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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Paris unter Louis Napoleon.
ii.
Emile von Girardin.

Es gehört zu den allerseltensten Fallen, daß die Vorstellung, welche mau
sich unwillkürlich von der äußern Erscheinung hervorragender Menschen macht, der
Wirklichkeit entspricht.

So würde ein Unbefangener z. B. hinter dem als achtzigjähriger Greis uoch
glatten und geschmeidigen Hofmann Alexander v. Humboldt ebensowenig den
größten Naturforscher unserer Zeit vermuthen, wie hinter dem unscheinbaren Ra-
detzky den Sieger von Novara.

Nur zwei Falle kenne ich aus eigener Erfahrung, wo Männer von Bedeutung
ganz^dem Bilde entsprachen, das ich mir vorher vou ihnen gemacht; der Erste
war Papst Pius IX., und der Zweite Emile von Girardin.

Von dem sanften Pius werde ich ein ander Mal erzählen, wenn ich Ihnen
Blätter aus meinem italienischen Tagebuche sende; wir sind heute in Paris, und
haben es mit dem berühmten Journalisten von der Kue als eimllwt zu thun,
der hier eine sast ebenso bedeutuugS- und unheilvolle Rolle spielt, wie der heilige
Vater in Rom. Nicht, als ob ich eine Parallele zwischen diesen beiden Männern
ziehen wollte, die ihrem innersten Wesen nach so weit von einander getrennt sind
wie Rom von Paris; nur indem einen Punkte gleichen sie sich, daß ihr Aeußeres
ganz das Gepräge ihrer geistigen Eigenthümlichkeiten trägt. ,

Außer Louis Napoleon lebt heutzutage kein Mann in Frankreich, dessen Name
so oft genannt wird und eine solche Tragweite hat, wie der Name Emile's vou
Girardin.

Seine Berühmtheit begann gleich mit seinem ersten selbständigen Auftreten
in der Tagesliteratur durch die Gründung der "Prof"" u Koü marellv," wie
noch heute das von ihm redigirte Journal genannt wird, im Gegensatz zu den
übrigen großen Blättern der Hauptstadt, welche, obwohl gezwungen dnrch die
gefährliche Concurrenz Girardin's, ihre frühern übermäßigen Preise bedeutend
herabzusetzen, doch immer noch um Vieles theurer sind als die "Presse".

Die Vorbildung zu seiner einflußreichen politischen Wirksamkeit erhielt Girardin
nicht -- wie das bei uns der Fall zu sein pflegt -- auf einer Hochschule, oder
sonstigen gelehrte" Anstalt, sondern in dem Atelier einer kleinen Pariser Wochen¬
schrift, wo er mit der technischen Leitung beschäftigt war. Schon in diesem kleinen
Wirkungskreise fand er Gelegenheit, sein großes Organisationstalent -- ein Talent,
das ihm selbst seine erbittertsten Feinde nicht absprechen -- zu entfalten. Zu glei¬
cher Zeit wagte er sich mit einigen publicistischcn Versuchen vor das Publikum,


Paris unter Louis Napoleon.
ii.
Emile von Girardin.

Es gehört zu den allerseltensten Fallen, daß die Vorstellung, welche mau
sich unwillkürlich von der äußern Erscheinung hervorragender Menschen macht, der
Wirklichkeit entspricht.

So würde ein Unbefangener z. B. hinter dem als achtzigjähriger Greis uoch
glatten und geschmeidigen Hofmann Alexander v. Humboldt ebensowenig den
größten Naturforscher unserer Zeit vermuthen, wie hinter dem unscheinbaren Ra-
detzky den Sieger von Novara.

Nur zwei Falle kenne ich aus eigener Erfahrung, wo Männer von Bedeutung
ganz^dem Bilde entsprachen, das ich mir vorher vou ihnen gemacht; der Erste
war Papst Pius IX., und der Zweite Emile von Girardin.

Von dem sanften Pius werde ich ein ander Mal erzählen, wenn ich Ihnen
Blätter aus meinem italienischen Tagebuche sende; wir sind heute in Paris, und
haben es mit dem berühmten Journalisten von der Kue als eimllwt zu thun,
der hier eine sast ebenso bedeutuugS- und unheilvolle Rolle spielt, wie der heilige
Vater in Rom. Nicht, als ob ich eine Parallele zwischen diesen beiden Männern
ziehen wollte, die ihrem innersten Wesen nach so weit von einander getrennt sind
wie Rom von Paris; nur indem einen Punkte gleichen sie sich, daß ihr Aeußeres
ganz das Gepräge ihrer geistigen Eigenthümlichkeiten trägt. ,

Außer Louis Napoleon lebt heutzutage kein Mann in Frankreich, dessen Name
so oft genannt wird und eine solche Tragweite hat, wie der Name Emile's vou
Girardin.

