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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Die preußischen Hochtovies.



Das Ereigmß der Woche ist das "cuc preußische Preßgesetz. Diese Jnr-
provisatioil des preußischen Miuisteriuuis ist schlimmer, als die des sächsischen,
denn sie ist praktischer, ausführbarer, und kann ein übles Beispiel werden. Gegen
die Verfassungsmäßigfeit der Maßregel ist nichts Erhebliches einzuwenden, oder
vielmehr, man kann nicht wissen, ob etwas dagegen einzuwenden sein wird,
denn die preußische Verfassung erfreut sich so vieler widersprechender Bcstinuuuu-
gen, daß die herrschende Partei sehr ungeschickt sei" müßte, wenn sie nicht die
eine oder die andere fiir sich anführen könnte. Wir enthalten uns also einer
Opposition, die im Augenblick zu nichts führen konnte, und nehmen das neue
Geschenk der Regierung vorläufig als ein Uebel hin, dem wir nicht entgehen
können. Seitdem die Reaction über das Attentat und dessen moralischen Zu¬
sammenhang mit der Demokratie in die Posaune stieß, konnten wir uns ungefähr
deuten, was kommen würde. Jetzt, da der Zweck erreicht ist, legt man ans die
Motivirung desselben kein großes Gewicht mehr.

Allein das Preßgcsetz hat zu einem Curiosum Veranlassung gegeben, welches
zwar an sich ohne Bedeutung ist, an das sich aber eine allgemeine Betrachtung
knüpfen läßt. Dasjenige Blatt, welches damals am lautesten in die Posaune
gestoßen nud einen neuen Kreuzzug gegen die liberale Presse gepredigt hatte,
fängt jetzt schon an, über die Bureaukratie und den Geheünraths-Liberalismus
laut zu murren. Freilich entspringt dieses Murren vor der Hand aus ganz spe¬
ciellen, journalistischen Gründen, die mit dein Princip nichts zu thun haben, und
es ist vorauszusehen, daß vorläufig, da die Fluth der Reaction im Steigen ist,
die beiden Schattirungen der Reaction sich noch mehr nähern werden. Aber es
ist die erste Andeutung, daß die Vollblut-Reaction gegen die Partei des ge¬
mäßigten Rückschritts, die sie bisher mir ihrer zu liberalen Sympathie wegen
bekämpft, einmal auch im Namen der Freiheit und Gleichheit zu Felde ziehen
könnte.

Um dies zu begreisen, werfen wir einen Blick auf die Kleinente, aus denen
unsere äußerste Rechte zusammengesetzt ist. Ein solcher Blick überzeugt uus bald,
daß die Verbindung zwischen den beiden Fractionen, welche heutzutage die con-
servative Partei ausmachen, eine bloß äußerliche ist, und daß sie leicht in Feind¬
schaft übergehen kaun, sobald nur einigermaßen die Furcht vor dem gemeinsamen
Feinde überwunden sein wird.


Grenzvotcn. II. 1850. 56
Die preußischen Hochtovies.



Das Ereigmß der Woche ist das „cuc preußische Preßgesetz. Diese Jnr-
provisatioil des preußischen Miuisteriuuis ist schlimmer, als die des sächsischen,
denn sie ist praktischer, ausführbarer, und kann ein übles Beispiel werden. Gegen
die Verfassungsmäßigfeit der Maßregel ist nichts Erhebliches einzuwenden, oder
vielmehr, man kann nicht wissen, ob etwas dagegen einzuwenden sein wird,
denn die preußische Verfassung erfreut sich so vieler widersprechender Bcstinuuuu-
gen, daß die herrschende Partei sehr ungeschickt sei» müßte, wenn sie nicht die
eine oder die andere fiir sich anführen könnte. Wir enthalten uns also einer
Opposition, die im Augenblick zu nichts führen konnte, und nehmen das neue
Geschenk der Regierung vorläufig als ein Uebel hin, dem wir nicht entgehen
können. Seitdem die Reaction über das Attentat und dessen moralischen Zu¬
sammenhang mit der Demokratie in die Posaune stieß, konnten wir uns ungefähr
deuten, was kommen würde. Jetzt, da der Zweck erreicht ist, legt man ans die
Motivirung desselben kein großes Gewicht mehr.

