Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.Ein galizisches Dorf im Frühjahr 1848. Zwischen Rzeszow und ZoMew war ich im Frühjahr 1848 Gast eines pol¬ Die Angemeldeten traten herein. Der Bauer und die Bäuerin küßten dem Grenzboten. l. 1850. 23
Ein galizisches Dorf im Frühjahr 1848. Zwischen Rzeszow und ZoMew war ich im Frühjahr 1848 Gast eines pol¬ Die Angemeldeten traten herein. Der Bauer und die Bäuerin küßten dem Grenzboten. l. 1850. 23
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93008"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Ein galizisches Dorf im Frühjahr 1848.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_576"> Zwischen Rzeszow und ZoMew war ich im Frühjahr 1848 Gast eines pol¬<lb/> nischen Gutsbesitzers. — Wir saßen beim Mittagsmahl, da meldete der Kammer¬<lb/> diener einen alten Bauer und eine Bäuerin aus dem Nachbardorf, welches einem<lb/> Verwandten des Gutsherrn gehörte. ?u«0, pusc! (laß sie ein,) kommandirte mein<lb/> Wirth. Diese Herablassung war etwas Neues! Früher hatte es ein galizischer<lb/> Edelmann für unverträglich mit seiner Ehre gehalten, den Bauer ohne Zögern<lb/> vor sich zu lasse», und vollends während der Mahlzeit. Ich habe oft die armen<lb/> Schelme in der Seele bemitleidet, wenn sie drei bis vier Stunden vor dem<lb/> Palaste ihres „gnädigen Herrn" stehn und warten mußten und endlich den Be¬<lb/> scheid erhielten, sie möchten am andern Tage wiederkommen. Dabei entschuldigten<lb/> den Edelmann keineswegs Geschäfte; er ging vor den Augen der Wartenden, seine<lb/> Pfeife rauchend, im Zimmer anf und nieder und trank gemüthlich im Fenster<lb/> seinen Thee; er suchte den armen Leuten recht geflissentlich zu beweisen, daß er<lb/> der Mann sei, sie warten zu lassen. Ich merkte, diesen Uebermutl) wenigstens<lb/> hatte der Bauernkrieg beseitigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_577" next="#ID_578"> Die Angemeldeten traten herein. Der Bauer und die Bäuerin küßten dem<lb/> Edelherrn und Allen, die mit ihm an der Tafel saßen, die Knie, wo möglich mit<lb/> noch größerer Demuth als vor dem Aufstand, und begannen feierlich und mit<lb/> polnischem Anstand eine Rede: „Gnädigster Herr, unsere Kinder (der Sohn des<lb/> Bauers und die Tochter der Bäuerin) heirathen sich morgen. Da nun unser gnä¬<lb/> digster Herr, Ihr Herr Better, voriges Jahr selbst den Bauer Kujawa aufgefor¬<lb/> dert hat, ihn zum Gevatter zu nehmen, und da unser gnädigster Herr vor Kurzem<lb/> selbst und uueingeladen an der Hochzeitseier des Bauers Nichlowski Theil genom¬<lb/> men hat, so dachten wir, wir dürsten es wagen, ihn allerdemüthigst zur Hochzeit<lb/> unserer Kinder einzuladen. Das haben wir heute morgen gethan, und der gnä¬<lb/> digste Herr war so liebreich, nicht blos selbst unsere Einladung anzunehmen, son¬<lb/> dern uns auch aufzufordern, Sie, gnädigster Herr, als seinen Herr Vetter, ein¬<lb/> zuladen." — Unerhört! eine solche Einladung hatte vor dem Bauernaufstände<lb/> wohl niemals in Galizien stattgefunden. Wie hätte früher ein Bauer wagen dür-<lb/> sen, seinen Edelherrn und dessen Verwandte zu einem Fest in seiner Hütte ein¬<lb/> zuladen! Die Folge solcher Vermessenheit hätte jeder Bauer vorausgesehn, die<lb/> Peitsche des gnädigen Herrn würde ihn über die Schwelle des Palastes getrieben<lb/> haben. Diese Verwandlung der Gefühle und Sitten ist die Folge einer bessern<lb/> Politik der Edelleute gegenüber dem Bauernstand; für den Bauer und dessen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. l. 1850. 23</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0185]
Ein galizisches Dorf im Frühjahr 1848.
Zwischen Rzeszow und ZoMew war ich im Frühjahr 1848 Gast eines pol¬
nischen Gutsbesitzers. — Wir saßen beim Mittagsmahl, da meldete der Kammer¬
diener einen alten Bauer und eine Bäuerin aus dem Nachbardorf, welches einem
Verwandten des Gutsherrn gehörte. ?u«0, pusc! (laß sie ein,) kommandirte mein
Wirth. Diese Herablassung war etwas Neues! Früher hatte es ein galizischer
Edelmann für unverträglich mit seiner Ehre gehalten, den Bauer ohne Zögern
vor sich zu lasse», und vollends während der Mahlzeit. Ich habe oft die armen
Schelme in der Seele bemitleidet, wenn sie drei bis vier Stunden vor dem
Palaste ihres „gnädigen Herrn" stehn und warten mußten und endlich den Be¬
scheid erhielten, sie möchten am andern Tage wiederkommen. Dabei entschuldigten
den Edelmann keineswegs Geschäfte; er ging vor den Augen der Wartenden, seine
Pfeife rauchend, im Zimmer anf und nieder und trank gemüthlich im Fenster
seinen Thee; er suchte den armen Leuten recht geflissentlich zu beweisen, daß er
der Mann sei, sie warten zu lassen. Ich merkte, diesen Uebermutl) wenigstens
hatte der Bauernkrieg beseitigt.
Die Angemeldeten traten herein. Der Bauer und die Bäuerin küßten dem
Edelherrn und Allen, die mit ihm an der Tafel saßen, die Knie, wo möglich mit
noch größerer Demuth als vor dem Aufstand, und begannen feierlich und mit
polnischem Anstand eine Rede: „Gnädigster Herr, unsere Kinder (der Sohn des
Bauers und die Tochter der Bäuerin) heirathen sich morgen. Da nun unser gnä¬
digster Herr, Ihr Herr Better, voriges Jahr selbst den Bauer Kujawa aufgefor¬
dert hat, ihn zum Gevatter zu nehmen, und da unser gnädigster Herr vor Kurzem
selbst und uueingeladen an der Hochzeitseier des Bauers Nichlowski Theil genom¬
men hat, so dachten wir, wir dürsten es wagen, ihn allerdemüthigst zur Hochzeit
unserer Kinder einzuladen. Das haben wir heute morgen gethan, und der gnä¬
digste Herr war so liebreich, nicht blos selbst unsere Einladung anzunehmen, son¬
dern uns auch aufzufordern, Sie, gnädigster Herr, als seinen Herr Vetter, ein¬
zuladen." — Unerhört! eine solche Einladung hatte vor dem Bauernaufstände
wohl niemals in Galizien stattgefunden. Wie hätte früher ein Bauer wagen dür-
sen, seinen Edelherrn und dessen Verwandte zu einem Fest in seiner Hütte ein¬
zuladen! Die Folge solcher Vermessenheit hätte jeder Bauer vorausgesehn, die
Peitsche des gnädigen Herrn würde ihn über die Schwelle des Palastes getrieben
haben. Diese Verwandlung der Gefühle und Sitten ist die Folge einer bessern
Politik der Edelleute gegenüber dem Bauernstand; für den Bauer und dessen
Grenzboten. l. 1850. 23
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |