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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Studien zur Geschichte der französischen Romantik.

Eugen Sue.^)

Es ist für die Kritik ein beschwerliches, aber unvermeidliches Geschäft, sich
mit dem absolut Schlechten in der Literatur zu beschäftigen, sobald dasselbe im
Volk einen wirklichen Boden gefunden hat. Seit den Mysterien erfreut sich
(5ugen Sue einer europäischen Popularität, in der kaum Dickens mit ihm wett¬
eifern kann. Eine Erscheinung, die um so befremdender ist, da die vollkommene
Werthlosigkeit seiner Werke in ästhetischer, und ihre Verwerflichkeit in sittlicher
Beziehung für einen Jeden, der über die Zofcnbildnng hinaus ist, eine unabweis¬
bare Thatsache genannt werden muß. Allein bei diesem Befremden und dem davon
unzertrennlichen Unwillen darf die Kritik nicht stehen bleiben; sie muß das Uebel
begreifen, wenn sie ihm ernstlich entgegentreten will.

> Es ist in diesen Blättern schon mehrfach darauf hingewiesen, wie die Form,
in welcher die Belletristik namentlich in Frankreich auftritt, zu einer vollständigen
Verwilderung der Kunst führen muß. Die französische Presse macht deu umge¬
kehrten Weg der Deutschen. Wir haben uns in unsern Zeitungen, Wochenblät¬
tern n. s. w. erst allmälig des abstracten LiteratenchumS entwöhnen und uns mit
ernsthaften Interessen beschäftigen lernen; das Publieum der Journale genügte sich
in Theaterrecensionen, Novellen und Geschichten deö Auslandes, ehe es ans den
Gedanken kam, daß es im Reich der Wirklichkeit Dinge gebe, die dem Nachdenken
wie dein Gemüth einen würdigeren Stoff geben könnten, als die flüchtigen Spiele der
Einbildungskraft und die gehaltlose Sentimentalität privater Beziehungen. Als bei
uns die Idee des Vaterlandes nud der Politik die einseitige Beschäftigung mit Herzens-



*) Auf das Werk, welches zuerst seinen europäischen Ruf begründete - I°s mz-se<->os -I>-
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Heft os, berichtet haben, und jetzt: los mxslüi'es du nennt". Vorher gingen, außer einer
Geschichte der französischen Marine, die Romane: PIi<-K et ploek; ^wi- Kult; 1." öl^x- <>°
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Unkel l^entiere; velextar; ^Iiöi^v vunoxei'; la 8-,1-rmaniIie; I" eouL"i'"teI>a; ^le ooimuuixleul' ne U-ille; lo maiquis <I>- l^el^oriero "u l aut >lo l'l-ni'e. ES ist möglich,
ich einen oder den andern übersehen habe.
Grenzbotc" II. 1830.
Studien zur Geschichte der französischen Romantik.

Eugen Sue.^)

Es ist für die Kritik ein beschwerliches, aber unvermeidliches Geschäft, sich
mit dem absolut Schlechten in der Literatur zu beschäftigen, sobald dasselbe im
Volk einen wirklichen Boden gefunden hat. Seit den Mysterien erfreut sich
(5ugen Sue einer europäischen Popularität, in der kaum Dickens mit ihm wett¬
eifern kann. Eine Erscheinung, die um so befremdender ist, da die vollkommene
Werthlosigkeit seiner Werke in ästhetischer, und ihre Verwerflichkeit in sittlicher
Beziehung für einen Jeden, der über die Zofcnbildnng hinaus ist, eine unabweis¬
bare Thatsache genannt werden muß. Allein bei diesem Befremden und dem davon
unzertrennlichen Unwillen darf die Kritik nicht stehen bleiben; sie muß das Uebel
begreifen, wenn sie ihm ernstlich entgegentreten will.