Allein das Preßgcsetz hat zu einem Curiosum Veranlassung gegeben, welches
zwar an sich ohne Bedeutung ist, an das sich aber eine allgemeine Betrachtung
knüpfen läßt. Dasjenige Blatt, welches damals am lautesten in die Posaune
gestoßen nud einen neuen Kreuzzug gegen die liberale Presse gepredigt hatte,
fängt jetzt schon an, über die Bureaukratie und den Geheünraths-Liberalismus
laut zu murren. Freilich entspringt dieses Murren vor der Hand aus ganz spe¬
ciellen, journalistischen Gründen, die mit dein Princip nichts zu thun haben, und
es ist vorauszusehen, daß vorläufig, da die Fluth der Reaction im Steigen ist,
die beiden Schattirungen der Reaction sich noch mehr nähern werden. Aber es
ist die erste Andeutung, daß die Vollblut-Reaction gegen die Partei des ge¬
mäßigten Rückschritts, die sie bisher mir ihrer zu liberalen Sympathie wegen
bekämpft, einmal auch im Namen der Freiheit und Gleichheit zu Felde ziehen
könnte.

Um dies zu begreisen, werfen wir einen Blick auf die Kleinente, aus denen
unsere äußerste Rechte zusammengesetzt ist. Ein solcher Blick überzeugt uus bald,
daß die Verbindung zwischen den beiden Fractionen, welche heutzutage die con-
servative Partei ausmachen, eine bloß äußerliche ist, und daß sie leicht in Feind¬
schaft übergehen kaun, sobald nur einigermaßen die Furcht vor dem gemeinsamen
Feinde überwunden sein wird.


Grenzvotcn. II. 1850. 56
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[0449] Die preußischen Hochtovies. Das Ereigmß der Woche ist das „cuc preußische Preßgesetz. Diese Jnr- provisatioil des preußischen Miuisteriuuis ist schlimmer, als die des sächsischen, denn sie ist praktischer, ausführbarer, und kann ein übles Beispiel werden. Gegen die Verfassungsmäßigfeit der Maßregel ist nichts Erhebliches einzuwenden, oder vielmehr, man kann nicht wissen, ob etwas dagegen einzuwenden sein wird, denn die preußische Verfassung erfreut sich so vieler widersprechender Bcstinuuuu- gen, daß die herrschende Partei sehr ungeschickt sei» müßte, wenn sie nicht die eine oder die andere fiir sich anführen könnte. Wir enthalten uns also einer Opposition, die im Augenblick zu nichts führen konnte, und nehmen das neue Geschenk der Regierung vorläufig als ein Uebel hin, dem wir nicht entgehen können. Seitdem die Reaction über das Attentat und dessen moralischen Zu¬ sammenhang mit der Demokratie in die Posaune stieß, konnten wir uns ungefähr deuten, was kommen würde. Jetzt, da der Zweck erreicht ist, legt man ans die Motivirung desselben kein großes Gewicht mehr. Allein das Preßgcsetz hat zu einem Curiosum Veranlassung gegeben, welches zwar an sich ohne Bedeutung ist, an das sich aber eine allgemeine Betrachtung knüpfen läßt. Dasjenige Blatt, welches damals am lautesten in die Posaune gestoßen nud einen neuen Kreuzzug gegen die liberale Presse gepredigt hatte, fängt jetzt schon an, über die Bureaukratie und den Geheünraths-Liberalismus laut zu murren. Freilich entspringt dieses Murren vor der Hand aus ganz spe¬ ciellen, journalistischen Gründen, die mit dein Princip nichts zu thun haben, und es ist vorauszusehen, daß vorläufig, da die Fluth der Reaction im Steigen ist, die beiden Schattirungen der Reaction sich noch mehr nähern werden. Aber es ist die erste Andeutung, daß die Vollblut-Reaction gegen die Partei des ge¬ mäßigten Rückschritts, die sie bisher mir ihrer zu liberalen Sympathie wegen bekämpft, einmal auch im Namen der Freiheit und Gleichheit zu Felde ziehen könnte. Um dies zu begreisen, werfen wir einen Blick auf die Kleinente, aus denen unsere äußerste Rechte zusammengesetzt ist. Ein solcher Blick überzeugt uus bald, daß die Verbindung zwischen den beiden Fractionen, welche heutzutage die con- servative Partei ausmachen, eine bloß äußerliche ist, und daß sie leicht in Feind¬ schaft übergehen kaun, sobald nur einigermaßen die Furcht vor dem gemeinsamen Feinde überwunden sein wird. Grenzvotcn. II. 1850. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/449>, abgerufen am 28.09.2024.