Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Cäcilie von Albans.
Trauerspiel von Mosenthal.

Das Stück ist durchgefallen, obgleich es in seiner Art nicht schlechter ist>
als die frühere Tragödie unsers Dichters, Deborah, welcher der Leichtsinn unse¬
rer Kritik einen so maßlosen Erfolg bereitete. Der Grund dieser verschiedenen
Aufnahme liegt lediglich in der Verschiedenheit des Stoffes.

Deborah war ein poetischer Beitrag für das Thema der Judenemancipation.
Bei einer populären Sache kommt es uicht darauf an, daß man etwas Neues
oder etwas Wahres erfährt, wenn nur die currente Empfindungsweise, die soge¬
nannte öffentliche Meinung, einen lebhaften und beredten Ausdruck findet. Gutz¬
kows Uriel Acosta vertheidigte mit Wärme und moralischer Entrüstung die Sache
der lichtsrenndlichen Resormjuden, und in der Befriedigung über diese Gerechtig¬
keit, die dem Zeitgeist zu Theil wurde, übersah man, daß die Träger der beiden
feindlichen Principien sehr schwächlich, charakterlos und phrasenhaft behandelt
waren; im Gegeutheil war die Schwächlichkeit, Charakterlosigkeit und Phraseu-
haftigkeit des herrschenden Geistes vollkommen damit zufrieden, sich selbst im
Spiegel anzuschauen; sie fand ihre eigenen Züge, wo nicht von regelmäßiger
Schönheit, doch zum mindesten interessant. Daß die religiöse Intoleranz für
liebenswürdige Gemüther etwas Unbequemes hat, war nicht neu, aber man ließ
es sich gern wiederholen. "Es ist eine alte Geschichte, um mit Heine zu reden,
doch bleibt sie ewig neu" u. s. w., oder nach dem Ausdruck der Tragödie selbst:
"Alles schon dagewesen."

Mosenthäls Deborah hatte denselben Erfolg, und aus demselben Grunde.
Religiöse Intoleranz kränkt liebenswürdige Gemüther, bringt Zwist in die Fami¬
lien, bricht die Bande der Natur u. s. w. Alles schon dagewesen. Aber mit


Grenzboten. III. 1850. 16
Cäcilie von Albans.
Trauerspiel von Mosenthal.

Das Stück ist durchgefallen, obgleich es in seiner Art nicht schlechter ist>
als die frühere Tragödie unsers Dichters, Deborah, welcher der Leichtsinn unse¬
rer Kritik einen so maßlosen Erfolg bereitete. Der Grund dieser verschiedenen
Aufnahme liegt lediglich in der Verschiedenheit des Stoffes.

Deborah war ein poetischer Beitrag für das Thema der Judenemancipation.
Bei einer populären Sache kommt es uicht darauf an, daß man etwas Neues
oder etwas Wahres erfährt, wenn nur die currente Empfindungsweise, die soge¬
nannte öffentliche Meinung, einen lebhaften und beredten Ausdruck findet. Gutz¬
kows Uriel Acosta vertheidigte mit Wärme und moralischer Entrüstung die Sache
der lichtsrenndlichen Resormjuden, und in der Befriedigung über diese Gerechtig¬
keit, die dem Zeitgeist zu Theil wurde, übersah man, daß die Träger der beiden
feindlichen Principien sehr schwächlich, charakterlos und phrasenhaft behandelt
waren; im Gegeutheil war die Schwächlichkeit, Charakterlosigkeit und Phraseu-
haftigkeit des herrschenden Geistes vollkommen damit zufrieden, sich selbst im
Spiegel anzuschauen; sie fand ihre eigenen Züge, wo nicht von regelmäßiger
Schönheit, doch zum mindesten interessant. Daß die religiöse Intoleranz für
liebenswürdige Gemüther etwas Unbequemes hat, war nicht neu, aber man ließ
es sich gern wiederholen. „Es ist eine alte Geschichte, um mit Heine zu reden,
doch bleibt sie ewig neu" u. s. w., oder nach dem Ausdruck der Tragödie selbst:
„Alles schon dagewesen."

