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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Jenseit der Berge.



Nach langem Zögern ist der Papst in die alte Hauptstadt der Christenheit
wieder zurückgekehrt, und von allen Seiten tragen geschäftige Handlanger Bau¬
steine herbei, um den alten Dom der Kirche, den der Sturm der letzten Jahre
wenigstens ebenso erschüttert hatte, als die angeblich von Gott gegründeten Mon¬
archien, durch stückweise Ausbesserungen wieder zu befestigen und aufzuputzen.
Das Banner Pius des Neunter, das noch vor wenig Jahren dem hoffnungs-
reichen Italien als Zeichen der Freiheit, als Kleinod der wiederauflebenden Nation
vvranflatterte, ist jetzt sür ganz Europa das Symbol der Reaction geworden.
Vor den Mauern des republikanischen Rom, das die Zeiten Rienzi's wieder¬
gekommen wähnte, kämpften die Waffen Frankreichs, die Waffen der sogenannten
Republik, zum erstenmal offen sür die Wiederherstellung des alten Rechts, des
Rechts, das von Staateil und Nationen Nichts weiß, und nur in den Fürsten
die Träger der göttlichen Gewalt verehrt. ,

Von Rom aus ziehen die Apostel mit dem rückwärts gewandte" Gesicht, die
Prediger der Vergangenheit, zum zweitenmal nach allen Seiten Europas, die
Heiden zu bekehren zu der alten Lehre, welche allein selig macht, weil sie allein
im Staude ist, der Erde den selbstständigen Gedanken, die auf sich selbst ruhende
Kraft, den seiner selbst gewissen Willen zu entziehen, und sie dem Himmel Unter¬
than zu machen. Die Jesuiten, noch vor wenig Jahren ein eitles Gespenst der
Furcht, das in sich kein Leben haben konnte, weil es keine Idee vertrat, sind
heute wieder eine Wahrheit geworden, denn sie sind das Band, nach welchen!
die siegreiche Reaction sich sehnt, um aufs Neue die Völker zu ketten. Diese
Nachtvögel, denen es im Tageslicht der neuen Freiheit unheimlich geworden ist,
diese feudalen Barone, die ihre eigne Nation hassen, weil sie in ihr immer das
Volk sehen, den Pöbel, der sich ihnen nicht-mehr als willenloses Spielzeug preis¬
gibt, werfen die Idee des Vaterlandes von sich, nud strecken die Hände uach der
gemeinschaftlichen Heimath ihrer Träume und Phantasien aus, der Heimath jenseit
der Berge.

Den Sieg über die Revolution haben nicht die Priester erfochten, sondern
die Heere. Aber in den Siegern lebt das dunkle Gefühl, daß diese Waffe nicht
ausreicht. In Frankreich wächst der Socialismus -- zunächst nichts weiter, als das
Symptom der Krankheit, an der die Gesellschaft leidet -- von Tage zu Tage;
seine wilden Propheten mit den Erinnerungen an die glorreichste Zeit der fran¬
zösischen Armee mischen sich unter die Soldaten, und schon saugen diese an, sich
um das rothe Banner zu schaaren. Die Partei der alten Ordnung, die ihren
Gegnern keine fruchtbare Idee entgegenzusetzen weiß, provocirt einen neuen Kampf,
in dein sie diesmal noch zu siegen hofft; um aber auch die Zukunft an sich zu


Jenseit der Berge.



Nach langem Zögern ist der Papst in die alte Hauptstadt der Christenheit
wieder zurückgekehrt, und von allen Seiten tragen geschäftige Handlanger Bau¬
steine herbei, um den alten Dom der Kirche, den der Sturm der letzten Jahre
wenigstens ebenso erschüttert hatte, als die angeblich von Gott gegründeten Mon¬
archien, durch stückweise Ausbesserungen wieder zu befestigen und aufzuputzen.
Das Banner Pius des Neunter, das noch vor wenig Jahren dem hoffnungs-
reichen Italien als Zeichen der Freiheit, als Kleinod der wiederauflebenden Nation
vvranflatterte, ist jetzt sür ganz Europa das Symbol der Reaction geworden.
Vor den Mauern des republikanischen Rom, das die Zeiten Rienzi's wieder¬
gekommen wähnte, kämpften die Waffen Frankreichs, die Waffen der sogenannten
Republik, zum erstenmal offen sür die Wiederherstellung des alten Rechts, des
Rechts, das von Staateil und Nationen Nichts weiß, und nur in den Fürsten
die Träger der göttlichen Gewalt verehrt. ,