Seine Berühmtheit begann gleich mit seinem ersten selbständigen Auftreten
in der Tagesliteratur durch die Gründung der „Prof«» u Koü marellv," wie
noch heute das von ihm redigirte Journal genannt wird, im Gegensatz zu den
übrigen großen Blättern der Hauptstadt, welche, obwohl gezwungen dnrch die
gefährliche Concurrenz Girardin's, ihre frühern übermäßigen Preise bedeutend
herabzusetzen, doch immer noch um Vieles theurer sind als die „Presse".

Die Vorbildung zu seiner einflußreichen politischen Wirksamkeit erhielt Girardin
nicht — wie das bei uns der Fall zu sein pflegt — auf einer Hochschule, oder
sonstigen gelehrte« Anstalt, sondern in dem Atelier einer kleinen Pariser Wochen¬
schrift, wo er mit der technischen Leitung beschäftigt war. Schon in diesem kleinen
Wirkungskreise fand er Gelegenheit, sein großes Organisationstalent — ein Talent,
das ihm selbst seine erbittertsten Feinde nicht absprechen — zu entfalten. Zu glei¬
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[0223] Paris unter Louis Napoleon. ii. Emile von Girardin. Es gehört zu den allerseltensten Fallen, daß die Vorstellung, welche mau sich unwillkürlich von der äußern Erscheinung hervorragender Menschen macht, der Wirklichkeit entspricht. So würde ein Unbefangener z. B. hinter dem als achtzigjähriger Greis uoch glatten und geschmeidigen Hofmann Alexander v. Humboldt ebensowenig den größten Naturforscher unserer Zeit vermuthen, wie hinter dem unscheinbaren Ra- detzky den Sieger von Novara. Nur zwei Falle kenne ich aus eigener Erfahrung, wo Männer von Bedeutung ganz^dem Bilde entsprachen, das ich mir vorher vou ihnen gemacht; der Erste war Papst Pius IX., und der Zweite Emile von Girardin. Von dem sanften Pius werde ich ein ander Mal erzählen, wenn ich Ihnen Blätter aus meinem italienischen Tagebuche sende; wir sind heute in Paris, und haben es mit dem berühmten Journalisten von der Kue als eimllwt zu thun, der hier eine sast ebenso bedeutuugS- und unheilvolle Rolle spielt, wie der heilige Vater in Rom. Nicht, als ob ich eine Parallele zwischen diesen beiden Männern ziehen wollte, die ihrem innersten Wesen nach so weit von einander getrennt sind wie Rom von Paris; nur indem einen Punkte gleichen sie sich, daß ihr Aeußeres ganz das Gepräge ihrer geistigen Eigenthümlichkeiten trägt. , Außer Louis Napoleon lebt heutzutage kein Mann in Frankreich, dessen Name so oft genannt wird und eine solche Tragweite hat, wie der Name Emile's vou Girardin. Seine Berühmtheit begann gleich mit seinem ersten selbständigen Auftreten in der Tagesliteratur durch die Gründung der „Prof«» u Koü marellv," wie noch heute das von ihm redigirte Journal genannt wird, im Gegensatz zu den übrigen großen Blättern der Hauptstadt, welche, obwohl gezwungen dnrch die gefährliche Concurrenz Girardin's, ihre frühern übermäßigen Preise bedeutend herabzusetzen, doch immer noch um Vieles theurer sind als die „Presse". Die Vorbildung zu seiner einflußreichen politischen Wirksamkeit erhielt Girardin nicht — wie das bei uns der Fall zu sein pflegt — auf einer Hochschule, oder sonstigen gelehrte« Anstalt, sondern in dem Atelier einer kleinen Pariser Wochen¬ schrift, wo er mit der technischen Leitung beschäftigt war. Schon in diesem kleinen Wirkungskreise fand er Gelegenheit, sein großes Organisationstalent — ein Talent, das ihm selbst seine erbittertsten Feinde nicht absprechen — zu entfalten. Zu glei¬ cher Zeit wagte er sich mit einigen publicistischcn Versuchen vor das Publikum,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/223>, abgerufen am 28.09.2024.