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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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erscheinen auch Russen von Urtheil und Vaterlandsliebe als eine Gefahr, welche
im Augenblick unbedeutend ist, bei irgend einer Krisis verderbliche Macht gegen
das jetzige Rußland gewinnen wird.




Ländliche Tagearbeit in Galizien.

Es ist belehrend für unsere Gutsbesitzer jetzt vor der Erndte zu erfahren,
auf welche Art im Zloczower und Brzczaner Kreise voriges Jahr die Erndte ein¬
gebracht worden ist. Wenn das Erzählte sie uicht zur Nachahmung reizt, so wird
es sie vielleicht dankbar gegen die Vorsehung machen, welche ihnen ihren Grund¬
besitz anderswo als in Galizien angewiesen hat.

Wenden Sie die Augen von jenem schönen, am Brodyer Wege gelegenen
Vorwerk nach der Straße. Eine dichte Staubwolke wälzt sich schwerfällig auf
der Heerstraße voran. Sie kommt näher; schon hört man das Geräusch eiues
rollenden Wagens, schon erblickt man ein stattliches Viergespann, dessen Huf im
Galopp dem steinigen Boden Funken entlockt. Ist das ein russischer Feldjäger,
der mit wichtigen Depeschen nach Brody eilt? Es ist kein Feldjäger und kein
Russe; der Wind zertheilt den aufgewirbelten Staub, es ist ein krakauer Fuhr¬
werk, die Pferde im nationalen Kümmel, der Fuhrmann in seiner Snkmanka nud
viereckigen Mütze, auf welcher sich eine Pfauenfeder wiegt. Lustig klingt der
Kuall der Peitsche in die weite Welt hinein, man sieht, der Führer ist guter
Dinge und stolz auf seine Ladung. Er biegt von der Chaussee ein, und jagt
wie wahnsinnig über Beete, Raine, Furchen und Maulwurfshügel ius offne Feld
hinein -- endlich geht es langsamer; der Krakowiak erhebt sich ans seinem Sattel-
pferde, knallt zweimal mit der endlosen Peitsche und fährt vor, nicht vor das
gastliche Thor eines Edelhvfes, nein, vor eine Hufe, auf der sich der schwere
Weizen in goldnen Nehren wiegt. Der Fuhrmann springt behende vom Pferde,
tritt an den Wagen, und reicht de" darauf sitzenden Damen die Hand, um ihnen
zum Boden zu helfen. Die Frauen, welchen der Krakowiak mit so viel Courtoisie
den Arm bietet, ans den sie sich so herablassend stützen, um die Mutter Erde zu
erreichen, siud -- "Bürgerinnen" aus dem nächsten Dorfe, welche der Gutsherr
hat bitten lassen, ihm den Weizen mit schneiden zu helfen, und welche dies Vier¬
gespann an den Ort ihrer Thätigkeit gebracht hat.

Gleich hinter dem ersten Wagen zeigt sich ein zweiter, Auch er ist mit vier
wackeren Thieren im Krakauer Kümmel bespannt, doch macht dieser Fuhrmann
nicht solch fröhliches Gesicht und knallt uicht so lustig mit der Peitsche, wie sein


erscheinen auch Russen von Urtheil und Vaterlandsliebe als eine Gefahr, welche
im Augenblick unbedeutend ist, bei irgend einer Krisis verderbliche Macht gegen
das jetzige Rußland gewinnen wird.




Ländliche Tagearbeit in Galizien.

Es ist belehrend für unsere Gutsbesitzer jetzt vor der Erndte zu erfahren,
auf welche Art im Zloczower und Brzczaner Kreise voriges Jahr die Erndte ein¬
gebracht worden ist. Wenn das Erzählte sie uicht zur Nachahmung reizt, so wird
es sie vielleicht dankbar gegen die Vorsehung machen, welche ihnen ihren Grund¬
besitz anderswo als in Galizien angewiesen hat.

Wenden Sie die Augen von jenem schönen, am Brodyer Wege gelegenen
Vorwerk nach der Straße. Eine dichte Staubwolke wälzt sich schwerfällig auf
der Heerstraße voran. Sie kommt näher; schon hört man das Geräusch eiues
rollenden Wagens, schon erblickt man ein stattliches Viergespann, dessen Huf im
Galopp dem steinigen Boden Funken entlockt. Ist das ein russischer Feldjäger,
der mit wichtigen Depeschen nach Brody eilt? Es ist kein Feldjäger und kein
Russe; der Wind zertheilt den aufgewirbelten Staub, es ist ein krakauer Fuhr¬
werk, die Pferde im nationalen Kümmel, der Fuhrmann in seiner Snkmanka nud
viereckigen Mütze, auf welcher sich eine Pfauenfeder wiegt. Lustig klingt der
Kuall der Peitsche in die weite Welt hinein, man sieht, der Führer ist guter
Dinge und stolz auf seine Ladung. Er biegt von der Chaussee ein, und jagt
wie wahnsinnig über Beete, Raine, Furchen und Maulwurfshügel ius offne Feld
hinein — endlich geht es langsamer; der Krakowiak erhebt sich ans seinem Sattel-
pferde, knallt zweimal mit der endlosen Peitsche und fährt vor, nicht vor das
gastliche Thor eines Edelhvfes, nein, vor eine Hufe, auf der sich der schwere
Weizen in goldnen Nehren wiegt. Der Fuhrmann springt behende vom Pferde,
tritt an den Wagen, und reicht de» darauf sitzenden Damen die Hand, um ihnen
zum Boden zu helfen. Die Frauen, welchen der Krakowiak mit so viel Courtoisie
den Arm bietet, ans den sie sich so herablassend stützen, um die Mutter Erde zu
erreichen, siud — „Bürgerinnen" aus dem nächsten Dorfe, welche der Gutsherr
hat bitten lassen, ihm den Weizen mit schneiden zu helfen, und welche dies Vier¬
gespann an den Ort ihrer Thätigkeit gebracht hat.

Gleich hinter dem ersten Wagen zeigt sich ein zweiter, Auch er ist mit vier
wackeren Thieren im Krakauer Kümmel bespannt, doch macht dieser Fuhrmann
nicht solch fröhliches Gesicht und knallt uicht so lustig mit der Peitsche, wie sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/74>, abgerufen am 27.07.2024.