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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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sofortige Auflösung die unfehlbare Folge wäre. Da die Negierung die Oppositions¬
organe fast ohne Ausnahme unterdrückt hat, so entgeht ihr ein Hauptmittel, die
wahre Beschaffenheit der Volksstimmung kennen zu lernen, und sie scheint nicht zu wissen,
daß die Gährung im Innern nie größer war als jetzt. Und die jetzige Unzufriedenheit
ist gefährlicher, weil sie nicht wie 1848 künstlich durch äußere Einwirkung hervorgebracht
sondern lediglich eine Folge von Mißgriffen und Treulosigkeit in der innern Politik
ist. Freilich ist für die nächste Zukunft noch kein Ausbruch zu fürchten, aber die Gefahr
verliert nicht dadurch an Bedeutung, daß sie hinausgeschoben ist. Fast kein Einziger
der Einheimischen von Namen in Ungarn hat ein Amt aus der Hand der Negierung
angenommen; die Wenigen, die sich dazu verstanden haben, werden von ihren Landsleuten
wie Parias gemieden. Dies System des "In Verruf Thuens", das man den Lombarden
und Venetianern entlehnt hat, lähmt die Macht der Regierung fast vollständig und zwingt
sie, Ungarn nicht als integrirenden Theil des Reichs, sondern als erobertes Land zu be¬
handeln; die neue Gendarmerie findet überall Widerstand, wo sie ihre Pflichten auszu¬
üben sucht, und die angeordnete Conscription kann ohne Zwangsmaßregeln gar nicht
durchgeführt werden. Ueber den Geist der in Böhmen aufgestellten ungarischen Regi¬
menter könnte ich seltsame Dinge berichten, wenn mir die Discretion nicht Stillschweigen
auferlegte." So weit unser Gewährsmann. Zu Erläuterung seiner letzten Aeußerung
sind nur noch die östreichischen Ueberläufer zu erwähnen, die in der letzten Zeit trupp¬
weise mit vollständiger Bewaffnung über die preußische Grenze gegangen sind. Wir
wollten diesmal nur zeigen, daß nicht blos die "Feinde" Oestreichs, sondern auch seiue
wärmsten Anhänger, zu denen die Times und ihr Correspondent unleugbar gehörten, an
der Aufrichtigkeit der constitutionellen Absichten des Schwarzenbergischen Cabinets und
an der Gesundheit des östreichischen Staats zweifeln.




Literaturblatt.
Französisches Theater.

IKeatro ac la ?ort6 Le. Milin. Der Löwe und die Mücke, Drama in
5 Acten von Emile Souvestre und Eugene Bourgeois. Der Löwe ist Lord Overton,
die Mücke sein treuer Diener Max, dem der Herr zum Lohn seiner Ergebenheit seine
Maitresse entführt. Die Mücke weiß die Wahrheit des Lasontaineschen Sprichworts
zu beweisen, worin sie allerdings durch den Umstand unterstützt wird, daß Lord Overton
weder Lord ist, noch Overton heißt; vielmehr ein Lump, der sich diesen Titel nur an¬
gemaßt hat, und der daher seiner rechtmäßigen Strafe und Beschämung übergeben wer¬
den kann. --

l'jwüllv av la Kälte. 1.6 ?al Hasse, in 5 Acten von Dennery und Marc.
Fournier. Der Hanswurst -- durch das ausgezeichnete Spiel von I^eäerio I^emaitre
zur Geltung gebracht -- ist ein rührender, ein tragischer Hanswurst in der Manier
Triboulet's. Es ist ein guter Familienvater und ein liebender Gatte, aber man will
ihm seine schöne Gemahlin rauben, die zufällig einer großen Familie angehört, und es


sofortige Auflösung die unfehlbare Folge wäre. Da die Negierung die Oppositions¬
organe fast ohne Ausnahme unterdrückt hat, so entgeht ihr ein Hauptmittel, die
wahre Beschaffenheit der Volksstimmung kennen zu lernen, und sie scheint nicht zu wissen,
daß die Gährung im Innern nie größer war als jetzt. Und die jetzige Unzufriedenheit
ist gefährlicher, weil sie nicht wie 1848 künstlich durch äußere Einwirkung hervorgebracht
sondern lediglich eine Folge von Mißgriffen und Treulosigkeit in der innern Politik
ist. Freilich ist für die nächste Zukunft noch kein Ausbruch zu fürchten, aber die Gefahr
verliert nicht dadurch an Bedeutung, daß sie hinausgeschoben ist. Fast kein Einziger
der Einheimischen von Namen in Ungarn hat ein Amt aus der Hand der Negierung
angenommen; die Wenigen, die sich dazu verstanden haben, werden von ihren Landsleuten
wie Parias gemieden. Dies System des „In Verruf Thuens", das man den Lombarden
und Venetianern entlehnt hat, lähmt die Macht der Regierung fast vollständig und zwingt
sie, Ungarn nicht als integrirenden Theil des Reichs, sondern als erobertes Land zu be¬
handeln; die neue Gendarmerie findet überall Widerstand, wo sie ihre Pflichten auszu¬
üben sucht, und die angeordnete Conscription kann ohne Zwangsmaßregeln gar nicht
durchgeführt werden. Ueber den Geist der in Böhmen aufgestellten ungarischen Regi¬
menter könnte ich seltsame Dinge berichten, wenn mir die Discretion nicht Stillschweigen
auferlegte." So weit unser Gewährsmann. Zu Erläuterung seiner letzten Aeußerung
sind nur noch die östreichischen Ueberläufer zu erwähnen, die in der letzten Zeit trupp¬
weise mit vollständiger Bewaffnung über die preußische Grenze gegangen sind. Wir
wollten diesmal nur zeigen, daß nicht blos die „Feinde" Oestreichs, sondern auch seiue
wärmsten Anhänger, zu denen die Times und ihr Correspondent unleugbar gehörten, an
der Aufrichtigkeit der constitutionellen Absichten des Schwarzenbergischen Cabinets und
an der Gesundheit des östreichischen Staats zweifeln.




Literaturblatt.
Französisches Theater.

IKeatro ac la ?ort6 Le. Milin. Der Löwe und die Mücke, Drama in
5 Acten von Emile Souvestre und Eugene Bourgeois. Der Löwe ist Lord Overton,
die Mücke sein treuer Diener Max, dem der Herr zum Lohn seiner Ergebenheit seine
Maitresse entführt. Die Mücke weiß die Wahrheit des Lasontaineschen Sprichworts
zu beweisen, worin sie allerdings durch den Umstand unterstützt wird, daß Lord Overton
weder Lord ist, noch Overton heißt; vielmehr ein Lump, der sich diesen Titel nur an¬
gemaßt hat, und der daher seiner rechtmäßigen Strafe und Beschämung übergeben wer¬
den kann. —

l'jwüllv av la Kälte. 1.6 ?al Hasse, in 5 Acten von Dennery und Marc.
Fournier. Der Hanswurst — durch das ausgezeichnete Spiel von I^eäerio I^emaitre
zur Geltung gebracht — ist ein rührender, ein tragischer Hanswurst in der Manier
Triboulet's. Es ist ein guter Familienvater und ein liebender Gatte, aber man will
ihm seine schöne Gemahlin rauben, die zufällig einer großen Familie angehört, und es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/527>, abgerufen am 22.07.2024.