allerdings ist es für eine Partei ein großer Vortheil, wenn sie einen Rechtsboden gewinnt, d. h. eine for¬ male Begründung ihrer materiellen Ansprüche; wenn sie das aber nicht kaun, so wird sie auch ohne denselben auszukommen suchen müssen, und wenn sie ihn hat, und in Gefahr ist, ihn zu verlieren, so wird nicht die absolute Idee des Rechts ihr Benehmen in diesem Fall zu entscheiden haben, sondern die Erwägung, wie¬ viel der behauptete Rechtsboden werth ist, und wie weit die Kraft ausreicht, ihn zu vertheidige». Es ist ganz derselbe Fall, wie in einer Feldschlacht. Wenn man als absolute Nothwendigkeit aufstellen wollte, niemals eine Position, die man einmal einnimmt, aufzugeben, so würde es nicht möglich sein, irgend einen Schlacht-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/148
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/148>, abgerufen am 27.06.2024.