Von Rom aus ziehen die Apostel mit dem rückwärts gewandte» Gesicht, die
Prediger der Vergangenheit, zum zweitenmal nach allen Seiten Europas, die
Heiden zu bekehren zu der alten Lehre, welche allein selig macht, weil sie allein
im Staude ist, der Erde den selbstständigen Gedanken, die auf sich selbst ruhende
Kraft, den seiner selbst gewissen Willen zu entziehen, und sie dem Himmel Unter¬
than zu machen. Die Jesuiten, noch vor wenig Jahren ein eitles Gespenst der
Furcht, das in sich kein Leben haben konnte, weil es keine Idee vertrat, sind
heute wieder eine Wahrheit geworden, denn sie sind das Band, nach welchen!
die siegreiche Reaction sich sehnt, um aufs Neue die Völker zu ketten. Diese
Nachtvögel, denen es im Tageslicht der neuen Freiheit unheimlich geworden ist,
diese feudalen Barone, die ihre eigne Nation hassen, weil sie in ihr immer das
Volk sehen, den Pöbel, der sich ihnen nicht-mehr als willenloses Spielzeug preis¬
gibt, werfen die Idee des Vaterlandes von sich, nud strecken die Hände uach der
gemeinschaftlichen Heimath ihrer Träume und Phantasien aus, der Heimath jenseit
der Berge.

Den Sieg über die Revolution haben nicht die Priester erfochten, sondern
die Heere. Aber in den Siegern lebt das dunkle Gefühl, daß diese Waffe nicht
ausreicht. In Frankreich wächst der Socialismus — zunächst nichts weiter, als das
Symptom der Krankheit, an der die Gesellschaft leidet — von Tage zu Tage;
seine wilden Propheten mit den Erinnerungen an die glorreichste Zeit der fran¬
zösischen Armee mischen sich unter die Soldaten, und schon saugen diese an, sich
um das rothe Banner zu schaaren. Die Partei der alten Ordnung, die ihren
Gegnern keine fruchtbare Idee entgegenzusetzen weiß, provocirt einen neuen Kampf,
in dein sie diesmal noch zu siegen hofft; um aber auch die Zukunft an sich zu


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[0218] Jenseit der Berge. Nach langem Zögern ist der Papst in die alte Hauptstadt der Christenheit wieder zurückgekehrt, und von allen Seiten tragen geschäftige Handlanger Bau¬ steine herbei, um den alten Dom der Kirche, den der Sturm der letzten Jahre wenigstens ebenso erschüttert hatte, als die angeblich von Gott gegründeten Mon¬ archien, durch stückweise Ausbesserungen wieder zu befestigen und aufzuputzen. Das Banner Pius des Neunter, das noch vor wenig Jahren dem hoffnungs- reichen Italien als Zeichen der Freiheit, als Kleinod der wiederauflebenden Nation vvranflatterte, ist jetzt sür ganz Europa das Symbol der Reaction geworden. Vor den Mauern des republikanischen Rom, das die Zeiten Rienzi's wieder¬ gekommen wähnte, kämpften die Waffen Frankreichs, die Waffen der sogenannten Republik, zum erstenmal offen sür die Wiederherstellung des alten Rechts, des Rechts, das von Staateil und Nationen Nichts weiß, und nur in den Fürsten die Träger der göttlichen Gewalt verehrt. , Von Rom aus ziehen die Apostel mit dem rückwärts gewandte» Gesicht, die Prediger der Vergangenheit, zum zweitenmal nach allen Seiten Europas, die Heiden zu bekehren zu der alten Lehre, welche allein selig macht, weil sie allein im Staude ist, der Erde den selbstständigen Gedanken, die auf sich selbst ruhende Kraft, den seiner selbst gewissen Willen zu entziehen, und sie dem Himmel Unter¬ than zu machen. Die Jesuiten, noch vor wenig Jahren ein eitles Gespenst der Furcht, das in sich kein Leben haben konnte, weil es keine Idee vertrat, sind heute wieder eine Wahrheit geworden, denn sie sind das Band, nach welchen! die siegreiche Reaction sich sehnt, um aufs Neue die Völker zu ketten. Diese Nachtvögel, denen es im Tageslicht der neuen Freiheit unheimlich geworden ist, diese feudalen Barone, die ihre eigne Nation hassen, weil sie in ihr immer das Volk sehen, den Pöbel, der sich ihnen nicht-mehr als willenloses Spielzeug preis¬ gibt, werfen die Idee des Vaterlandes von sich, nud strecken die Hände uach der gemeinschaftlichen Heimath ihrer Träume und Phantasien aus, der Heimath jenseit der Berge. Den Sieg über die Revolution haben nicht die Priester erfochten, sondern die Heere. Aber in den Siegern lebt das dunkle Gefühl, daß diese Waffe nicht ausreicht. In Frankreich wächst der Socialismus — zunächst nichts weiter, als das Symptom der Krankheit, an der die Gesellschaft leidet — von Tage zu Tage; seine wilden Propheten mit den Erinnerungen an die glorreichste Zeit der fran¬ zösischen Armee mischen sich unter die Soldaten, und schon saugen diese an, sich um das rothe Banner zu schaaren. Die Partei der alten Ordnung, die ihren Gegnern keine fruchtbare Idee entgegenzusetzen weiß, provocirt einen neuen Kampf, in dein sie diesmal noch zu siegen hofft; um aber auch die Zukunft an sich zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/218>, abgerufen am 29.06.2024.