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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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AusUngarn.

V;u?K piceis! -- Das Schicksal, das seit Jahrtausenden den Besiegten be¬
reitet wurde, trifft auch Ungarn, und wer nicht ein Kind ist in der Geschichte aller
Zeiten, enthält sich aller Seufzer und Wehklagen. Wer für seinen guten Glauben
in den Kampf ging, darf nicht klagen, wenn ihn der Feind dann ans den Rost
legt oder an's Kreuz heftet. Freilich gibt es einige Himmelsblicker, welche von
christlicher Gesittung sprechen; ihr Wahn, daß das Christenthum die Regierungen
menschlicher gemacht habe, findet hier thatsächliche Widerlegung. Andere citiren
die Bücherweisheit Europas und die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts;
aber grau ist alle Theorie der Politik und blutigroth ihre Durchführung. --
Wir ächzen nicht, wir weinen nicht, wir klagen nicht -- und wir verzweifeln
nicht. Wenn man Millionen Brüder hat, die dasselbe fühlen und denken,
so befindet man sich mitten im Sturmgeheul und unter zerschmetternden Blitzen
wie in einem Tempel, wo der Gott der Heerschaaren gemeinsam angebetet, auf
ihn gebaut und vertraut wird. Wie die Freimaurer in den Staaten, wo dieser
Orden verboten ist, oder wie die ersten verfolgten Christen, betrachtet ein Magyar
den andern, ein Wort, ein Handdruck, ein Blick, und man hat sich verständigt.
Inniger, brüderlicher drängt man sich aneinander, denn nur Ein Gedanke durch¬
zieht alle Seelen Ungarns!

Wie kleinlich und wie kurzsichtig erscheint bei dieser offenkundiger Stimmung
die Unterdrückung eines Zeitungsblattes, des "Figyelmezö," worin einige Hoch-
tories und vormärzliche Hofbeamte Trauerweiden um die gemordete Verfassung
pflanzten! Herr Paul v. Svmstch (syr. Schomschitsch), früher Hofrath, Führer
der conservativen Partei in der untern Kammer des Preßburger Reichstags, einer
der heftigsten Gegner Kossuth's, glaubte das Recht und die Erlaubniß zu haben,
seine Ansichten, so loyal sür den König, äußern zu dürfen. Hapnau schickte einen
Korporal, und dieser bewies dem Hofrath, daß er nicht sprechen dürfe. Solchen
Argumenten gegenüber gibt sich Jedermann gefangen. Somsich's Sieden sind aber
nur der Brei, wie er für Windelkinder zugerichtet wird, damit ihr zarter Magen
die ungewohnte Speise vertrage; das Land ist geschnürt im Belagerungszustände,
und die Standrechtsamme verweigert jede consistente Nahrung. Doppelt, dreifach,
zehnfach würde das Martialgesetz verschärft werden, hörte man die Reden der
echten Magyaren, und das ganze Reich, von den Karpathen bis zum Hasen von
Fiume besteht jetzt nnr aus Magyarischgesinnten, denn die Herren in Wien haben
die Sprachverschiedenheit vergessen gemacht.

Leider! leider muß man es sagen, daß die Deutschen als die Allerersten sich


Grenzboten, i. 13S0. 27
AusUngarn.

V;u?K piceis! — Das Schicksal, das seit Jahrtausenden den Besiegten be¬
reitet wurde, trifft auch Ungarn, und wer nicht ein Kind ist in der Geschichte aller
Zeiten, enthält sich aller Seufzer und Wehklagen. Wer für seinen guten Glauben
in den Kampf ging, darf nicht klagen, wenn ihn der Feind dann ans den Rost
legt oder an's Kreuz heftet. Freilich gibt es einige Himmelsblicker, welche von
christlicher Gesittung sprechen; ihr Wahn, daß das Christenthum die Regierungen
menschlicher gemacht habe, findet hier thatsächliche Widerlegung. Andere citiren
die Bücherweisheit Europas und die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts;
aber grau ist alle Theorie der Politik und blutigroth ihre Durchführung. —
Wir ächzen nicht, wir weinen nicht, wir klagen nicht — und wir verzweifeln
nicht. Wenn man Millionen Brüder hat, die dasselbe fühlen und denken,
so befindet man sich mitten im Sturmgeheul und unter zerschmetternden Blitzen
wie in einem Tempel, wo der Gott der Heerschaaren gemeinsam angebetet, auf
ihn gebaut und vertraut wird. Wie die Freimaurer in den Staaten, wo dieser
Orden verboten ist, oder wie die ersten verfolgten Christen, betrachtet ein Magyar
den andern, ein Wort, ein Handdruck, ein Blick, und man hat sich verständigt.
Inniger, brüderlicher drängt man sich aneinander, denn nur Ein Gedanke durch¬
zieht alle Seelen Ungarns!

