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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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das Ministerium auftrat, dasselbe geradezu wegen seines Widerstandes gegen die
Frankfurter Reichsverfassung des Hochverraths bezüchtigte, schien anzudeuten, daß,
trotz aller äußern Mäßigung, dennoch dieser Hauptanführer der Linken zu einer
unversöhnlichen Opposition gegen das Ministerium entschlossen sei, und Herr von
Watzdorf, der in der ersten Kammer ebenso ans der Aeußersten sich befindet,
wie v. Dieskau in der zweiten, hat bereits diese Opposition von dem Gebiete der
Worte auf das der Tljaten hinübergetragen, indem er noch in der letzten Sitzung
vor den Weihnachtsferien eine förmliche Anklage der Minister theils wegen
des Belagerungszustandes, theils wegen gewisser Verordnungen über Forterhebnng
der Steuern beantragte.

(Beschluß folgt)




Die letzte Serenade.
Episode aus der ungarischen Revolutionsgeschichte.



Mit dem 1. Juli l84S begann die zweite große Patrivtenwandernng von
Pesth aus. Der Sieger von Brescia nahete. Mau wußte, was der Ungar von
ihm zu erwarten habe. Und wer' nur irgendwie kompromittier war, eilte davon,
um der Begnadigung zu Pulver und Blei, der Verurteilung zum Strange oder
zur zwanzigjährigen Schanzarbeit in schweren Eisen zu entgehen.

Der Abschied der Einzelnen von den Ihrigen war eben nicht sehr traurig.
Man wahres, es gelte nnr eine kurze Trennung. In wenigen Wochen kehren
wir wieder, wie damals im Winter von Debreczin, als Sieger zurück.

Kossuth selbst hatte das Signal zum Aufbruch gegeben. Er war der erste,
welcher -- schou am 1. Juli -- Pesth verlassen und sich nach Czeglvd begeben
hatte, bevor noch das Publikum von der drohenden Gefahr unterrichtet war.
Nach der,,für uns ungünstig ausgefallenen Schlacht bei Raab (Z0. Juni), hatte
Görgey der Regierung die dringende Weisung zugeschickt: "sie möge keinen Augen¬
blick säumen, ihren Sitz wieder in die Gegend jenseits der Theiß zu verlegen,
indem er für ihre Sicherheit in Pesth keine 24 Stunden garäntirck könne."
Kossuth war vom panischen Schrecken ergriffen alsogleich abgereist. Die Minister
und der Reichstag sollten ihm ans dem Fuße folgen. Am nächsten Tage zeigte
es sich aber, daß Görgey's Drohung doch etwas übertrieben war. Er wollte
die Regierung schnell in die Theißgogend schicken, um oben völlig freie Hand zum
Operiren und Unterhandeln zu gewinnen. Kossuth blieb in Czeglvd, wo da¬
mals mich die Perczcl-Dembinöky'sche Armee concentrirt war, kam aber mittelst


9*

das Ministerium auftrat, dasselbe geradezu wegen seines Widerstandes gegen die
Frankfurter Reichsverfassung des Hochverraths bezüchtigte, schien anzudeuten, daß,
trotz aller äußern Mäßigung, dennoch dieser Hauptanführer der Linken zu einer
unversöhnlichen Opposition gegen das Ministerium entschlossen sei, und Herr von
Watzdorf, der in der ersten Kammer ebenso ans der Aeußersten sich befindet,
wie v. Dieskau in der zweiten, hat bereits diese Opposition von dem Gebiete der
Worte auf das der Tljaten hinübergetragen, indem er noch in der letzten Sitzung
vor den Weihnachtsferien eine förmliche Anklage der Minister theils wegen
des Belagerungszustandes, theils wegen gewisser Verordnungen über Forterhebnng
der Steuern beantragte.

(Beschluß folgt)




Die letzte Serenade.
Episode aus der ungarischen Revolutionsgeschichte.



Mit dem 1. Juli l84S begann die zweite große Patrivtenwandernng von
Pesth aus. Der Sieger von Brescia nahete. Mau wußte, was der Ungar von
ihm zu erwarten habe. Und wer' nur irgendwie kompromittier war, eilte davon,
um der Begnadigung zu Pulver und Blei, der Verurteilung zum Strange oder
zur zwanzigjährigen Schanzarbeit in schweren Eisen zu entgehen.

Der Abschied der Einzelnen von den Ihrigen war eben nicht sehr traurig.
Man wahres, es gelte nnr eine kurze Trennung. In wenigen Wochen kehren
wir wieder, wie damals im Winter von Debreczin, als Sieger zurück.

Kossuth selbst hatte das Signal zum Aufbruch gegeben. Er war der erste,
welcher — schou am 1. Juli — Pesth verlassen und sich nach Czeglvd begeben
hatte, bevor noch das Publikum von der drohenden Gefahr unterrichtet war.
Nach der,,für uns ungünstig ausgefallenen Schlacht bei Raab (Z0. Juni), hatte
Görgey der Regierung die dringende Weisung zugeschickt: „sie möge keinen Augen¬
blick säumen, ihren Sitz wieder in die Gegend jenseits der Theiß zu verlegen,
indem er für ihre Sicherheit in Pesth keine 24 Stunden garäntirck könne."
Kossuth war vom panischen Schrecken ergriffen alsogleich abgereist. Die Minister
und der Reichstag sollten ihm ans dem Fuße folgen. Am nächsten Tage zeigte
es sich aber, daß Görgey's Drohung doch etwas übertrieben war. Er wollte
die Regierung schnell in die Theißgogend schicken, um oben völlig freie Hand zum
Operiren und Unterhandeln zu gewinnen. Kossuth blieb in Czeglvd, wo da¬
mals mich die Perczcl-Dembinöky'sche Armee concentrirt war, kam aber mittelst


9*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/75>, abgerufen am 24.07.2024.