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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Neue Romane.

Man mag vom streng ästhetischen Standpunkt darüber unzufrieden sein, daß
der Roman überhaupt existirt; denn wenn die neuere Literatur ihm auch manches
Vortreffliche verdankt, so ist doch nicht zu leugnen, daß ihm ein großer Theil an
der Schuld ihrer Verwilderung zur Last zu legen ist. Denn je laxer die Kunst¬
form, desto üppiger, willkürlicher, desto gestaltloser ergeht sich die Phantasie.

Aber zu umgeben ist er nicht. Wollte die Literaturgeschichte den Roman
unberücksichtigt lassen, so würde ihr ein wesentliches Moment unserer Cultur
entgehen.

Auch in unseren Tagen, nachdem die erste Gluth des politischen Eifers
abgekühlt ist, wendet sich unsere Jugend mit der Dämmerung ihres Ahnens und
Sehnens wieder zu der alten gewohnten Weise, und wir haben in ihren Erfin-
dungen den Selbstbekenntnissen schöner Seelen zu lauschen, die endlich zu der
Einsicht gekommen sind, daß es nicht gerade die Kraft eines Napoleon war, die
in ihnen schlummerte.

Vorläufig wenden wir uns zu unseren Nachbarn, den Briten, die keine
Revolution durchgemacht haben, in deren Dichtung sich also auch weniger Katzen¬
jammer ausspricht. Zuerst haben wir eine Reihe historischer Romane anzuführen.

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ol KreeK I^ilosopli^. 2 Bde. 1846.

'elle fa>vn ok 8ertorius (das Hirschkalb des S.) 2 Bde. 1846. Und:
Nie lountain ot ^retnusa (die Quelle der A.) 2 Bde. 1848, von
Robert Eyres Landor.

^.in^more: s Komanoe ol tus va^s ok?erio1es. tuo ^ultor ot ^.ZietK
tke U^pUan. (Miß Lynu). 3 Bde. 18^8.

^ntoiUng, or tlo fall ok Komo. ^ ^omanoo ok ddo 6 Lent. WilKis
collins. 3 Bde. 1850.

Die Frage nach der Berechtigung des historischen Romans überhaupt ist
uicht leicht von vornherein zu lösen. Allerdings scheint es nach dem glänzenden
Erfolg von Walter Scott überflüssig, die Möglichkeit einer Kunstform zu unter¬
suche", deren Wirklichkeit bereits erwiesen ist. Aber das Beispiel eines großen


Grenzboten. IV. 1850. 111
Neue Romane.

Man mag vom streng ästhetischen Standpunkt darüber unzufrieden sein, daß
der Roman überhaupt existirt; denn wenn die neuere Literatur ihm auch manches
Vortreffliche verdankt, so ist doch nicht zu leugnen, daß ihm ein großer Theil an
der Schuld ihrer Verwilderung zur Last zu legen ist. Denn je laxer die Kunst¬
form, desto üppiger, willkürlicher, desto gestaltloser ergeht sich die Phantasie.

Aber zu umgeben ist er nicht. Wollte die Literaturgeschichte den Roman
unberücksichtigt lassen, so würde ihr ein wesentliches Moment unserer Cultur
entgehen.

Auch in unseren Tagen, nachdem die erste Gluth des politischen Eifers
abgekühlt ist, wendet sich unsere Jugend mit der Dämmerung ihres Ahnens und
Sehnens wieder zu der alten gewohnten Weise, und wir haben in ihren Erfin-
dungen den Selbstbekenntnissen schöner Seelen zu lauschen, die endlich zu der
Einsicht gekommen sind, daß es nicht gerade die Kraft eines Napoleon war, die
in ihnen schlummerte.

Vorläufig wenden wir uns zu unseren Nachbarn, den Briten, die keine
Revolution durchgemacht haben, in deren Dichtung sich also auch weniger Katzen¬
jammer ausspricht. Zuerst haben wir eine Reihe historischer Romane anzuführen.

?erio1es: a wlo ok ^tliens in tlo 83 01. Lz' tuo autlwr os a Li-jet LKowK
ol KreeK I^ilosopli^. 2 Bde. 1846.

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Nie lountain ot ^retnusa (die Quelle der A.) 2 Bde. 1848, von
Robert Eyres Landor.

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collins. 3 Bde. 1850.

Die Frage nach der Berechtigung des historischen Romans überhaupt ist
uicht leicht von vornherein zu lösen. Allerdings scheint es nach dem glänzenden
Erfolg von Walter Scott überflüssig, die Möglichkeit einer Kunstform zu unter¬
suche«, deren Wirklichkeit bereits erwiesen ist. Aber das Beispiel eines großen


Grenzboten. IV. 1850. 111
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[0369] Neue Romane. Man mag vom streng ästhetischen Standpunkt darüber unzufrieden sein, daß der Roman überhaupt existirt; denn wenn die neuere Literatur ihm auch manches Vortreffliche verdankt, so ist doch nicht zu leugnen, daß ihm ein großer Theil an der Schuld ihrer Verwilderung zur Last zu legen ist. Denn je laxer die Kunst¬ form, desto üppiger, willkürlicher, desto gestaltloser ergeht sich die Phantasie. Aber zu umgeben ist er nicht. Wollte die Literaturgeschichte den Roman unberücksichtigt lassen, so würde ihr ein wesentliches Moment unserer Cultur entgehen. Auch in unseren Tagen, nachdem die erste Gluth des politischen Eifers abgekühlt ist, wendet sich unsere Jugend mit der Dämmerung ihres Ahnens und Sehnens wieder zu der alten gewohnten Weise, und wir haben in ihren Erfin- dungen den Selbstbekenntnissen schöner Seelen zu lauschen, die endlich zu der Einsicht gekommen sind, daß es nicht gerade die Kraft eines Napoleon war, die in ihnen schlummerte. Vorläufig wenden wir uns zu unseren Nachbarn, den Briten, die keine Revolution durchgemacht haben, in deren Dichtung sich also auch weniger Katzen¬ jammer ausspricht. Zuerst haben wir eine Reihe historischer Romane anzuführen. ?erio1es: a wlo ok ^tliens in tlo 83 01. Lz' tuo autlwr os a Li-jet LKowK ol KreeK I^ilosopli^. 2 Bde. 1846. 'elle fa>vn ok 8ertorius (das Hirschkalb des S.) 2 Bde. 1846. Und: Nie lountain ot ^retnusa (die Quelle der A.) 2 Bde. 1848, von Robert Eyres Landor. ^.in^more: s Komanoe ol tus va^s ok?erio1es. tuo ^ultor ot ^.ZietK tke U^pUan. (Miß Lynu). 3 Bde. 18^8. ^ntoiUng, or tlo fall ok Komo. ^ ^omanoo ok ddo 6 Lent. WilKis collins. 3 Bde. 1850. Die Frage nach der Berechtigung des historischen Romans überhaupt ist uicht leicht von vornherein zu lösen. Allerdings scheint es nach dem glänzenden Erfolg von Walter Scott überflüssig, die Möglichkeit einer Kunstform zu unter¬ suche«, deren Wirklichkeit bereits erwiesen ist. Aber das Beispiel eines großen Grenzboten. IV. 1850. 111

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/369>, abgerufen am 22.07.2024.