Wie kleinlich und wie kurzsichtig erscheint bei dieser offenkundiger Stimmung
die Unterdrückung eines Zeitungsblattes, des „Figyelmezö," worin einige Hoch-
tories und vormärzliche Hofbeamte Trauerweiden um die gemordete Verfassung
pflanzten! Herr Paul v. Svmstch (syr. Schomschitsch), früher Hofrath, Führer
der conservativen Partei in der untern Kammer des Preßburger Reichstags, einer
der heftigsten Gegner Kossuth's, glaubte das Recht und die Erlaubniß zu haben,
seine Ansichten, so loyal sür den König, äußern zu dürfen. Hapnau schickte einen
Korporal, und dieser bewies dem Hofrath, daß er nicht sprechen dürfe. Solchen
Argumenten gegenüber gibt sich Jedermann gefangen. Somsich's Sieden sind aber
nur der Brei, wie er für Windelkinder zugerichtet wird, damit ihr zarter Magen
die ungewohnte Speise vertrage; das Land ist geschnürt im Belagerungszustände,
und die Standrechtsamme verweigert jede consistente Nahrung. Doppelt, dreifach,
zehnfach würde das Martialgesetz verschärft werden, hörte man die Reden der
echten Magyaren, und das ganze Reich, von den Karpathen bis zum Hasen von
Fiume besteht jetzt nnr aus Magyarischgesinnten, denn die Herren in Wien haben
die Sprachverschiedenheit vergessen gemacht.

Leider! leider muß man es sagen, daß die Deutschen als die Allerersten sich


Grenzboten, i. 13S0. 27
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[0217] AusUngarn. V;u?K piceis! — Das Schicksal, das seit Jahrtausenden den Besiegten be¬ reitet wurde, trifft auch Ungarn, und wer nicht ein Kind ist in der Geschichte aller Zeiten, enthält sich aller Seufzer und Wehklagen. Wer für seinen guten Glauben in den Kampf ging, darf nicht klagen, wenn ihn der Feind dann ans den Rost legt oder an's Kreuz heftet. Freilich gibt es einige Himmelsblicker, welche von christlicher Gesittung sprechen; ihr Wahn, daß das Christenthum die Regierungen menschlicher gemacht habe, findet hier thatsächliche Widerlegung. Andere citiren die Bücherweisheit Europas und die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts; aber grau ist alle Theorie der Politik und blutigroth ihre Durchführung. — Wir ächzen nicht, wir weinen nicht, wir klagen nicht — und wir verzweifeln nicht. Wenn man Millionen Brüder hat, die dasselbe fühlen und denken, so befindet man sich mitten im Sturmgeheul und unter zerschmetternden Blitzen wie in einem Tempel, wo der Gott der Heerschaaren gemeinsam angebetet, auf ihn gebaut und vertraut wird. Wie die Freimaurer in den Staaten, wo dieser Orden verboten ist, oder wie die ersten verfolgten Christen, betrachtet ein Magyar den andern, ein Wort, ein Handdruck, ein Blick, und man hat sich verständigt. Inniger, brüderlicher drängt man sich aneinander, denn nur Ein Gedanke durch¬ zieht alle Seelen Ungarns! Wie kleinlich und wie kurzsichtig erscheint bei dieser offenkundiger Stimmung die Unterdrückung eines Zeitungsblattes, des „Figyelmezö," worin einige Hoch- tories und vormärzliche Hofbeamte Trauerweiden um die gemordete Verfassung pflanzten! Herr Paul v. Svmstch (syr. Schomschitsch), früher Hofrath, Führer der conservativen Partei in der untern Kammer des Preßburger Reichstags, einer der heftigsten Gegner Kossuth's, glaubte das Recht und die Erlaubniß zu haben, seine Ansichten, so loyal sür den König, äußern zu dürfen. Hapnau schickte einen Korporal, und dieser bewies dem Hofrath, daß er nicht sprechen dürfe. Solchen Argumenten gegenüber gibt sich Jedermann gefangen. Somsich's Sieden sind aber nur der Brei, wie er für Windelkinder zugerichtet wird, damit ihr zarter Magen die ungewohnte Speise vertrage; das Land ist geschnürt im Belagerungszustände, und die Standrechtsamme verweigert jede consistente Nahrung. Doppelt, dreifach, zehnfach würde das Martialgesetz verschärft werden, hörte man die Reden der echten Magyaren, und das ganze Reich, von den Karpathen bis zum Hasen von Fiume besteht jetzt nnr aus Magyarischgesinnten, denn die Herren in Wien haben die Sprachverschiedenheit vergessen gemacht. Leider! leider muß man es sagen, daß die Deutschen als die Allerersten sich Grenzboten, i. 13S0. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/217>, abgerufen am 04.07.2024.