Mosenthäls Deborah hatte denselben Erfolg, und aus demselben Grunde.
Religiöse Intoleranz kränkt liebenswürdige Gemüther, bringt Zwist in die Fami¬
lien, bricht die Bande der Natur u. s. w. Alles schon dagewesen. Aber mit


Grenzboten. III. 1850. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85712"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Cäcilie von Albans.<lb/>
Trauerspiel von Mosenthal.<lb/></head><lb/>
          <p xml:id="ID_456"> Das Stück ist durchgefallen, obgleich es in seiner Art nicht schlechter ist&gt;<lb/>
als die frühere Tragödie unsers Dichters, Deborah, welcher der Leichtsinn unse¬<lb/>
rer Kritik einen so maßlosen Erfolg bereitete. Der Grund dieser verschiedenen<lb/>
Aufnahme liegt lediglich in der Verschiedenheit des Stoffes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_457"> Deborah war ein poetischer Beitrag für das Thema der Judenemancipation.<lb/>
Bei einer populären Sache kommt es uicht darauf an, daß man etwas Neues<lb/>
oder etwas Wahres erfährt, wenn nur die currente Empfindungsweise, die soge¬<lb/>
nannte öffentliche Meinung, einen lebhaften und beredten Ausdruck findet. Gutz¬<lb/>
kows Uriel Acosta vertheidigte mit Wärme und moralischer Entrüstung die Sache<lb/>
der lichtsrenndlichen Resormjuden, und in der Befriedigung über diese Gerechtig¬<lb/>
keit, die dem Zeitgeist zu Theil wurde, übersah man, daß die Träger der beiden<lb/>
feindlichen Principien sehr schwächlich, charakterlos und phrasenhaft behandelt<lb/>
waren; im Gegeutheil war die Schwächlichkeit, Charakterlosigkeit und Phraseu-<lb/>
haftigkeit des herrschenden Geistes vollkommen damit zufrieden, sich selbst im<lb/>
Spiegel anzuschauen; sie fand ihre eigenen Züge, wo nicht von regelmäßiger<lb/>
Schönheit, doch zum mindesten interessant. Daß die religiöse Intoleranz für<lb/>
liebenswürdige Gemüther etwas Unbequemes hat, war nicht neu, aber man ließ<lb/>
es sich gern wiederholen. &#x201E;Es ist eine alte Geschichte, um mit Heine zu reden,<lb/>
doch bleibt sie ewig neu" u. s. w., oder nach dem Ausdruck der Tragödie selbst:<lb/>
&#x201E;Alles schon dagewesen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_458" next="#ID_459"> Mosenthäls Deborah hatte denselben Erfolg, und aus demselben Grunde.<lb/>
Religiöse Intoleranz kränkt liebenswürdige Gemüther, bringt Zwist in die Fami¬<lb/>
lien, bricht die Bande der Natur u. s. w. Alles schon dagewesen.  Aber mit</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 1850. 16</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] Cäcilie von Albans. Trauerspiel von Mosenthal. Das Stück ist durchgefallen, obgleich es in seiner Art nicht schlechter ist> als die frühere Tragödie unsers Dichters, Deborah, welcher der Leichtsinn unse¬ rer Kritik einen so maßlosen Erfolg bereitete. Der Grund dieser verschiedenen Aufnahme liegt lediglich in der Verschiedenheit des Stoffes. Deborah war ein poetischer Beitrag für das Thema der Judenemancipation. Bei einer populären Sache kommt es uicht darauf an, daß man etwas Neues oder etwas Wahres erfährt, wenn nur die currente Empfindungsweise, die soge¬ nannte öffentliche Meinung, einen lebhaften und beredten Ausdruck findet. Gutz¬ kows Uriel Acosta vertheidigte mit Wärme und moralischer Entrüstung die Sache der lichtsrenndlichen Resormjuden, und in der Befriedigung über diese Gerechtig¬ keit, die dem Zeitgeist zu Theil wurde, übersah man, daß die Träger der beiden feindlichen Principien sehr schwächlich, charakterlos und phrasenhaft behandelt waren; im Gegeutheil war die Schwächlichkeit, Charakterlosigkeit und Phraseu- haftigkeit des herrschenden Geistes vollkommen damit zufrieden, sich selbst im Spiegel anzuschauen; sie fand ihre eigenen Züge, wo nicht von regelmäßiger Schönheit, doch zum mindesten interessant. Daß die religiöse Intoleranz für liebenswürdige Gemüther etwas Unbequemes hat, war nicht neu, aber man ließ es sich gern wiederholen. „Es ist eine alte Geschichte, um mit Heine zu reden, doch bleibt sie ewig neu" u. s. w., oder nach dem Ausdruck der Tragödie selbst: „Alles schon dagewesen." Mosenthäls Deborah hatte denselben Erfolg, und aus demselben Grunde. Religiöse Intoleranz kränkt liebenswürdige Gemüther, bringt Zwist in die Fami¬ lien, bricht die Bande der Natur u. s. w. Alles schon dagewesen. Aber mit Grenzboten. III. 1850. 16

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/129>, abgerufen am 27.07.2024.