> Es ist in diesen Blättern schon mehrfach darauf hingewiesen, wie die Form,
in welcher die Belletristik namentlich in Frankreich auftritt, zu einer vollständigen
Verwilderung der Kunst führen muß. Die französische Presse macht deu umge¬
kehrten Weg der Deutschen. Wir haben uns in unsern Zeitungen, Wochenblät¬
tern n. s. w. erst allmälig des abstracten LiteratenchumS entwöhnen und uns mit
ernsthaften Interessen beschäftigen lernen; das Publieum der Journale genügte sich
in Theaterrecensionen, Novellen und Geschichten deö Auslandes, ehe es ans den
Gedanken kam, daß es im Reich der Wirklichkeit Dinge gebe, die dem Nachdenken
wie dein Gemüth einen würdigeren Stoff geben könnten, als die flüchtigen Spiele der
Einbildungskraft und die gehaltlose Sentimentalität privater Beziehungen. Als bei
uns die Idee des Vaterlandes nud der Politik die einseitige Beschäftigung mit Herzens-



*) Auf das Werk, welches zuerst seinen europäischen Ruf begründete - I°s mz-se<->os -I>-
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ich einen oder den andern übersehen habe.
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[0089] Studien zur Geschichte der französischen Romantik. Eugen Sue.^) Es ist für die Kritik ein beschwerliches, aber unvermeidliches Geschäft, sich mit dem absolut Schlechten in der Literatur zu beschäftigen, sobald dasselbe im Volk einen wirklichen Boden gefunden hat. Seit den Mysterien erfreut sich (5ugen Sue einer europäischen Popularität, in der kaum Dickens mit ihm wett¬ eifern kann. Eine Erscheinung, die um so befremdender ist, da die vollkommene Werthlosigkeit seiner Werke in ästhetischer, und ihre Verwerflichkeit in sittlicher Beziehung für einen Jeden, der über die Zofcnbildnng hinaus ist, eine unabweis¬ bare Thatsache genannt werden muß. Allein bei diesem Befremden und dem davon unzertrennlichen Unwillen darf die Kritik nicht stehen bleiben; sie muß das Uebel begreifen, wenn sie ihm ernstlich entgegentreten will. > Es ist in diesen Blättern schon mehrfach darauf hingewiesen, wie die Form, in welcher die Belletristik namentlich in Frankreich auftritt, zu einer vollständigen Verwilderung der Kunst führen muß. Die französische Presse macht deu umge¬ kehrten Weg der Deutschen. Wir haben uns in unsern Zeitungen, Wochenblät¬ tern n. s. w. erst allmälig des abstracten LiteratenchumS entwöhnen und uns mit ernsthaften Interessen beschäftigen lernen; das Publieum der Journale genügte sich in Theaterrecensionen, Novellen und Geschichten deö Auslandes, ehe es ans den Gedanken kam, daß es im Reich der Wirklichkeit Dinge gebe, die dem Nachdenken wie dein Gemüth einen würdigeren Stoff geben könnten, als die flüchtigen Spiele der Einbildungskraft und die gehaltlose Sentimentalität privater Beziehungen. Als bei uns die Idee des Vaterlandes nud der Politik die einseitige Beschäftigung mit Herzens- *) Auf das Werk, welches zuerst seinen europäischen Ruf begründete - I°s mz-se<->os -I>- ?-»>i5 (zuerst i», Feuilleton des .loui'mal <1es Voll-N»), folgten in derselben Tendenz: 1.° -l"^ onanr; Rai'tin I'öl.l'lind U'ouvv; les svpl pvul'of c-lpitsux, worüber wir im Vorigen Jahrgang, Heft os, berichtet haben, und jetzt: los mxslüi'es du nennt«. Vorher gingen, außer einer Geschichte der französischen Marine, die Romane: PIi<-K et ploek; ^wi- Kult; 1.» öl^x- <>° lin-it-Vo»; Malliildv ; ^,'et.ni'; I'^ventui-lei-on I-> liailie bleue ; ^team Lavaliei-; les «leux e-xlavies ; Unkel l^entiere; velextar; ^Iiöi^v vunoxei'; la 8-,1-rmaniIie; I» eouL»i'»teI>a; ^le ooimuuixleul' ne U-ille; lo maiquis <I>- l^el^oriero »u l aut >lo l'l-ni'e. ES ist möglich, ich einen oder den andern übersehen habe. Grenzbotc» II. 1830.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/89>, abgerufen am 22.07.2024.